Toni Schu­ma­cher, stimmt die Geschichte, dass sie im EM-Finale 1980 mit gebro­chener Hand gespielt haben?

Ja, die Mit­tel­hand war’s. Es pas­sierte im Abschluss­trai­ning, als mir jemand drauf trat. Aber wer lässt sich schon gern ein End­spiel ent­gehen? Ich habe also meinen Arzt in Köln ange­rufen, der dann nach Rom ein­flog und mir eine schöne Dröh­nung ver­passte.

Was meinen Sie mit schöner Dröh­nung“?


Betäu­bung.

Eine Betäu­bung lässt im Laufe des Spiels aber irgend­wann nach
.

Dann wurde in der Halb­zeit nach­ge­laden. Außerdem habe ich schon in den frühen 70ern auto­genes Trai­ning gemacht, was mir zusätz­lich dabei geholfen hat, die Gedanken an Schmerzen zu ver­drängen.

Gab es im EM-Finale von 1980 eine Situa­tion, in der sie Ihre Ver­let­zung gespürt haben?


Nein, es war ja betäubt. Und den Mit­tel­hand­bruch habe ich ein­fach fest getaped. Wenn ich sonst mit einem gebro­chenem Finger spielte, habe ich meine Hand­schuhe ent­spre­chend prä­pa­riert. Meine Schwester hatte geschwun­gene Haar­spangen aus Horn, die ich in die Hand­schuhe ein­ge­ar­beitet habe und so die Belas­tung von dem ver­letzten Finger nahm.

Was waren ansonsten Ihre schmerz­haf­testen Ver­let­zungen?

Das hin­tere Kreuz­band ist gerissen, das ist nie richtig gemacht worden. In der Folge wurde ich dort sechs Mal ope­riert und der Meniskus wurde geglättet. Am linken Knie hat man mich zweimal ope­riert, eben­falls am Meniskus. Und natür­lich taten mir die Finger immer weh. Ich habe mir Daumen und Finger gebro­chen, ich hatte Kapsel- und Seh­nen­risse. Fast jeder Finger ist in Mit­lei­den­schaft gezogen. Zum Spiel wurden sie betäubt, aber nicht im Trai­ning. Bei einem Kap­sel­riss hatte man eine dicke Wurst“, aber man musste weiter trai­nieren. Eigent­lich hätte ich sie schienen lassen müssen oder in Extrem­fällen sogar ein­gipsen. Das habe ich aber nie machen lassen. Auch aus Ego­ismus, denn wenn ich spielte, konnte es kein anderer tun.

Sie hatten ständig Schmerzen und haben trotzdem gespielt?

Das gehörte dazu. Ich hatte mein Leben lang Schmerzen, auch heute noch. Mir tun die Finger weh, die Gelenke. Aber ich bin so erzogen worden.

Haben Sie nie über die mög­li­chen Folgen nach­ge­dacht?

Das machte man nicht. Heute mag das anders sein. Ich habe zwar gutes Geld ver­dient, konnte mit Fuß­ball aber nicht aus­sorgen. Des­wegen habe ich um Ver­let­zungen kein großes Auf­heben gemacht, schließ­lich ging es uns auch um Punkte- und Auf­lauf­prä­mien.

Wie gingen sie mit den Ver­let­zungen im Profi-Alltag um?

Zwi­schen den Spielen nutzte ich jede Minute, die Finger zu rege­ne­rieren. Des­wegen habe sie z.B. nachts mit Salbe ein­ge­rieben und ruhig gestellt, was gar nicht so ein­fach ist.

Was haben Ihnen die Ärzte geraten? Ein Team-Arzt kann einen Tor­wart doch nicht guten Gewis­sens mit gebro­chenen Fin­gern auf den Platz schi­cken.

Den Ver­eins­ärzten habe ich immer gesagt: Ob ich spiele oder nicht, ent­scheide ich. Es sei denn, mein Leben ist in Gefahr.“ Ich habe eine lange Narbe über dem Knie, die ich mir in einem Mitt­woch­abend-Spiel zuge­zogen habe. Die Ver­let­zung sah aus wie damals bei Ewald Lienen. Der Riss wurde noch wäh­rend des Spiels ver­bunden, nach dem Spiel bin ich ins Kran­ken­haus gefahren und habe die Wunde mit 20 Sti­chen nähen lassen. Am Samstag habe ich dann wieder gespielt. Mir war bewusst: Im schlimmsten Fall reißt die Naht wieder auf.

Und dann?

Dann wird eben nochmal genäht.

Schmerzen sind also ein wesent­li­cher Bestand­teil des Profi-Jobs?

Auf jeden Fall. Wenn ich mich Kopf voran ins Getümmel stürzt, habe ich nicht dar­über nach­ge­dacht, ob es mir oder einem anderen Spielen Schmerzen bereitet. Ich habe nur den Ball fokus­siert. Erst nach dem Spiel regis­triert man, was alles weh tut. 1974 hatte ich einen Kreuz­band­riss, Wolf­gang Frank ist damals in mich rein­ge­rutscht. Dann habe ich zwei Tage Pause gemacht, mir wurde mir ein halber Liter Blut aus dem Knie geholt und am Samstag habe ich dann wieder gespielt – ohne Kreuz­bänder und mit einem rie­sigen Ver­band.

Wie ist das mög­lich?

Reine Kopf­sache.

Und die Ursache für die Arthrose, unter der Sie heute leiden?

Ja.

1974 standen Sie erst am Anfang Ihrer Kar­riere. Hatten Sie nie Angst vor einer früh­zei­tigen Inva­li­dität?

Nein, auch wenn mein Arzt meinte: Irgend­wann wirst du Rie­sen­pro­bleme mit deinem Knie bekommen.“

Der Arzt hat also doch was gesagt. Wie war das mit den Trai­nern? Sagten die eher so etwas wie: Stell dich nicht so an!“

Ich hab mich ja nie ange­stellt (lacht). Die Trainer haben sich natür­lich auf die Ver­eins­ärzte und Phy­sio­the­ra­peuten ver­lassen. Und ob ich nach dem Spiel einen dicken Finger hatte, inter­es­sierte nie­manden. Mich im Übrigen auch nicht.

Es wurde getaped und betäubt. Wie normal war der Konsum von Schmerz­mit­teln zu Ihrer aktiven Zeit, um durch den Tag zu kommen?

Tabletten wurden regel­mäßig genommen. Soviel, dass ich heute den Ein­druck habe, manche nicht mehr zu ver­tragen oder das die nicht mehr wirken.

Was heißt viel? Jeden Tag?

Wir haben damals nie so darauf geachtet, was und wie­viel wir genommen haben. Wenn ich heute Schmerzen habe, muss ich auf här­tere Dinge umsteigen.

Sie waren damals also gna­denlos über­me­di­ka­men­tiert?

Im Spaß sage ich immer: Wenn ich mal sterbe, könnt ihr auf meinem Grab keine Blumen pflanzen, denn die wachsen nicht. Da müsst ihr Plas­tik­blumen nehmen.“

Sie waren ein wan­delnder Medi­ka­men­ten­schrank.

Die Ein­schrän­kungen kamen erst, als ich in meinem Buch Anpfiff“ über Doping und Schmerz­mittel geschrieben habe.

Was ich nehmen würde, um einen Party-Kater zu bekämpfen, würde bei Ihnen also ver­mut­lich gar nicht mehr wirken?


Nein, dafür bin ich zu sehr an andere Dinge gewöhnt.

Dieter Prestin hat künst­liche Knie­ge­lenke und ver­steifte Hand­ge­lenke, Bernd Cull­mann hat steife Zehen, weil er sich vor jedem Spiel in den Zeh spritzen ließ. War es in der Kölner Kabine Anfang der Acht­ziger normal, dass man auf diese Weise fit gemacht wurde?

Sonst hätte man nicht spielen können. Ich bin ja kein Maso­chist und habe Spaß an Schmerzen. Tabletten konnte man nicht immer nehmen, weil die den ganzen Körper beein­flussten, aber ört­liche Betäu­bungen waren normal.

Haben Sie mit Tabletten mal nega­tive Erfah­rungen gemacht?

Nein, ich habe sie nicht genommen, weil mir bewusst war, dass sie den kom­pletten Orga­nismus beein­flussen. Des­wegen kam es nur zur lokalen Betäu­bung, z.B. mit Novo­kain.

Mussten Sie vor Schmerzen auf dem Platz manchmal Tränen unter­drü­cken?

Ich wollte zumin­dest nicht, dass man mir etwas anmerkt. Das hätte ja auch der Gegner gemerkt.

Tut ein Profi einem Gegen­spieler vor­sätz­lich weh, wenn er weiß, dass er ange­schlagen sind?

Wenn ich weiß, dass mein Gegner einen dicken Knö­chel hat, gehe ich schon ein biss­chen härter rein. Das würde ich noch nicht einmal als unfair bezeichnen, son­dern als pro­fes­sio­nell.

Gab es Momente, in denen Sie dachten: Das Spiel halte ich nicht mehr durch“?


Nein. Das auto­gene Trai­ning hat mir über viele schwie­rige Situa­tionen hinweg geholfen. Beim erstem Spiel nach dem Zusam­men­prall mit Bat­tiston in Frank­reich hing hinter dem Tor eine Schu­ma­cher-Puppe am Galgen. Das war schlimm, aber ich konnte es aus­blenden.

Sind see­li­sche Schmerzen schlimmer als kör­per­liche?

Weiß ich nicht, jeden­falls habe ich gelernt, mir ein­zu­reden, dass Schmerz nur Ein­bil­dung sei.

Und das funk­tio­niert auch bei Brü­chen?


Ja, das geht. So ist damals auch die Geschichte mit meiner dama­ligen Frau ent­standen, die ich auf­for­derte, eine Ziga­rette auf meinem Arm aus­zu­drü­cken. Ich wollte demons­trieren, dass man Schmerz unter­drü­cken kann.

Auch, wenn Sie das Schmerz­emp­finden weit­ge­hend in Kopf regelten: Hatten Sie stets die nötigen Medi­ka­mente dabei?


Gespritzt haben wir uns ja nicht selbst, das hat der Arzt gemacht. Aber Tabletten hatten wir immer dabei. Das würde heute sogar gegen meine aktu­ellen Ellen­bo­gen­pro­bleme helfen, aber ich will nehme nur noch ungern solche Medi­ka­mente.

Bei Ihnen hat also ein Umdenken statt­ge­funden?

Ich muss es nicht mehr nehmen, denn ich stehe nicht mehr im Tor. Meine Frau achtet auch sehr darauf, dass ich mög­lichst wenig sol­cher Sachen nehme. Als ich sie kennen lernte, hat sie bei mir erst einmal den Bade­zim­mer­schrank ent­rüm­pelt. Die war total von den Socken, was ich da alles drin habe.

Befürchten Sie inter­nis­ti­sche Spät­folgen wegen Ihres frü­heren Medi­ka­men­ten­kon­sums?

Nein. Ich lasse mich auch regel­mäßig durch­che­cken. Es ist alles okay.

Toni Schu­ma­cher, inwie­weit ist der Gebrauch von Schmerz­mit­teln Doping?


Schwer zu sagen. Wenn ich nur mit aus­rei­chend Schmerz­mit­teln spielen könnte, wäre das jeden­falls Doping.

Das heißt, dass Sie früher eigent­lich gedopt waren, wenn auch nicht in der juris­ti­schen Aus­le­gung.

Wir haben nichts genommen, was unsere Leis­tung gestei­gert hat. Aber wenn der DFB zum Bei­spiel schmerz­stil­lende Spritzen zum Doping erklärt hätte, kann man so eben nicht mehr spielen.

Was würde pas­sieren, wenn der DFB das täte?

Dann würden viele Spieler gar nicht mehr spielen. Und die Rege­ne­ra­ti­ons­zeiten würden um einiges länger dauern.

Hätte es ein sol­ches Schmerz­mit­tel­verbot zu Ihrer aktiven Zeit gegeben, als die Kader selten größer als 20 Spieler waren, hätten Sie dann an man­chen Wochen­enden mit acht Spieler auf­laufen müssen?


Dann hätten wir ganz sicher mit Ama­teuren auf­füllen müssen. Bei der heu­tigen medi­zi­ni­schen Betreuung hätte ich bestimmt des­öf­teren Spiel­verbot vom Arzt erteilt bekommen.

Was war Ihr schmerz­haf­tester Moment auf dem Platz?
Auf dem Platz hat mir nie etwas weh getan. Da war ja das Adre­nalin! Aus heu­tiger Sicht ist schade, dass ich nicht mehr joggen kann. Ich habe es immer wieder mit Auf­bau­trai­ning pro­biert, aber das geht nicht mehr. Ich kann noch Fahrrad fahren und schwimmen. Die Gelenke und die Sehnen, ich habe Arthrose in den Händen, alles tut weh. Aber das gehört dazu, wenn man Fuß­ball­profi ist.