Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Chris­toph Nagel, der Titel der Aus­stel­lung lautet Fuck you Freu­den­haus“. Ganz schön pro­vo­kant.
Uns war wichtig zu zeigen, dass das Mill­erntor viel mehr ist als das Kli­schee vom Freu­den­haus der Liga“ mit den ewig fei­ernden Fans. Natür­lich gibt es bei uns sehr viel Anlass zur Freude. Aber dazu gehört auch der Umgang mit Nie­der­lagen, den muss man als St. Pauli-Fan ebenso beherr­schen (lacht). Außerdem ist das Mill­erntor ein Ort, an dem sehr viel poli­ti­sche Arbeit und Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­ar­beit statt­findet.

Auf der Fläche sollte ursprüng­lich eine Poli­zei­wache ent­stehen.
Geplant war eine kom­bi­nierte Wache für das Volks­fest Dom“ und die Fuß­ball­spiele am Mill­erntor. Nach vehe­menten Pro­testen aus der Fan­szene gegen einen Poli­zei­pa­last im Pira­ten­schiff“ und für ein FC St. Pauli-Museum an dieser Stelle wurde dann eine externe Lösung für die Poli­zei­wache in Angriff genommen. Für die sieht es dem Ver­nehmen nach gut aus, wenn auch die letzten Unter­schriften noch fehlen.

Beim Betreten der Aus­stel­lung laufen die Besu­cher durch einen Spie­ler­tunnel, der dem echten nach­emp­funden ist. Im Hin­ter­grund hört man ori­ginal Sta­di­on­ge­sänge und die Ein­lauf­hymne Hells Bells“ von AC/DC. Wie wichtig ist Ihnen Authen­ti­zität?
Für diese tem­po­räre Aus­stel­lung wie auch das zukünf­tige FC St. Pauli-Museum ist uns wichtig, nicht nur nur den Kopf anzu­spre­chen, son­dern auch die Sinne und Emo­tionen. Und ver­mut­lich gibt es keinen St. Pau­lianer, der nicht gerne wissen möchte, wie es sich anfühlt, am Mill­erntor auf­zu­laufen. Darum haben wir diese Erfah­rung gleich zum Ein­stieg ein­ge­baut. Man blickt am Ende auf ein Pan­ora­ma­foto, das vor einem aus­ver­kauften Heim­spiel exakt aus der­selben Per­spek­tive auf­ge­nommen worden ist, wie sie Spieler beim Ein­laufen haben. Der Sound wurde im Innen­raum genau beim Spie­ler­tunnel auf­ge­nommen, und ein fetter Laut­spre­cher unter dem Fuß­boden sorgt dafür, dass die ganze Erfah­rung wirk­lich durch Mark und Bein“ geht. Es ist also alles so nah am Ori­ginal wie mög­lich. Nur die Stol­len­schuhe müssen die Leute selber mit­bringen. 

Eines der High­lights der Aus­stel­lung ist ein Miniatur-Modell des Mill­ern­tors. Was ist das Beson­dere daran?
Das Modell wird von einem Ehe­paar aus Duis­burg im Maß­stab 1:100 gebaut, Vero­nika und Holger Tri­bian. Es ist schon sehr weit und beein­dru­ckend detail­liert, aber natür­lich noch nicht ganz fertig, unter anderem weil die neue Nord­tri­büne noch gar nicht da ist. Der Bau ist für die beiden beson­ders span­nend und anspruchs­voll, weil das neue Mill­erntor nach und nach ent­steht und die Tri­bünen alle etwas anders aus­sehen. Man kann übri­gens für dieses Miniatur-Sta­dion auch eine Dau­er­karte“ erwerben: Wer das tut, kann ein Foto an unsere Modell­bauer schi­cken und sich im Maß­stab 1:100 nach­bauen lassen. Jeder Fan wird auf seinem Lieb­lings­platz im Sta­dion plat­ziert. Wenn er noch nicht besetzt ist. Ein paar hun­dert Ein­wohner“ hat das Miniatur-Mill­erntor ja schon.

» Hier geht’s zur Bil­der­ga­lerie Fuck you Freu­den­haus“

Über die Jahre sollte das alte Mill­erntor von 1961 schon häufig umge­baut werden. Dazu ent­standen zahl­reiche Ent­würfe, auch diese stellen Sie aus. Wel­cher Ent­wurf ist Ihnen beson­ders in Erin­ne­rung geblieben?
Es gab immer wieder die wil­desten Pläne für die Sport­plätze auf dem Hei­li­gen­geist­feld. Einer der ältesten stammt aus den zwan­ziger Jahren und trägt den mar­tia­li­schen Namen Deut­scher Kampf­platz am Mill­erntor“. Die Bau­pläne sahen sogar vor, das Sta­dion mit motor­be­trie­benem Dach zu bauen, so ähn­lich wie bei der Arena auf Schalke.

Ein wei­teres Detail der Aus­stel­lung ist eine Rasen­in­stal­la­tion, die unter anderem einen Rüben­acker“ zeigt. St. Pauli bekam seinen ersten Rasen­platz erst 1925. Dieser wurde aber wenig später zer­stört, weil eine Land­wirt­schafts­aus­stel­lung auf dem Gelände statt­fand. Eine Hom­mage an diese Zeit?
Könnte man so sehen. Als die Bayern in den acht­ziger Jahren über den Rüben­ackermit der feind­se­ligen Stim­mung“ schimpften, hatten sie natür­lich keine Ahnung, dass am Mill­erntor früher wirk­lich einmal Land­wirt­schafts­aus­stel­lungen statt­ge­funden haben: Bevor es den ersten Rasen­platz gab, hatten die Urahnen der Kiez­ki­cker“ über 25 Jahre lang auf Grand gespielt. Dann bekamen sie end­lich einen anstän­digen Tep­pich“ – aber das Pro­blem war, dass die Fläche nur von der Stadt gemietet war und ein Nut­zungs­recht für die Stadt Ham­burg beinhal­tete. Als die Spieler eines Tages vor ihrem schönen neuen Platz standen und trai­nieren wollten, mussten sie mit ansehen. wie mitten auf dem Rasen Gräben aus­ge­hoben wurden, Kar­tof­fel­ver­schläge ent­standen und Zucht­bullen über das Spiel­feld liefen. Das Absurde: Als der Platz wieder auf­ge­baut war, pas­sierte wenige Jahre später das­selbe noch einmal! 

Was zeigen die anderen Teile der Rasen-Instal­la­tion? 
Die ver­schie­denen Extrem­zu­stände, in denen sich der Unter­grund des Mill­erntor-Sta­dions befunden hat. Zum Bei­spiel die Schlamm­wüste“, die ent­stand, weil Anfang der Sech­ziger keine Drai­nage unter dem Rasen ein­ge­baut worden war. Oder das Schnee-Inferno“ vom DFB-Pokal­spiel gegen Werder von 2006, Klaus Allofs wird sich bestimmt noch erin­nern.

Der Comic-Zeichner Guido Schröter hat eben­falls Expo­nate für die Aus­stel­lung gelie­fert: Seine Werke nehmen die ver­schie­denen St. Pauli-Fan-Kli­schees auf den Arm.
Die lebens­großen Figuren zeigen ver­schie­dene Fan-Arche­typen“ beim FC St. Pauli. In den acht­ziger Jahren ent­stand ja die bei­nahe sprich­wört­liche Vor­stel­lung, dass am Mill­erntor Banker und Punker neben­ein­ander stehen. Ein Körn­chen Wahr­heit steckt in diesem Kli­schee bis heute, aber über die Jahre sind immer mehr Typen“ hin­zu­ge­kommen: Da ist der ewig sin­gende Ultra, der kif­fende Dauer-Stu­dent“ oder der Medien-Hipster“, der eigent­lich nur hin­geht, weil er es irgendwie cool findet und St. Pauli für kultig hält. Wir stellen diese Kli­schees realen Fan­grup­pie­rungen gegen­über und lassen auch inter­na­tio­nale Fans von Eng­land bis Bra­si­lien zu Wort kommen, ebenso wie Ein­wohner des Stadt­teils.

Nervt es Sie, wenn der FC St. Pauli als Kult-Verein“ titu­liert wird?
Die Kult“-Vokabel ist mitt­ler­weile bei vielen Fans auf dem Index gelandet. Ein Pro­blem an dem Wort ist, dass es nichts aus­sagt. Eigent­lich ist Kult“ so etwas wie ein Syn­onym für egal“, und das wird diesem Verein nicht gerecht. Diese Fan­szene zeichnet noch so viel mehr aus als die Lust am Feiern, zum Bei­spiel eine große Lei­dens­fä­hig­keit in Ver­bin­dung mit Selbst­ironie. Hier trägt man auch ein 1:8 gegen den FC Bayern mit Fas­sung und ohne Pfiffe. Das finden einige viel­leicht kultig“, ich finde es nur sym­pa­thisch.

Beim FC St. Pauli gibt es kaum Pokale, die man aus­stellen könnte. Sie ordnen dafür einem anderen Exponat eine zen­trale Rolle und stellen die Sta­di­on­ord­nung in einem Schrein aus. Im Raum nebenan geht es unter anderem um den Mill­ern­tor­knigge“, einen infor­mellen Ver­hal­tens­kodex, den die Fans über Jahre ent­wi­ckelt haben. Wie hat sich dieser Knigge über die Jahre ver­än­dert?
Wie so vieles, das beim FC St. Pauli gut und wichtig ist, wurde auch die deutsch­land­weit erste Sta­di­on­ord­nung, die rechte, ras­sis­ti­sche und homo­phobe Parolen explizit verbot, von Fans erkämpft. Es ist wichtig zu wissen, dass auch bei St. Pauli nicht von Anfang an alles anti­fa­schis­tisch war, son­dern dass der heu­tige Grund­kon­sens gegen Rechts einer Gruppe enga­gierter St. Pau­lianer zu ver­danken ist. Die haben sich in den acht­ziger Jahren gegen die Rechten gerade gemacht, die es im Sta­dion gab. Neben der for­mellen Sta­di­on­ord­nung ist über die Jahre auch ein infor­meller Mill­ern­tor­knigge ent­standen, der eine ganze Reihe an Do’s“ und Don’ts“ umfasst, etwa dass man die eigenen Spieler nicht aus­pfeift. Wobei so ein info­meller Kon­sens natür­lich per­ma­nent neu aus­ge­han­delt wird durch das Ver­halten jedes ein­zelnen Sta­di­on­be­su­chers.

Welche Teile der Aus­stel­lung sollte man außerdem her­vor­heben?
Es gibt im Mill­erntor auch eine Sta­dion-Kita. Wir haben die Kinder dort gebeten, selbst einen Raum zu gestalten. Die haben zum Bei­spiel Mill­erntor-Modelle aus Lego oder Pappe gebaut und auch von ihren Besu­chen im Sta­dion berichtet. Ein Kind schrieb: Die Zuschauer rufen ganz laut St. Pauli, stampfen und trinken Bier.“ 

» Hier geht’s zur Bil­der­ga­lerie Fuck you Freu­den­haus“

Die Aus­stel­lung Fuck you Freu­den­haus“ ist noch bis ein­schließ­lich 30.08 geöffnet. Infos unter: www​.mill​erntor​-aus​stel​lung​.de. Bei der öffent­li­chen Finis­sage am 30. August ab 18:30 bereitet Rock’n’Roll-Koch und St. Pauli-Fan Ole Plog­stedt („Rote Gourmet Frak­tion“ / Die Koch­profis“) live auf der Bühne im Aus­stel­lungs­foyer den Sta­dion-Snack der Zukunft“ zu. Anschlie­ßend Party mit DJ DSL.