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Herr Ippig, was macht für Sie den FC St. Pauli zum etwas anderen“ Fuß­ball­klub?

Das Lebens­ge­fühl, das bei St. Pauli herrscht, ist ein ganz beson­deres. Das kann man nicht so ein­fach aus dem Boden stampfen, irgendwo ein­fangen und dann woan­ders hin ver­pflanzen. Das wird ständig wei­ter­ge­lebt und wei­ter­ent­wi­ckelt. Und darauf sind die Leute in St. Pauli stolz – trotz aller Höhen und Tiefen.

Gehörten zu den Tiefen vor allem die Abstiege?


Ja klar, solch ein Abstieg schlägt immer auf die Stim­mung. Da kann man noch so lustig sein und viel Bier trinken – wenn die eigene Mann­schaft ver­liert, ist das immer scheiße. Das Bier schmeckt nach dem Spiel eben nur, wenn man gewonnen hat.

Viele kri­ti­sieren in St. Pauli, dass es hier inzwi­schen zu viele Par­ty­fans gibt, denen die Ergeb­nisse egal sind, wenn das Event stimmt?

Kann schon sein, aber viel­leicht ist das auch Teil der Men­ta­lität auf dem Kiez. Als wir in den 80ern auf­ge­stiegen sind, waren wir auch keine Über­mann­schaft. Und dass die Fans damals nicht bei Fehl­pässen gepfiffen haben, war über­le­bens­wichtig. Wenn wir schlecht spielten, haben sie uns noch mehr unter­stützt. Sie waren mit ihrer Ein­stel­lung exis­ten­ziell daran betei­ligt, dass es bei uns immer wieder nach vorn ging. Sie haben nicht nur Party gemacht, son­dern auch aufs Spiel­feld geschaut und gemerkt, dass die Jungs Unter­stüt­zung brau­chen.

Das Publikum war stets sprich­wört­lich der 12. Mann.


Wenn ein Spieler schlecht spielt und dann Blender“ oder Wurst“ gerufen wird, ver­krampft er und traut sich immer weniger zu. Das war damals bei uns das genaue Gegen­teil.

Das wider­spricht der land­läu­figen Mei­nung, dass die Par­ty­stim­mung das Sport­liche auf St. Pauli längst in den Schatten stellt.


Aber dass es sich zu diesem Rie­sen­event ent­wi­ckelt hat, lag ganz klar am sport­li­chen Erfolg am Ende der 80er. Dass sich das inzwi­schen ver­selbst­stän­digt hat, ist für den Verein natür­lich optimal. Ob die in der 3. Liga, 2. Liga oder Bun­des­liga spielen – es ist immer aus­ver­kauft.

Wird dieses Pfund, mit dem da gewu­chert wird, mitt­ler­weile zu sehr aus­ge­nutzt?

Ich denke, das Gesamt­kunst­werk FC St. Pauli“ lebt. Es ist ein anderes als zu unserer Zeit, aber es lebt – und ent­wi­ckelt sich immer weiter. Unter Prä­si­dent Corny Litt­mann sind wieder ganz neue Facetten dazu­ge­kommen.

Was hat sich im Ver­gleich zu Ihrem“ FC St. Pauli ver­än­dert?

Mein“ St. Pauli würde ich nie­mals sagen, das wäre anma­ßend. Wenn sich der Verein wei­ter­ent­wi­ckelt und dort Leute arbeiten, die enga­giert sind und einen Kon­sens finden, bleibt St. Pauli lebendig. Der Klub passt sich ganz ein­fach den Zeiten an. Und Corny Litt­mann hat bewiesen, dass er der rich­tige Mann ist. Nach und nach, mit allen Erfolgen und Rück­schlägen.

So einen Prä­si­denten kann es wohl auch nur auf St. Pauli geben.


Ein schwuler Prä­si­dent wäre noch zu meiner Zeit als Spieler undenkbar gewesen. Damals war die Füh­rung noch viel kon­ser­va­tiver.

Welche Zeit beim FC St. Pauli war für Sie die schönste?

Sicher die Zeit nach dem zweite Auf­stieg in die 2. Liga mit Michael Lor­kowski, der dann wäh­rend Som­mer­pause von Willi Rei­mann abge­löst wurde. Damals ging es bei uns richtig ab.

Wie kann man sich das vor­stellen?


Vorher kamen etwa 5000 und dann waren es plötz­lich 10000. Dann sind wir mit Willi im zweiten Jahr in die Bun­des­liga auf­ge­stiegen, und das Ganze wurde zum Selbst­gänger. Also hatte es auch viel mit der sport­li­chen Ent­wick­lung zu tun, das darf man nie ver­gessen. Es wurde ja kein Rum­pel­fuß­ball geboten. Wenn wir fuß­bal­le­risch nicht erfolg­reich gewesen wären, wäre es bestimmt nicht so gut gelaufen.

Waren Sie in Ihrer Anfangs­zeit noch mit Leuten aus dem Milieu kon­fron­tiert?


Nicht bewusst. Aber als ich 1979 frisch vom Lande kam und einer zu mir sagte: Du Huren­sohn!“, habe ich erst gar nicht geschnallt, was der meinte.

Wie haben Sie den Stadt­teil in dieser Zeit in Erin­ne­rung?

Das ganze Viertel lag im Sterben. Da war nur noch Nepp und Pro­sti­tu­tion. Da war die Ree­per­bahn wie tot, das kann man sich heute gar nicht mehr vor­stellen. Da lief nichts, des­wegen kam ich auch nur mit dem Fahrrad zum Trai­ning nach St. Pauli und bin hin­terher wieder abge­hauen.

Erin­nern Sie sich noch, wann Sie das ersten Mal ein neues Fan­spek­trum auf der Tri­büne wahr­nahmen?


Es haben sich auf St. Pauli immer beson­dere Men­schen für Fuß­ball inter­es­siert, egal wel­cher poli­ti­scher Cou­leur. Vor unserem großen Erfolg dachte man, dass man seine poli­ti­sche Mei­nung nicht offen zugeben dürfte. Aber bei uns war es dann mög­lich und auch erwünscht.

Gab es Mul­ti­pli­ka­toren, die das Inter­esse der Linken am Verein ver­stärken?

Das kam Ende der 80er über das Mill­erntor Roar“, also das ehe­ma­lige inof­fi­zi­elle Sta­di­on­heft, dem Vor­gänger des heu­tigen Über­steiger“. Damals wandten sich die Fans zum ersten Mal gegen die Kom­mer­zia­li­sie­rung, auch indem sie zum Bei­spiel gegen den geplanten Sport Dome“ demons­trierten. Das war nicht anders als heute auch: Die Leute wollten ihr altes Sta­dion behalten.

Wie stark hing die Iden­ti­fi­ka­tion der Fans mit der Mann­schaft auch mit den Spie­lern zusammen, die da auf­liefen?


Nach dem Lizenz­entzug musste der Verein lange auf Nach­wuchs­spieler vor allem aus dem Umland setzen, die natür­lich die Zuschauer noch näher an das Team brachten: Jürgen Gronau war ein Ori­ginal, ein rich­tiger St. Pau­lianer. Nach und nach kamen dann wei­tere wasch­echte Ham­burger wie Dirk Zander und André Trulsen hinzu. Diese Spieler hat die Füh­rung mit Bedacht aus­ge­wählt.

Als so viele junge Spieler aus Ham­burg zum Verein kamen, war das wie eine Wach­ab­lö­sung. Haben Sie sich bewusst von den älteren Spie­lern distan­ziert?

Nein. Mein Vor­teil war, dass ich noch als A‑Jugendspieler in der Ober­liga Nord auf der Bank gesessen habe. Da haben mich viele aus der älteren Gene­ra­tion wie Walter Frosch, Mackensen und Box auf­ge­nommen.

Wurden auch in der Mann­schaft poli­ti­sche Dis­kus­sionen geführt?

Eigent­lich nicht. Ich hatte meine Posi­tion, meine Über­zeu­gungen und war des­wegen so was wie der Gestörte“. Damals waren die Ideale, wie man die Welt besser machen könnte, eben noch aus­ge­prägter.

Sie arbei­teten auch beim Mill­erntor Roar“ mit.

Ich bin öfter im Fan­land gewesen und habe ein biss­chen mit­ge­macht. Aber die Zeit, um sich regel­recht zu enga­gieren, war nicht da.. Klar, war ich da eine Gali­ons­figur. Aber die Themen haben andere Leuten rein getragen – ob das eine Unter­schrif­ten­ak­tion war oder irgend­welche Pla­kate, die durchs Sta­dion getragen wurden. Das ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Aber ich habe mich bei einer guten Sachen natür­lich soli­da­ri­siert.

War die Mann­schaft der ver­län­gerte Arm der Fans?


Es waren viele helle Köpfe dabei, Abitu­ri­enten und Stu­denten, die sich eben auch mal für das ein oder andere Pro­jekt enga­gierten. Aber das Poli­ti­sche war nicht das Ent­schei­dende, son­dern der Umgang mit den Fans nach dem Spiel. Die poli­ti­schen Fans haben zwar einen Groß­teil der Außen­wir­kung aus­ge­macht, aber dass jeder ein­zelne Fan als wichtig ange­sehen worden ist und jeder Spieler das Wort Fan­nähe“ nicht nur auf den Lippen trug, son­dern auch wirk­lich lebte, war das Ent­schei­dende. Da zog sich keiner nach dem Spiel zurück und sagte: Mit denen möchte ich nichts zu tun haben“.

Das Klub­heim wird dem­nächst abge­rissen.

Mag sein. Aber das ist eine trotzdem eine Kultur, die sich bei uns ent­wi­ckelt hat. Die Mann­schaft hatte keine Angst vor den Fans, wie früher bei den Leuten im Volks­park­sta­dion.

Wie wichtig war für das Allein­stel­lungs­merkmal der St. Pauli-Fans rück­bli­ckend der Kon­trast zum HSV in den 80ern?

Die Leute sind in der Zeit nicht mehr zum HSV gegangen, son­dern lieber zu Pauli, weil sie hier in Ruhe Fuß­ball sehen konnten, ohne rechte Fans wie die aus Block E im alten Volks­park­sta­dion. Aber der Kon­trast bestand damals nicht nur gegen­über dem HSV, son­dern all­ge­mein gegen­über den Bun­des­li­ga­ver­einen. Die Fan­kultur war und ist ein­zig­artig – auch wenn dieser Bereich heute stark kom­mer­zia­li­siert wird.

Dich­tung oder Wahr­heit: Haben Sie selbst in der Hafen­straße gewohnt?

Ja, aber nur für einen Sommer, sozu­sagen stand-by. Es war der Sommer, als wir mit Lorko das zweite Mal in die 2. Liga auf­stiegen.

Wie war das?

Es war eine Bleibe wie jede andere. Ich hatte eine schöne Zeit, aber auf Dauer war das nicht ange­legt. Ich blieb mit den Leuten in Kon­takt, habe dann aber doch lieber meine Zelte woan­ders auf­ge­schlagen.

Als Ent­wick­lungs­helfer haben Sie sicher­lich auch sonst kein nor­males Profi-Leben geführt.

Es war ein Wider­spruch, den ich aus­halten musste. Ich habe so viel ver­dient, dass ich davon gut leben konnte. Aber ich habe nie groß­artig für irgend­eine Insti­tu­tion oder Partei gespendet. Was ich ver­dient habe, habe ich in mein Haus ange­legt, in dem ich jetzt mit meiner Familie wohne. Da bin ich ein ganz nor­maler Spieß­bürger. Irgend­wann hatte ich so viel Geld ange­häuft, dass ich mich fragen musste: Wohin damit?“ Und dann habe ich mir Grund und Boden gekauft.

Gibt es für Sie unum­stöß­liche Tabus, wie etwa den Sta­di­on­namen, die der FC St. Pauli trotz aller Gesetzä­ßig­keiten der Kom­mer­zia­li­sie­rung nicht bre­chen darf?

Die Tri­büne, die jetzt gebaut wird, hätte ich mir zu meiner Zeit auch schon gewünscht. Ich hätte damals schon ganz gern vor einer noch grö­ßeren Kulisse gespielt. Und auch der Ausbau des Sta­dion war ja auch ein jah­re­langes Tabu: Des­wegen muss man das meines Erach­tens immer von Fall zu Fall ent­scheiden.

Und was halten Sie von der Idee einiger Fans, das Sta­dion in Fidel-Castro-Sta­dion“ umzu­be­nennen?

Wenn das die poli­ti­sche Linke schafft, wäre es natür­lich ein Rie­s­engag. Aber wenn ein Sponsor seinen Namen dafür her­gibt, wäre es auch in Ord­nung. Warum soll man das Geld nicht mit­nehmen? Das kommt ja auch dem Verein zu Gute. Natür­lich ist ent­schei­dend, wie man es im Verein ver­teilt.

Sind Sie auch mal als linke Zecke“ beschimpft worden?


Pauli wurde mit der Zeit auch zum Hass­ob­jekt, beson­ders nachdem die Grenzen sich öff­neten. Dann wurde es immer schlimmer – gerade wenn wir in den Osten fuhren.

Zum Bei­spiel?


Als wir mal nach Schwerin zu einem Hal­len­tur­nier fuhren, wurde unser Bus vor dem Sta­dion mit Steinen beworfen. Der Bus hatte zum Glück Dop­pel­ver­gla­sung, aber das war schon bedroh­lich. Da war noch die schwan­gere Freundin eines Spie­lers mit im Bus. Wir hatten eine Rie­senwut und haben mit dem Gedanken gespielt, aus­zu­steigen. Am liebsten hätten wir Steine zurück geworfen.


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