Am 27. April 1985 erzielte Darmstadts Wilhelm Huxhorn ein Tor aus 102 Metern – es brachte ihm einen Guinness-Eintrag und Kultstatus bei den Fans. Sein ehemaliger Mitspieler Uwe Kuhl erinnert sich.
Uwe Kuhl, die Geschichte über das 102-Meter-Tor von Wilhelm Huxhorn kann vermutlich jeder Darmstadt-Fan erzählen. Gesehen haben es allerdings nur ganz wenige.
Wir spielten damals bei Fortuna Köln, der stets im Schatten des großen FC stand. Zu den Spielen kamen selten mehr als 2000 Zuschauer. Als wir am 27. April 1985 dort antraten, verirrten sich gerade mal 400 Leute im Stadion. Eine wirklich gespenstische Kulisse. Doch ich konnte die Fans verstehen, denn an jenem Tag regnete es in Strömen. Da ging niemand vor die Tür – außer ein paar Hartgesottene.
Waren damals Sportschau-Teams im Stadion?
Nein. Das Tor wurde tatsächlich nur von 400 Leuten gesehen – und die, die gerade Wurst holten, ärgern sich vermutlich noch heute. Es hielt sich ja auch lange das Gerücht, dass der Treffer bei der ARD zum „Tor des Monats“ gekürt worden sei. Doch ich glaube das nicht. Wie hätte man das auch zeigen sollen? Sie hätten es nachstellen müssen. (Tatsächlich wurde im April 1985 ein Tor von Pierre Littbarski zum „Tor des Monats“ gekürt, d. Red.)
Wilhelm Huxhorn bekam einen Eintrag ins „Guinness Buch der Rekorde“. Eine große Ehre für ihn?
Auf jeden Fall. Das machte ihn sehr stolz. Und auch wir Spieler freuten uns wahnsinnig. Schon nach dem Spiel gab es kein anderes Thema. Dabei verloren wir das Spiel 2:4.
Wir erlebten Sie das Tor?
Wilhelm hatte immer schon einen sehr mächtigen Schuss, wir machten in den achtziger Jahren zahlreiche Tore nach seinen weiten Abstößen, manchmal bereitete er direkt vor, andere Male folgten nur zwei oder drei weitere Ballkontakte. In jenem Spiel saß ich zunächst auf der Ersatzbank, kam erst in der 60. Minute. Es war in der MItte der ersten Halbzeit, als Wilhelm Huxhorn den Ball im eigenen Strafraum sicherte. Er lief dann bis zur Strafraumgrenze – damals durfte der Torwart den Ball ja noch länger in der Hand behalten – und hämmerte den Ball nach vorne.
Kölns Torwart Robert Hemmerlein wusste nichts von Huxhorns wuchtigen Abschlägen?
Vermutlich nicht, denn er stand sehr weit vor seinem Tor, zunächst auf dem Elfmeterpunkt, dann am Strafraum, und als er den Ball fliegen sah, sprintete er noch weiter nach vorne, weil er die Flugbahn falsch einschätzte. Doch der Ball flog und floooog. Und dann machte Hemmerlein einen schweren Fehler: Er stoppte ab. Der Ball titschte also vor ihm auf, gewann durch den nassen Rasen an Fahrt und sprang über ihn hinweg ins Tor.
Die Geburtstunde des neuen Lilien-Schlachtrufes „Zieeeh, Wilhelm, zieeeh!“
Die Fans animierten Huxhorn danach immer wieder, es erneut zu versuchen. Und das tat er gelegentlich auch – leider hat’s aber nie wieder so gepasst wie in jenem Spiel bei Fortuna Köln.
Wilhelm Huxhorn litt seit 2001 an Leukämie und ist am 15. April 2010 gestorben. Hatten Sie nach Ihrer aktiven Zeit noch Kontakt?
Wilhelm war nicht nur Mitspieler, sondern auch ein Freund. Wie viele andere 98er, mit denen ich damals zusammenspielte. Das lag auch daran, dass die meisten Spieler aus der Region kamen, etwa Gerhard Lachmann oder Rafael Sanchez. Wir waren eine eingeschworene Truppe, ein Team von guten Kumpels. So hatte wir bis zuletzt auch Kontakt zu Wilhelm.
Wie war es in den letzten Monaten?
Auch wenn es ihm schlechter ging, verlor er nicht seinen Lebensmut. Einmal kam er zu mir und sagte: „Die Ärzte haben mich längst aufgegeben, doch sieh mich an, ich lebe immer noch.“ In den letzten Jahren spielte er sogar noch in der Traditionsmannschaft von Darmstadt 98 – je nachdem wie es ihm gesundheitlich ging. Im Winter 2009 sagte er das jährliche Treffen am 30. Dezember ab.
Wie behalten Sie ihn in Erinnerung?
Als einen sehr ehrgeizigen und humorvollen Jungen. Als einen Pfundskerl. Als echten Freund.