Berichten des „Guardian“ zufolge kommt es bei den Bauarbeiten für die WM 2022 in Katar vermehrt zu Todesfällen, die Rede ist von moderner Sklavenarbeit. Wir sprachen mit dem Wolfgang Buettner von Human Rights Watch über die erhobenen Vorwürfe, die Arbeitsbedingungen in Katar und die Rolle der Fifa.
Wolfgang Buettner, der „Guardian“ berichtet, dass bei den Bauarbeiten zur WM 2022 in Katar allein zwischen Juni und August 44 nepalesische Gastarbeiter zu Tode gekommen sind. Katar dementierte diese Zahl. Wo liegt die Wahrheit?
Wir von „Human Rights Watch“ können die Ergebnisse des „Guardian“ nur bestätigen. Bereits 2012 haben wir einen Bericht über Arbeitsmigranten in Katar verfasst, in dem es vornehmlich um deren Arbeitsbedingungen in den infrastrukturellen Bauprojekten rund um die WM ging. Es gab auch letztes Jahr schon Berichte von Arbeitsmigranten, die auf den Baustellen starben.
In der Presse war von „moderner Sklaverei“ die Rede, Sharan Burrow, die Generalsekretärin des internationalen Gewerkschaftsbundes nannte Katar einen „Sklavenhändler-Staat“. Wie sind die Arbeitsbedingungen?
Es sind zwangsarbeiterähnliche Bedingungen. Den Arbeitsmigranten werden von den Arbeitgebern die Pässe weggenommen und sie können nicht mehr ausreisen. Es gibt immer wieder Berichte, dass die Gehälter nicht gezahlt werden. Ohnehin sind die Löhne sehr niedrig und die Arbeitsbedingungen sehr hart. Es muss in großer Hitze gearbeitet werden. Hinzu kommen sehr schlechte Bedingungen in den Unterkünften der Arbeiter. Von internationalen Arbeitsstandards ist das sehr weit entfernt.
Was hat es mit den sogenannten Vermittlungsgebühren auf sich?
Die Arbeiter kommen meist aus Südasien, Nepal, Indien, Pakistan, etc., und zahlen Vermittlungsgebühr, damit sie überhaupt an einen Job in Katar kommen. Dafür müssen viele von ihnen Kredite aufnehmen, umgerechnet bis zu 3500 Dollar. Das sind in ihren Heimatländern horrende Summen. Das Geld überhaupt aufzubringen, ist schon sehr schwierig. Wenn die Gebühr über einen Kredit finanziert wird, kommen noch hohe Zinsen dazu. Oft sind die Schulden dann so groß, dass sie nicht mehr zurückgezahlt werden können, geschweige denn, dass die Arbeiter einen Gewinn machen.
Gibt es keine behördliche Aufsicht?
Das Problem ist, dass die Unternehmen, die die Arbeiter ins Land bringen, ihnen auch gleichzeitig die Ausreise verweigern können. Wenn sich also ein Arbeiter an die Behörden wendet oder gar vor Gericht zieht, entsteht eine erpressungsartige Situation, in der der Arbeitgeber sagen kann: Entweder die Klage wird fallen gelassen, oder die Ausreiseerlaubnis wird nicht erteilt. Eine Problematik, die nicht nur die Arbeiter auf dem Bau betrifft, sondern auch Leute aus höheren Gehaltsschichten. Gerade erst einen Fußballer.
Einen Fußballer?
Ja, Zahir Belounis, ein französischer Fußballer, der in Katar spielte und nun festsitzt. Er hat gegen seinen Verein geklagt, weil ihm kein Gehalt gezahlt wurde. Aufgrund der Klage verweigert ihm der Verein nun das Ausreisevisum für ihn und seine Familie. Solange er die Klage nicht fallen lässt, sitzt Belounis fest.
Wie bewerten Sie denn die Rolle der Fifa in den jüngsten Vorkommnissen?
Ambivalent. Als Veranstalter der WM hat die Fifa in dieser Problematik natürlich eine ganz wichtige Rolle und sie hat auch öffentlich gemacht, dass sie Verantwortung für die Arbeiter übernehmen muss. Bereits Ende 2011 äußerte sich Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke, dass die Achtung der Menschenrechte für den Verband oberste Priorität hat. Das betrifft natürlich auch die Arbeitsbedingungen der Arbeiter. Dadurch, dass die Fifa sich so klar positioniert hat, ist sie nun in der Pflicht, Druck auf die katarische Regierung auszuüben, damit sich etwas ändert.
Im Ihrem bereits angesprochenen Bericht aus dem vergangenen Jahr heißt es seitens der Fifa, man wolle das Thema Arbeitnehmerrechte bei der katarischen Regierung vorbringen. Viel scheint nicht passiert zu sein.
Ganz offensichtlich. Wenn weiterhin solche Menschenrechtsverletzungen stattfinden, muss die Fifa einfach noch mehr machen und Standards einfordern, was die Arbeitsbedingungen angeht.
Sepp Blatter ist bekannt dafür, dass er Probleme gerne aussitzt. Kann er diese Thematik auch wegignorieren?
Nein. Für die Fifa geht es ja auch um die Frage, inwieweit das Ansehen der Fußball-Weltmeisterschaft darunter leidet. Wenn es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen kommt, ist das weder gut für den Verband, noch für ihr Produkt: die WM. Es ist also auch im eigenen Interesse der Fifa, dass sie mehr tut. Prinzipiell müssten schon vor der Vergabe Standards in solchen Sachen wie eben Arbeitnehmerrecht festgelegt werden, an die sich die Bewerber zu halten haben.
Ist eine WM in Katar nach den jüngsten Vorkommnissen denn überhaupt noch tragbar?
Es gibt ja noch einige andere Kritikpunkte an der WM in Katar, etwa das Klima. Vom Menschenrechtsstandpunkt aus bietet sich nach den jüngsten Vorkommnissen die Chance, die Situation von Arbeitsmigranten in Katar zu verändern. Jetzt ist das Schlaglicht auf dem Schicksal der Arbeiter, vorher fand es in der öffentlichen Wahrnehmung kaum statt. Die Fifa muss nun ihren Einfluss geltend machen und derart starken Druck ausüben, dass die katarische Regierung aktiv wird und die Bedingungen verbessert.
Wünschen Sie sich von deutschen Funktionären eine deutlichere Position?
Der ehemalige DFB-Präsident und heutige Fifa-Funktionär Theo Zwanziger, der der WM-Vergabe an Katar ohnehin kritisch gegenübersteht, hat bereits gefordert, dass die Vorkommnisse untersucht werden müssen. Grundsätzlich würden wir uns weitere kritische Stimmen wünschen, letztlich muss aber die Fifa dafür sorgen, dass die Geschehnisse untersucht werden, damit solche Todesfälle auf den Baustellen in Zukunft nicht mehr passieren.