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Für unser Spe­zi­al­heft zum Thema Fuß­ball im Ruhr­ge­biet“ (03÷2014) trafen wir die vier Publi­kums­lieb­linge der Neun­ziger. Lesen Sie hier, wie es zu dem Treffen kam und wie die Redak­teure kurz­zeitig wäh­rend des Inter­views dachten: Das Ding kann hier gleich kippen.“

Im Jahr 1997 schallte der Ruhrpott“-Schlachtruf durch alle Sta­dien des Reviers. Wie haben Sie die Soli­da­rität der Region als Spieler wahr­ge­nommen?

_ Joa­chim Hopp: In dieser Zeit haben IG Metall und die Arbeiter aus den Werken einen Pro­test­marsch durch das Wedau-Sta­dion orga­ni­siert. Direkt vor einem MSV-Spiel. Die Hälfte der Leute kannte ich per­sön­lich von meiner Arbeit als Stahl­ko­cher. Ich emp­fand es als meine Pflicht, mich da in meinen Fuß­ball­kla­motten ein­zu­reihen. Im Trikot muss ich zwi­schen den Jungs aber ziem­lich bescheuert aus­ge­sehen haben.
_ Knut Rein­hardt: In Dort­mund gab es diese Pro­teste bereits Jahre zuvor. Hoesch und Thyssen waren so gut wie dicht, die Stadt war im Struk­tur­wandel, der Dienst­leis­tungs­sektor hatte sich ange­sie­delt. Uns war aber klar: Je näher man an Duis­burg her­ankam, umso schlimmer wurde die Situa­tion für die Men­schen.
_ Hopp: Überall wurden Stand­orte dicht­ge­macht und viele Arbeiter nach Duis­burg ver­legt. In Ham­born waren Schalker, Dort­munder, Bochumer und Duis­burger plötz­lich Kol­legen. Das war geil, weil der Fuß­ball als Schmier­mittel gewirkt hat. Wer mon­tags zur Schicht ging, wusste, ob er eine Woche ein­ste­cken musste oder die Fresse auf­reißen konnte.

Peter Közle, konnten Sie als Zuge­zo­gener aus Bayern eigent­lich die Pro­bleme des Ruhr­ge­biets ein­ordnen?
_ Yves Eigen­rauch: Ich bin auch Zuge­zo­gener.

Yves Eigen­rauch, Sie kommen aus Minden in Ost­west­falen. Da ist die Umstel­lung für einen Bayer doch etwas härter.
_ Eigen­rauch: Ver­gli­chen mit dem Ruhr­ge­biet ist Ost­west­falen eine andere Region. Da gibt es kaum grund­sätz­liche Unter­schiede, ob ich aus Bayern oder aus Ost­west­falen hierher komme. Außer viel­leicht die Ent­fer­nung.
_ Peter Közle: Ich habe es jeden­falls nicht begriffen. Ich habe in der Zei­tung gelesen, dass Tau­sende ihren Job ver­lieren, und war dabei, als Hoppi sich bei seinen Kol­legen ein­ge­reiht hat. Aber ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mir wegen der Schick­sale der Arbeiter den Kopf zer­bro­chen habe.
_ Hopp: Deine erste Woh­nung haben wir dir direkt am Hoch­ofen in Duis­burg-Beeck gesucht. Drei Straßen weiter habe ich gewohnt, damit ich auf dich auf­passen konnte.
_ Közle: Beeck fand ich geil. Aus dem Fenster konnte ich die Hoch­öfen von Bruck­hausen sehen. Meine erste Nacht in Duis­burg werde ich nie ver­gessen.

Was war pas­siert?
_ Közle: Mitten in der Nacht war meine Woh­nung plötz­lich tag­hell erleuchtet. Ich dachte, Beeck brennt ab und wollte die Feu­er­wehr rufen. Dabei hatte nur im Stahl­werk die Schicht begonnen.
Hopp: Der heiße Stahl erleuch­tete den Stadt­teil. Wir waren das gewohnt, aber der Bayer stand kurz vorm Herz­in­farkt.
Közle: Mit der Zeit habe ich mich auch an die schwarzen Gesichter der Arbeiter gewöhnt. Ich kam vom Trai­ning, hatte zwei Stunden ein biss­chen geschwitzt und dachte, ich sei der Größte. Dann kamen mir die Kumpel ent­gegen. Die haben acht Stunden gebu­ckelt und wollten Auto­gramme von mir. Ich merkte: Scheiße, hier ist nicht alles so schön. Hier ist jeden Tag Drama hinter dem Leben, weil keiner weiß, ob es morgen wei­ter­geht.“


Yves Eigen­rauch. Foto: Thomas Rabsch.

_ Gab es denn nun 1997 dieses beson­dere Gefühl der Zusam­men­ge­hö­rig­keit im Revier über­haupt?
Rein­hardt: Wir haben die Cham­pions League geholt, vorher habt ihr, Yves, den UEFA-Pokal gewonnen. Das war mitten in der Phase der großen Arbeits­lo­sig­keit. Wenigs­tens über den Sport gab es also posi­tive Nach­richten. Überall hörte man die Ruhrpott“-Rufe, die Fans hatten das Gefühl: Wir sind wer! Über den Fuß­ball haben sich viele neu auf­ge­stellt.
Eigen­rauch: Dabei stellt sich die Frage, ob es sinn­voll ist, sich besser zu fühlen, weil zwei Klubs zwei blöde Titel geholt haben.

_ Das Wunder von Bern“ 1954 soll bei­spiels­weise dieses Wir sind wieder wer“-Gefühl erzeugt haben.
Eigen­rauch: Dass das immer so war, steht außer Frage. Man müsste eine sozio­lo­gi­sche Ana­lyse machen, warum das so ist.
Közle: Ich muss auch noch mal nach Hause.

_ Spielt Soli­da­rität im Revier eine grö­ßere Rolle als anderswo?
Eigen­rauch: Das mag viel­leicht noch in den Neun­zi­gern so gewesen sein. Heute ist das anders, weil die klas­si­sche Soli­dar­ge­mein­schaft schlichtweg nicht mehr exis­tiert. Nicht mehr im Ruhr­ge­biet und auch nir­gends sonst in diesem Land.
Közle: Als zuletzt in Bochum wieder die Opel-Werke von der Schlie­ßung bedroht waren, war dieses Gefühl zu spüren. Auch der VfL hat Soli-T-Shirts dru­cken lassen, mit denen die Spieler ins Sta­dion ein­ge­laufen sind. Das ist alles wun­derbar. Aber wenn du nicht aus dieser Region kommst, wenn dein Vater nicht selbst am Band gestanden und seinen Job ver­loren hat, dann ist diese Soli­da­rität lach­haft. Die Spieler feuern die Shirts in die Ecke. Denen ist das egal, ob Opel dicht­ge­macht wird. Die gehen nach Hause und hauen sich den Hummer rein.