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Ferdi Har­tung, Sie sind einer der bekann­testen deut­schen Sport­fo­to­grafen aller Zeiten. Wann begann Ihre Kar­riere?

1954, bei der Welt­meis­ter­schaft in der Schweiz. In Lau­sanne sollte das Eröff­nungs­spiel Frank­reich gegen Jugo­sla­wien statt­finden. Ich setzte mich auf meine Vespa und fuhr von Saar­brü­cken zum Spielort. Eine Akkre­di­tie­rung hatte ich nicht, ich musste mich ins Sta­dion schlei­chen. Dort hockte ich also neben dem Tor, bis mich nach einigen Minuten ein Ordner ent­deckte, die Polizei rief und mich raus­schmeißen ließ.



Und das Tur­nier war für Sie gelaufen?

Ach was! Ich habe mich ein­fach noch mal ins Sta­dion geschmug­gelt und meine Bilder gemacht. Das ging auch einige Zeit gut, bis mich der­selbe Ordner erneut ent­deckte, am Kragen packte und in einen Raum unter der Tri­büne ein­sperrte. Dort saß ich dann bis zum Abpfiff. Ein etwas unge­wöhn­li­cher Berufs­start, finden Sie nicht?

Wie sind Sie über­haupt zur Foto­grafie gekommen?

In Saar­brü­cken hatte ich kurz vor dem Tur­nier meine Aus­bil­dung als Dro­gist bestanden. Mit Aus­zeich­nung! Bis auf eine Aus­nahme: Im Teil­be­reich Foto­grafie“ bekam ich eine Fünf. Was mich nicht davon abge­halten hat, ein Prak­tikum in einem Foto­ge­schäft zu machen. Der Chef hat mir auch gleich eine Kamera in die Hand gedrückt und mich ins Sta­dion Kie­sel­humus (bis 1953 Sta­dion des 1. FC Saar­brü­cken, der 1953 in den neu gebauten Lud­wigs­park umzog, d. Red.) mit­ge­nommen – ich musste die Zuschauer foto­gra­fieren. Alle 15 Meter ein neues Bild. Die Fotos haben wir damals zusam­men­ge­setzt und im Laden aus­ge­stellt. Quasi das erste Sta­di­onposter Deutsch­lands. Das erste halbe Jahr durfte ich nur die Tri­bünen foto­gra­fieren, die Spiel­szenen waren dem Chef vor­ent­halten. Das änderte sich erst 1954.

Das Eröff­nungs­spiel haben Sie also im Sta­di­on­knast ver­bringen müssen. Hat man Sie später wenigs­tens unge­straft arbeiten lassen?

Na klar. Aber auch nur, weil ich Glück hatte: Das Saar­land hatte damals genau eine Innen­rau­mak­kre­di­tie­rung bekommen, die hatte ein Foto­graf von der Sport­welt“. Der hatte nach dem 3:8 der Deut­schen gegen Ungarn keine Lust mehr auf die Ver­an­stal­tung und ist ein­fach abge­reist. Seine Arm­binde, damals quasi der not­wen­dige Pres­se­aus­weis, hat er mir geschenkt. Und mir damit zum Geschäft meines Lebens ver­holfen.

Wie meinen Sie das?

Mit den Bil­dern vom WM-Finale 1954 ver­diene ich noch heute, mit bald 80 Jahren, das meiste Geld! Beim End­spiel von Bern waren nur drei deut­sche Foto­grafen vor Ort – und ich war einer von ihnen.

Das ist jetzt 56 Jahre her. Was sind die wesent­liche Unter­schiede zwi­schen der Sport­fo­to­grafie von damals und heute?

Früher war es span­nender. Selbst wenn du dir sicher warst ein tolles Motiv getroffen zu haben, konn­test du ja erst im Foto­labor genau wissen, ob das Bild nun wirk­lich so toll war, oder nicht. War der Ball auf dem Foto? Ist das Bild doch über­be­lichtet? Hat die Film­rolle Schaden genommen? Das ist heute, mit der digi­talen Foto­grafie, natür­lich etwas ganz anderes. Du siehst sofort, was du pro­du­ziert hast. Das mag bequemer sein, aber ein Aben­teuer ist es nicht.

Was hat sich noch ver­än­dert?

Heute stehst du als Foto­graf sehr weit weg vom Spiel­feld, sogar noch hinter der Wer­be­bande. Früher saßen und knieten die Foto­grafen direkt hinter dem Tor, ich war der Erste, der damit anfing, sich sogar hinter das Tor zu legen. Dadurch hatte ich natür­lich eine ganz eigene und neue Per­spek­tive. Die dadurch ent­stan­denen Bilder haben mir später zu Preisen ver­holfen.

Welche Fähig­keiten muss ein guter Sport­fo­to­graf eigent­lich besitzen?

Vor allem: Ahnung von dem Sport, den er da foto­gra­fiert. Ich war mein Leben lang Fuß­ballfan, und habe auch selber gespielt. Ich hatte also eine unge­fähre Ahnung davon, wann Stürmer und Tor­wart zum Ball hoch springen, oder wann ein Spieler aufs Tor schießt. Und ich wusste, hinter wel­chem Tor ich die besten Chancen auf gute Bilder bekommen würde.

Sie konnten sich Ihren Platz selbst­ständig aus­su­chen?

Oh ja. Das änderte sich erst bei der WM 1978 in Argen­ti­nien, als wir plötz­lich Leib­chen mit Num­mern bekamen: Ungrade hinter Tor A, grade hinter Tor B. Was habe ich mich auf­ge­regt, als ich beim Spiel Deutsch­land gegen Öster­reich in Cor­doba hinter das deut­sche Tor kom­man­diert wurde! Wenn der Ball ins Netz gehen würde, so dachte ich, dann doch ins Tor der Öster­rei­cher. Es kam alles etwas anders, wie wir heute wissen. Öster­reich gewann mit 3:2 und ich hatte die Bilder vom Sieg­treffer. Dabei wäre ich frei­willig nie hinter das deut­sche Tor gegangen.

Sie saßen damals extrem nah am Spiel­feld – sicher­lich nicht unge­fähr­lich.

Beim Spiel Saar­brü­cken gegen Borussia Neun­kir­chen ist mir der Saar-Natio­nal­spieler Siedl (Gerd Siedl, d. Red.) mal so unglück­lich ent­gegen gerutscht, dass ich mir zwei Rippen brach. Und nach einem Spiel in Offen­bach musste ich mit Lun­gen­ent­zün­dung ins Kran­ken­haus – 90 Minuten lang hatte ich auf dem nass­kalten Rasen gelegen. Einmal krachte ein harter geschos­sener Ball wäh­rend der Partie Hertha BSC gegen Ein­tracht Frank­furt genau auf meine Linse, die Kamera schlug mir so heftig gegen das Gesicht, dass ich vier Wochen lang nicht unter die Leute gehen konnte – das ganze Gesicht war blau. Mehr ist mit in einem halben Jahr­hun­dert Sport­fo­to­grafie aber nicht pas­siert.



Wäh­rend Ihrer Arbeit am Spiel­feld­rand waren Sie den Fuß­bal­lern immer sehr nahe. Wie eng waren die Bezie­hungen zwi­schen Fuß­baller und Foto­grafen?

Ein all­ge­meines Urteil kann ich Ihnen nicht geben, aber ich per­sön­lich war und bin eng mit Felix Magath befreundet. Der spielte ja früher auch in meiner Hei­mat­stadt Saar­brü­cken (von 1974 – 1976, d. Red.), und wir sind nicht selten zusammen nach den Spielen einen trinken gegangen. Der Felix ist ein Bom­ben­kerl!

War Magath gleich­zeitig auch Ihr liebstes Foto­ob­jekt?

Nein, da muss ich andere nennen.

Zum Bei­spiel?

Natür­lich die beiden Größten: Pelé und Mara­dona. Pelé habe ich nach der WM 1970 in Bra­silia sogar mal ein Foto geschenkt, dass ich von Ihm wäh­rend des End­spiels gegen Ita­lien gemacht hatte. Er hat sich riesig gefreut und mich zum Ban­kett der bra­si­lia­ni­schen Natio­nal­mann­schaft ein­ge­laden. Und Mara­dona? Der hat ein­fach alles mit­ge­macht, keine Pose, die er nicht für die Kamera machen wollte. Wissen Sie, wen ich von den Deut­schen am liebsten foto­gra­fiert habe?

Sagen Sie es mir.

Lothar Mat­thäus! Bis heute der freund­lichste und zugäng­lichste Spieler, den ich je kennen gelernt habe. Wenn seine Mit­spieler zu ver­ab­re­deten Foto­ter­minen ein­fach nicht aus ihren Hotel­zim­mern kommen wollten, kam eben Mat­thäus und hat sich vor die Kamera gestellt. Der war auch für jeden Spaß und jede Idee zu haben.

Haben Sie ein Lieb­lings­foto?

Ein wirk­lich schönes Bild, das mir in Erin­ne­rung geblieben ist, stammt vom Spiel um Platz drei bei der WM 1970 in Mexiko-City – Deutsch­land gegen Uru­guay, 1:0. Der Wolf­gang Weber aus Köln und der Uru­gu­ayer Maneiro (Ildo Maneiro, Foto: siehe unten, d. Red.) waren gemeinsam zum Fall­rück­zieher hoch­ge­stiegen, quasi zum Luft­kampf um den Ball. Ich lag direkt neben dem Tor, war also ganz nah dran. Ein außer­ge­wöhn­li­ches Motiv!

Gibt es beson­dere Erin­ne­rungen, die Ihnen im Gedächtnis hängen geblieben sind?

Lassen Sie mich kurz überlegen…ach ja. Fol­gende Geschichte: Sie kennen doch den Petar Raden­kovic?

Sicher.

Bin i Radi bin i König und so weiter. Der Radi jeden­falls war immer dafür bekannt, sehr weit vor seinem Tor zu stehen, oft sogar an der Mit­tel­linie. Seine Sechzger (1860 Mün­chen, d. Red.) spielten gegen Saar­brü­cken und führten bereits deut­lich. Die Mün­chener waren im Angriff und Radi natür­lich wieder 40 Meter vor seinem Kasten. Aber plötz­lich kam Win­fried Richter an den Ball, über­rannte Radi mühelos und stürmte mit dem Ball Rich­tung Löwen-Tor. Und was macht der Kerl? Stoppt an der Tor­linie, wartet, bis Raden­kovic bis auf ein paar Meter dran ist, kniet sich hin und köpft den Ball ins Tor. Wirk­lich ein tolles Ding, stellen Sie sich das mal vor!

Haben Sie auch davon ein Foto?

Leider nicht. Die Mün­chener waren doch klarer Favorit, warum hätte ich mich also hinter das Tor der Sechzger stellen sollen?

Sie haben seit 1954 bei­nahe jedes große Tur­nier ver­folgt. Welche Ver­an­stal­tung war die Schönste?

Mexiko 1970.

Warum?

Waren Sie schon mal in Mexiko?

Nein.

Ein herr­li­ches Land, müssen Sie unbe­dingt mal hin. Die WM war wun­der­schön, allein die beiden Spiele der Deut­schen gegen Eng­land und Ita­lien waren die lange Reise wert. Außerdem habe ich dort gutes Geld ver­dient. Die meisten Sport­fo­to­grafen haben sich ja nicht nur die Spiele, son­dern auch die Trai­nings­ein­heiten und Mann­schafts­ho­tels ange­schaut. Was sollte ich dort? Ich bin lieber durch die Gegend gefahren und habe Land und Leute foto­gra­fiert. Die Bilder habe ich dann an Rei­se­ma­ga­zine ver­kaufen können.

Und die nega­tivste Erfah­rung als Foto­graf?

Die musste ich eben­falls in Mexiko erleben: 1992 spielte die deut­sche Natio­nal­mann­schaft erst in San Fran­cisco gegen die USA, dann in Mexiko. Ich hatte extra meine Frau und meine Kinder mit­ge­nommen, wir wollten Urlaub in Aca­pulco machen. Ich fuhr also über die Auto­bahn, als mich die Polizei anhielt und mich auf­for­derte, den Kof­fer­raum zu öffnen. Und nun holen sie mal ihre Papiere!“ Als ich vom Hand­schuh­fach wie­derkam, war der ganze Kof­fer­raum voller Waffen! Gewehre, Pis­tolen, Gra­naten, Muni­tion. Das hatten die mir blitz­schnell unter­ge­ju­belt.

Wie ging es weiter?

Die Poli­zisten ver­langten 10.000 Dollar, sonst würde man uns ein­sperren. Meine Frau, frech wie sie war, drückte dem Beamten 20 Dollar in die Hand und meinte: Mehr haben wir nicht.“ Die Kerle haben die Waffen wieder aus­ge­laden und wir durften wei­ter­fahren. Ich hatte mich schon wieder im Knast sitzen sehen.


Gemeinsam mit Dieter Gräbner hat Ferdi Har­tung 2007 einen for­mi­da­blen Foto­band ver­öf­fent­licht. Hier geht es zur Ansicht!