Markus Merk war lange der beste deutsche Schiedsrichter und machte sich schon vor Jahren Gedanken über den Videobeweis. Nach der Probephase in dieser Saison ist er sich sicher: Das System muss verbessert werden.
Markus Merk, in der laufenden Saison vergeht kaum ein Spieltag ohne hitzige Diskussion über den Video-Schiedsrichter. Sind Sie noch immer froh über die Implementierung?
Auf dem Platz die richtige Entscheidung zu treffen, hat etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Es war in den letzten Jahren teilweise ein Wahnsinn, in welchen medialen Fokus die Schiedsrichter mit ihren Entscheidungen gerückt wurden. Tagelang wurde diskutiert, die Schiedsrichter standen bei Fehlern im Mittelpunkt der Kritik. In dieser Spielzeit sieht man, dass der Videobeweis den Menschen entlastet. Denn bei den Diskussionen um Entscheidungen geht es kaum noch um den Schiedsrichter als Person, sondern um die Entscheidungen als solche.
Hätten Sie sich zu ihrer aktiven Schiedsrichter-Karriere den Videobeweis gewünscht?
Ich war einer der ersten im Land, der schon vor vielen Jahren über den Videobeweis nachgedacht und sich dazu auch öffentlich geäußert hat. Dafür musste ich mir viel Kritik anhören, auch aus den eigenen Reihen. Viele Schiedsrichter fühlten sich durch den Videobeweis in ihrer eigenen Autorität untergraben.
Trotz der technischen Hilfsmittel gab es in dieser Saison einige strittige, manchmal sogar falsche Entscheidungen. Ist es für die Schiedsrichter noch schwieriger geworden?
Eher für den Video-Assistenten im Studio, wenn er falsch entscheidet. Oder wenn das System in einer bestimmten Situation fehlerhaft war. Das ist ärgerlich, aber der Schiedsrichter auf dem Spielfeld kann dafür ja nichts. Vorher ist bei einer Fehlentscheidung die ganze Nation über die Schiedsrichter hergefallen. Aber jetzt gibt es den nötigen Backup. Wenn danach jemand Kritik abbekommt, dann der Video-Assistent in Köln. Oder das System, weil Dinge nicht korrigierbar sind oder richtige Entscheidungen ins Falsche korrigiert werden.
Stehen Sie hinter dem Video-Assistenten?
Man hat Parameter für ein Probejahr angesetzt (der Video-Assistent kann nur bei einer Torerzielung, einem Strafstoß, einer roten Karte oder einer Verwechslung eines Spielers eingreifen, d. Red). Diese Parameter sind bindend – und zwar für alle nationalen Verbände, die an dem Versuch teilnehmen. Diese Parameter werden sich auch nicht ändern. Deswegen werde ich sie auch stets vertreten. Grundsätzlich sind es aber nicht meine Parameter. Ich hätte mir gewünscht, dass man sie innerhalb der Nationen etwas modifizieren kann, um vielleicht eine größere Bandbreite an Erfahrungen zu gewinnen und um zu entscheiden, was am besten funktioniert.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Bei dem Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und Hannover 96 gab es eine Situation, bei der der Assistent eine falsche Entscheidung getroffen hat. Er entschied auf Eckball, obwohl es Abstoß hätte geben müssen. Die Ecke führte unmittelbar zu einem Tor. Das Problem: Der Video-Assistent konnte überhaupt nicht eingreifen, weil die Parameter vorgeben, dass bei einem Eckball nicht eingegriffen werden kann. Und das Regelwerk ist hierbei für alle Parteien bindend.
Sie wünschen sich eine Modifizierung der Parameter?
Nein. Die Parameter stehen fest, deswegen braucht man darüber gar nicht zu diskutieren. Der Sack ist zu.
Bringt der VAR mehr Gerechtigkeit?
Der Videobeweis hat mit Sicherheit für mehr Gerechtigkeit auf dem Spielfeld gesorgt. Aber wir wissen nicht, ob diese Gerechtigkeit letztlich bei den Menschen ankommt, die den Fußball lieben – nämlich bei den Fans im Stadion und zu Hause. Das beste Produkt nützt nichts, wenn es bei den Kunden nicht ankommt. Vor der Einführung wurde hundertprozentige Gerechtigkeit erwartet. Aber die gibt es natürlich nicht. Es gibt noch immer Grauzonen und es wird auch immer menschliche Fehler geben.