Dr. Jan F. Orth ist Richter am Landgericht in Köln und unterrichtet als Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln Sportrecht. Dr. Björn Schiffbauer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität zu Köln. Beide sind aufgrund ihrer ehrenamtlichen Funktionen im Fußball-Verband Mittelrhein (FVM) e.V. außerdem regelmäßig mit sportrechtlichen Fragestellungen befasst. Für eine juristische Fachzeitschrift haben sie einen Aufsatz zum Thema „Die Rechtslage beim bundesweiten Stadionverbot“ verfasst. Wir sprachen mit ihnen.
Jan Orth, Sie haben gemeinsam mit Ihrem Kollegen Björn Schiffbauer einen juristischen Fachaufsatz über die Rechtslage beim bundesweiten Stadionverbot verfasst. Warum?
Jan Orth: 2006 hatte ein Anhänger der Münchener Ultra-Gruppierung „Schickeria“ gegen ein Stadionverbot geklagt. Zusammengefasst ging seine Begründung dahin, dass das gegen ihn laufende Ermittlungsverfahren nur auf einen Verdacht hin eingeleitet worden war – außerdem ist es eingestellt worden. Die Klage wurde abgewiesen, was 2009 in letzter Instanz vom Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe bestätigt wurde. Das mussten wir uns einfach näher ansehen.
Wo liegt das Problem?
Jan Orth: Das Problem liegt darin, dass das Stadionverbot nur auf einen ganz geringen Verdachtsgrad hin verhängt wurde. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn Sie die Schlüssel zu Ihrem Auto im Wagen vergessen haben, aber unbedingt an Ihre Tasche auf dem Rücksitz rankommen müssen, weil Sie in wenigen Minuten einen Interviewtermin haben und dafür die Scheibe Ihres eigenen Autos einschlagen, dann ist das ja keine Straftat. Wenn ich Sie dabei aber beobachte und die Polizei rufe, dann wird gegen Sie ermittelt, weil ein sogenannter Anfangsverdacht hinsichtlich einer Straftat besteht.
Ist das rechtlich einwandfrei?
Jan Orth: Die Ermittlungen laufen zu Recht, weil Außenstehende vermuten dürfen, Sie hätten eine Straftat begangen. Natürlich würde sich der Sachverhalt schnell klären und alles wäre strafrechtlich in Ordnung. Der Bundesgerichtshof hat aber im Prinzip gesagt, dass ein solcher Anfangsverdacht ein bundesweites Stadionverbot tragfähig begründen kann, auch wenn in dem Verfahren später keine Verurteilung folgt. Für Fußballfans sieht es also etwas anders aus.
Inwiefern?
Björn Schiffbauer: Wenn Sie beim Fußball Teil einer Gruppe sind, aus der einige wenige verdeckt aus der Gruppe beispielsweise einen Polizisten angegriffen haben, dann sind Sie zunächst einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Man wird die Personalien aller Gruppenmitglieder aufnehmen, auch Ihre; diese werden von der Polizei an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Die wird dann auch gegen Sie auf Verdacht etwa wegen Landfriedensbruch ermitteln. Das ist auch deren Aufgabe, denn ein Ermittlungsverfahren soll ja nur weitere Erkenntnisse bringen, ob sich der Verdacht erhärtet.
Würde ich als verdächtiger Fußballfan denn darüber informiert?
Björn Schiffbauer: Nein, abgesehen vielleicht von einer Vorladung zur Vernehmung bei der Polizei hören Sie von der Staatsanwaltschaft erst, wenn das Ermittlungsverfahren zu einem Ergebnis geführt hat, es also eingestellt wird oder Sie angeklagt werden. Das bundesweite Stadionverbot ist da schneller: Sie erfahren also von dem Ermittlungsverfahren, wenn in Ihrem Postkasten der Brief mit dem gegen Sie verhängten Stadionverbot liegt. Der kommt aber vom aussprechenden Verein.
Wie lautet das Ergebnis Ihrer Forschungen?
Jan Orth: Wir meinen, dass das Verfahren, so wie es aktuell ausgelegt ist, juristisch nicht frei von Bedenken ist. Unserer Auffassung nach reicht alleine der Anfangsverdacht eines Ermittlungsverfahrens nicht aus, um ein bundesweites Stadionverbot zu rechtfertigen. Auch für vorbeugende Maßnahmen braucht man hinreichende Erkenntnisse, wenn sie einen erheblichen Eingriff in die Rechtsstellung des Betroffenen darstellen.
Björn Schiffbauer: Das Verfahren, ohne hinreichende Tatsachengrundlage ein langes bundesweites Stadionverbot zu verhängen, ist rechtswidrig.
Warum macht die Rechtsprechung einen Unterschied zwischen Fußballfans und normalen Bürgern?
Jan Orth: Das Problem ist, die Personen, die für diese Rechtsprechung verantwortlich waren, haben offensichtlich noch nie eine Auswärtsfahrt mitgemacht, standen also noch nie in einem Gästeblock oder sind mit einem Sonderzug gefahren. Wenn da Randalierer Ärger machen und Sie zufällig in der Nähe stehen – wo sollen Sie denn da hin? Die Fanströmungen werden ja ganz bewusst kanalisiert. Randale beim Fußballspielen müssen differenzierter bewertet werden als beispielsweise eine Schlägerei auf dem örtlichen Schützenfest.
Was meinen Sie damit?
Jan Orth: Beim Schützenfest bekommen Sie neben dem Ermittlungsverfahren wegen der möglichen Beteiligung an der Schlägerei als vorbeugende Maßnahme durch die Polizei einen sogenannten Platzverweis ausgesprochen, Das heißt im Klartext: Heute kein Schützenfest mehr. Wenn Sie aber der Körperverletzung, Sachbeschädigung oder des Landfriedensbruchs im Zusammenhang mit einem Fußballspiel verdächtigt werden, können Sie momentan sehr leicht möglicherweise ein mehrjähriges bundesweites Stadionverbot auferlegt bekommen. Das erscheint nur auf dieser Grundlage nicht verhältnismäßig.
Björn Schiffbauer: Das Problem dabei ist auch, dass die Bundesligaklubs in der Liga an einem Monopolbetrieb teilnehmen. Wenn Sie ein bundesweites Stadionverbot bekommen, bietet sich ja keine Alternative. Das wäre anders, wenn wir in Deutschland verschiedene erste und zweite Bundesligen im Fußball hätten. Aber diese Frage stellt sich ja gar nicht.
Wenn das aktuelle Verfahren rechtswidrig ist, was bedeutet das für Fußballfans, die nur auf Verdacht ein bundesweites Stadionverbot erhalten und dagegen klagen?
Björn Schiffbauer: Der Fan aus München, der auch vor dem BGH keinen Erfolg hatte, ist nun vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen. Sehr vereinfacht ausgedrückt, klagt er gleichsam auf sein „Grundrecht auf Fußball“. Normalerweise stehen die Chancen, von den Karlsruher Verfassungsrichtern Recht zu bekommen, eher schlecht. In diesem Fall würde ich die Chancen als relativ gut einschätzen.
Jan Orth: Und wenn er tatsächlich Recht bekommt, dann müssten die aktuellen Stadionverbotsrichtlinien überarbeitet werden. Sie wären einfach nicht mehr zu halten, weil die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens der zentrale Anknüpfungspunkt für die Verhängung von Stadionverboten ist. Das kann übrigens jeder nachlesen: Die Stadionverbotsrichtlinien sind auf der Homepage des DFB abrufbar.
Ihren Aufsatz beginnen Sie mit der Frage: „Fußballfans sind keine Verbrecher – oder doch?“ Ihre Einschätzung?
Jan Orth: Fußballfans sind an sich natürlich keine Verbrecher. Störer, Gewaltbereite und Randalierer haben beim Fußball aber nichts verloren, ihnen kann und muss man mit Stadionverboten begegnen. Alle anderen genießen einen umfassenden rechtlichen Schutz vor unberechtigten Stadionverboten. Wenn man unseren Hinweisen folgt, verstärkt sich der Rechtsschutz für alle friedlichen Fans. Die Absichtsstörer können und sollen aber auch unserer Auffassung nach wie gehabt wirksam mit Stadionverboten belegt werden.