Dirk Zingler, Sie kommen gerade aus dem Sommerurlaub aus Portugal. Wie war das Wetter?
Dirk Zingler: Gut, besser als in Berlin. Und: es war schön bei meiner Familie zu sein. Ich denke es ist entscheidend, wie die Familie und Freunde mit so einer Medienkampagne umgehen.
Die Berliner Zeitung hat während Ihres Urlaubs enthüllt, dass Sie Anfang der Achtziger in einem Wachregiment des Ministeriums für Staatssicherheit gedient haben, dem Regiment Feliks Dzierzynski. Eine „Kampagne“, wie Sie sagen. Falls diese Berichterstattung eine Kampagne sein sollte, was ist ihr Antrieb?
Dirk Zingler: Enthüllt haben sie gar nichts. Aber darüber habe ich auch nachgedacht. Ich habe noch keine Antwort, keine jedenfalls, die ich belegen und beweisen kann. Die Berichterstattung ist für mich absurd.
Weshalb?
Dirk Zingler: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ein Autor im Tagesspiegel schrieb: Dirk Zingler hatte keine Westkontakte – er muss ein Hundertprozentiger (sehr überzeugter Anhänger der DDR, d. Red.) gewesen sein.
Ist das falsch?
Dirk Zingler: Ja. Das Leben funktioniert nicht so linear. Meine Familie stammt aus Berlin. Mein Vater kommt aus Friedrichshain, meine Mutter aus dem Wedding. Im August 1961 war meine Mutter schwanger mit meinem Bruder, da entschied sie sich in Friedrichshain zu bleiben, bei meinem Vater, im Osten. Das war mein Schicksal. Hätte mein Vater entschieden, nach Wedding zu meiner Mutter zu ziehen, wäre ich ein Westdeutscher geworden. So ist das Leben und es ist für die große Mehrheit kein Verdienst oder Versagen, auf der einen oder der anderen Seite aufgewachsen zu sein. Jetzt wollen Experten meine Biografie bewerten. Nachlesbar für Jedermann. Mit welchem Recht? Ich bin kein Politiker, der sich um ein öffentliches Amt bewirbt.
Sie sind eine Person öffentlichen Interesses.
Dirk Zingler: Die Begründung der Berliner Zeitung war: Wir müssen der Unionfamilie sagen, wo ihr Präsident vor 30 Jahren gedient hat. Viele wussten es vorher schon. Sie hat es aber nicht nur den Fans von Union gesagt, sondern der allgemeinen Öffentlichkeit.
Nicht nur die Berliner Zeitung hat über Ihre Vergangenheit berichtet, auch der Tagesspiegel, die BZ, die Bild. Was haben Sie im Wachregiment gemacht?
Dirk Zingler: Ich habe Wache gestanden. Am Regierungskrankenhaus Buch. Ein langweiliger Job. Man steht. Es passiert nichts. Manchmal hat man Schießtraining. Nach drei Jahren war das Warten vorbei.
Sie haben also nie Leute bespitzelt?
Dirk Zingler: Nein. Ich war nie offizieller oder inoffizieller Mitarbeiter bei der Stasi.
Haben Sie niemals darüber nachgedacht, dass Ihr Regiment dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellt war?
Dirk Zingler: Nein. Es hätte dem Papst oder Erich Honecker direkt unterstellt sein können. Das war mir egal. Ich wollte in Berlin dienen und stand Wache, mehr nicht. Der Begriff Stasi war damals für mich noch nicht mit dem Wissen verbunden, welches mir heute bekannt ist. Deshalb sollte man Handlungen, wenn man sie bewertet, in den richtigen zeitlichen Kontext bringen. Wenn bestimmte Medien das nicht tun, ist es für mich auch nicht wichtig, was sie schreiben.
Nein?
Dirk Zingler: Nein. Es ist nicht so relevant, denn es hat oft wenig mit der Realität zu tun, mit dem wirklichen Leben oder der Lebensleistung eines Menschen. Ich habe im Urlaub versucht, mich von der Berichterstattung über meine Person fernzuhalten.
Ist es Ihnen gelungen?
Dirk Zingler: Ja, einigermaßen. Hin und wieder hatte ich aber Kontakt mit unserem Pressesprecher.
Die Veröffentlichung der Berliner Zeitung ist auf großes Interesse gestoßen. Die Fans von Union diskutieren auf einem Internetforum über Ihre Vergangenheit. Hat Sie diese Aufmerksamkeit überrascht?
Dirk Zingler: Die Intensität der Diskussion hat mich überrascht. Es ist dort aber sehr differenziert und offen diskutiert worden. Ich habe sehr viel Unterstützung aus der Fanszene erhalten. Es geht schließlich um einen Vorgang, der fast 30 Jahre zurück liegt. 2004 hatten wir einen ähnlichen Fall. Ein damaliges Präsidiumsmitglied hat einst im gleichen Regiment gedient wie ich. In seinem Fall ging die Presse aber ganz anders damit um. Wir haben den Vorwurf dann gemeinsam mit Fans und Pressevertretern geprüft und festgestellt: Da ist nichts. Außer ein Wehrdienst im Wachregiment.
Die Berliner Zeitung hat Sie vor der Enthüllung um Stellungnahme gebeten.
Dirk Zingler: Ich bin am Abend vor der Veröffentlichung vom Strand gekommen. Ich machte mein Handy an und sah mehrere SMS unseres Pressesprechers. Ich hatte eine halbe Stunde Zeit, fünf Fragen der Berliner Zeitung zu beantworten. Ich habe sie beantwortet, per Telefon gegenüber unserem Pressesprecher. Die anderen Zeitungen haben das übernommen.
Die Berliner Zeitung sagt, Sie hätten sich geweigert, in Ihrem Urlaub ein Interview am Telefon zu geben.
Dirk Zingler: Die Frage lautet doch, warum wartet die Zeitung, obwohl sie meine Akte Wochen vorher beantragt hatte, bis ich im Urlaub bin. Ich hatte eine halbe Stunde Zeit zu reagieren. Das war wenig.
Im Interview mit der Berliner Zeitung sagten Sie, Ihnen sei erst zu Dienstantritt bewusst geworden, dass ihr Regiment zum MfS gehört. Bevor Sie Ihren Dienst antraten, unterzeichneten Sie eine Bereitschaftserklärung. Darauf stand in großen Lettern: Ministerium für Staatssicherheit. So groß, dass man es kaum übersehen kann.
Dirk Zingler: Meine Aussage war eine andere. Ich habe im Interview mit der Berliner Zeitung gesagt, dass ich bei der Musterung nicht wusste, dass mein Wehrdienst in einem Regiment stattfindet, dass dem MfS unterstellt war. Ich habe bei meiner Musterung gesagt, dass ich in Berlin bleiben will. Die Herren dort sagten mir: „Das geht nur, wenn Sie drei Jahre dienen“.
Dann haben Sie zugesagt.
Dirk Zingler: Zugesagt? Als ob man da etwas zusagen konnte. „Ja“ habe ich gesagt mit 18, als klar war, dass der Standort Berlin hieß und meine Tätigkeit „Wache stehen“ sein sollte. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, wem das Regiment unterstellt war. Noch einmal: Ob dieses Regiment dem Papst oder Erich Honecker unterstellt war oder Erich Mielke, das hatte für mich damals keine Bedeutung. Das Wichtige war, dass ich in Berlin wohnen konnte. Dass nun, fast 30 Jahre später, Menschen diesem Vorgang Bedeutung beimessen, verstehe ich zum Teil. Insbesondere, wenn es Menschen sind, die tatsächlich unter diesem System gelitten haben.
Haben sich denn Opfer des Systems bei Ihnen gemeldet?
Dirk Zingler: Ich habe viele positive Zuschriften bekommen, unter anderem auch von einem Opferverband von Stasi-Verfolgten.
Und?
Dirk Zingler: Die sagen, ich soll alle verklagen, die mich mit der Stasi in Verbindung bringen. Wenn ich ein Verbrecher gewesen sein soll, dann bagatellisiert man die tatsächlichen Verbrechen von hauptamtlichen und inoffiziellen Stasi-Mitarbeitern.
Christian Arbeit, Union Berlins Pressesprecher, sagte wenige Tage nach der Veröffentlichung in einer Ansprache im gefüllten Union-Stadion: „Ich glaube, dass wir uns die Dinge nicht von Leuten erklären lassen müssen, die damals gar nicht hier waren.“ Macht es einen Unterschied, ob Sie ein Ost- oder Westdeutscher kritisiert?
Dirk Zingler: Das ist keine Frage von Ost oder West und diese Begriffe fielen auch gar nicht. Fragen Sie doch mal einen Münchner, ob er sich von einem Hamburger erklären lassen würde, wie er Vereinspolitik machen soll.
Wie würden Sie einem Nichtbetroffenen erklären, wie das war, damals in der DDR?
Dirk Zingler: Die Menschen, die in diesem System lebten, haben alle sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht, gute und schlechte, die Mehrheit neutrale. Die Mehrheit lebte in ihrer Familie, in ihrem sozialen Umfeld. Ein Teil hat das System geprägt, ein Teil wurde vom System verfolgt. Die Mehrheit der 17 Millionen DDR-Bürger hat sich mit dem Staat arrangiert, einfach ihr Leben gelebt. Die politischen Verhältnisse in einem Land sind nur eine Komponente von vielen. Damit will ich nichts bagatellisieren, was wirklich Mist in diesem System war. Davon gab es einiges. Die große Mehrheit der Menschen in der ehemaligen DDR muss sich jedoch für nichts schämen in ihrem Leben. Auch sie können stolz auf ihre persönliche Lebensleistung sein.
Union Berlin gilt inzwischen als ehemaliger Anti-Stasi-Verein, BFC Dynamo, der Lokalrivale aus Hohenschönhausen, hingegen als einstiges Spielzeug des MfS. Haben Sie damals den BFC gehasst, weil er das System repräsentierte?
Dirk Zingler: Ich bin mit sieben Jahren Unioner geworden und hatte deshalb automatisch Feindbilder im Fußball. Das hatte aber für mich nicht vorrangig mit der Stasi zu tun. Schon gar nicht mit 7. Man wird Fußballfan und die Alten auf den Rängen sagen einem, wer blöd ist. Mein Sohn ist 1988 geboren, schon mit Zehn konnte er die Hohenschönhausener nicht leiden und da gab es die Stasi längst nicht mehr. Das wird vererbt. Fragen Sie mal einen zehnjährigen Schalke-Fan, dessen ganze Familie königsblau ist, was er über Dortmund denkt.
Es gibt also keine politische Dimension in diesem Konflikt.
Dirk Zingler: Natürlich gab es die, für mich aber nicht so vordergründig. Uns ist tierisch auf den Sack gegangen, dass Spiele gegen die Hohenschönhausener wenn nötig auch 100 Minuten dauerten. Der BFC war Mielkes Spielzeug und es sind sportliche Entscheidungen getroffen worden, weil Mielke es so wollte. Deshalb sind sie auch zehn Mal hintereinander Meister geworden und deswegen konnte sie keiner leiden.
Man war als Fan von Union also eher gegen einen Fußballklub, den BFC, als gegen das System im Allgemeinen?
Dirk Zingler: Das war von Fan zu Fan sicher verschieden. Bei Union gab es alles: vom Wehrdienstverweigerer zum NVA-General, vom Parteisekretär zum Ausreiseantragsteller. Die Menschen kamen zu Union, auch um abzuschalten. Es ist noch immer so. Auf unseren Rängen stehen Menschen unterschiedlichster Art. Sie stehen nebeneinander und trinken ihr Bier. Und nach dem Spiel gehen die einen zurück in ihr Vorstandszimmer und andere in die Schlosserhalle.
Sie haben einmal Sitze im Union-Stadion entfernen lassen, weil sie zu sehr an das Weinrot des BFC erinnerten. War das wirklich nötig?
Dirk Zingler: Ja. Und wenn ich hier einen Spieler sehe, der eine weinrote Unterhose unter seiner Hose trägt, dann kläre ich ihn auf. Das ist wie Blau gegen Gelb, Schalke gegen Dortmund. Im Stadion stehen junge Menschen, 16 bis 20 Jahre alt. Die können den BFC auch nicht leiden, obwohl sie nicht in der DDR gelebt haben. Diese Rivalität muss man uns lassen. Das hat nichts mit Politik zu tun, das ist Fußball.