Bayer Leverkusen hat die Bundesliga mit aggressivem Powerfußball aufgemischt. Aber wie funktioniert der eigentlich? Trainer Roger Schmidt erklärt.
Roger Schmidt, glauben Sie, dass sich in der Spielweise einer Mannschaft die Persönlichkeit ihres Trainers ausdrückt?
Nicht nur, aber auch.
Dann dürften Sie ein äußerst ungeduldiger Mensch sein.
Könnte man meinen. Unser Spielsystem hat aber weniger mit meiner Ungeduld als vielmehr der Überzeugung zu tun, dass wir auf diese Weise attraktiv und erfolgreich Fußball spielen können.
Das sieht mitunter ganz schön wild aus, aber welcher Systematik folgt das Spiel von Bayer Leverkusen?
Ein Schwerpunkt ist das Spiel gegen den Ball, und bei gegnerischem Ballbesitz gehen wir gemeinsam auf die Jagd: Viele Hunde sind des Hasen Tod.
Wer ist der Hase?
Der Ball, daran orientieren sich alle elf Spieler in erster Linie, dann am Mit- und zuletzt am Gegenspieler. Diese Ballorientierung funktioniert aber nur, wenn wir großen Druck auf den Ball ausüben. Es reicht nicht, dass vorne zwei Mann draufgehen und der Rest guckt zu. Wenn vorne gesprintet wird, müssen die anderen ebenfalls in hohem Tempo unterwegs sein. Man könnte von einem Schwarmverhalten sprechen.
Worin besteht die Ähnlichkeit zu einem Schwarm?
Weil er Richtungsänderungen immer gleichzeitig macht und die gleichen Abstände untereinander hält. Ich weiß nicht, woran sich Fisch- oder Vogelschwärme orientieren, aber wir orientieren uns eben am Ball.
Schauen wir mal auf eine Situation, die es häufiger gibt: Der gegnerische Innenverteidiger ist am Ball und wird von Ihrem Mittelstürmer Stefan Kießling angelaufen. Was machen dann etwa die Außenverteidiger?
Das sind für uns Schlüsselpositionen. Unsere Grundordnung gleicht mitunter einem 4−2−4, wobei Kießling und Calhanoglu unsere beiden zentralen Spitzen sind. Flügelspieler wie Son und Bellarabi oder Brandt sind eher Zehner auf den Halbpositionen. Sie attackieren oft in vorderster Linie, wodurch sich hinter ihnen natürlich große Räume ergeben. Genau die müssen unsere Außenverteidiger beherrschen, hinter denen sich wiederum Räume öffnen. Wir kontrollieren sie, indem unsere komplette Viererkette durchsichert.
Was bedeutet das?
Der ballnahe Innenverteidiger sichert den Raum hinter dem Außenverteidiger und der ballferne Innenverteidiger schiebt nach. So haben wir alle Räume besetzt, außer die extrem ballentfernten. Aber das irritiert uns nicht, denn wir sind überzeugt, dass der Gegner sie selten anspielen kann.
In der vergangenen Saison hat Leverkusen 13,4 Schüsse pro Spiel zugelassen, in dieser sind es laut Opta nur 8,5. Zugleich wurde der Ball statt 6,6 Mal in dieser Saison 15,6 Mal pro Spiel in der gegnerischen Hälfte erobert. Setzen Sie auf Vorwärtsverteidigung?
Genau, für mich ist frühes Attackieren das beste Mittel zur Verteidigung. Wir wollen das Spiel weit vom eigenen Tor fernhalten.
Wie haben Sie es geschafft, dass Ihre Mannschaft kaum ausgekontert worden ist?
Wir verteidigen auf allen Ebenen konsequent nach vorne und haben darüber hinaus eine große Bereitschaft der überspielten Spieler, sofort nach hinten zu schließen. Dadurch haben wir in den Zwischenräumen immer Überzahl. Wir können sehr aggressiv in den Zweikampf gehen und riskieren, ausgespielt zu werden, weil der Nächste in den Zweikampf kommt und den Ball klaut. Dadurch wird die Systematik komplett.
Wie sehr ist das Spiel von Bayer Leverkusen auf die Formation der Gegner angepasst?
Das spielt bei uns eine eher kleine Rolle, und ich empfinde das als totale Erleichterung. Meiner Erfahrung nach sind viele Spieler nämlich eher irritiert davon, wenn sie sich auf dem Platz am Gegner orientieren müssen. Ich erlebe Spieler richtiggehend befreit, wenn ich ihnen sage, dass es nicht entscheidend ist, was ihre Gegenspieler machen. Ich nehme ihnen quasi Fesseln ab, aber sie müssen ihre Freiheit nutzen und im richtigen Moment Druck machen.
Kann das jeder lernen, oder kapieren einige Spieler das nicht?
Wer will, kann das lernen. Es mag Spieler geben, die für eine andere Spielweise besser prädestiniert sind. Aber grundsätzlich werden aus meiner Sicht so mehr Spieler deutlich besser als andersrum.