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Frau Egge­ling, seit fünf Jahren for­schen Sie über Homo­phobie im Fuß­ball. Seit kurzem beraten Sie homo­se­xu­elle Profis. Spielen die in der Ersten Bun­des­liga?  

Ja. 

Wie kamen die auf Sie? 

Jemand, der diese Profis kennt und dem sie ver­trauen, hat ihnen meine Nummer gegeben. Ich bin bekannt in der Szene. 


 
Und was erwarten die Spieler von Ihnen? 

Sie suchen einen Weg, wie sie ihren Lei­dens­druck ver­rin­gern können. Schwule Fuß­baller leben unter einem immensen Druck, weil sie sich nicht offen­baren dürfen. Und irgend­wann wird der Druck fast unmensch­lich. 

Stehen diese Spieler vor dem Kar­riere-Ende? Dann wären die Folgen ja mög­li­cher­weise über­schaubar. 

Nein, sie denken nicht ans Auf­hören. Aber sie spüren immer stärker, dass sie nicht so gut spielen, wie sie es könnten. Das ist die Folge des Lei­dens­drucks. 

Wollen die sich des­halb nun outen? 

Das lässt sich so nicht sagen. Einige würden sich das wün­schen, für andere bleibt es trotz allem aus­ge­schlossen. Doch es geht zunächst darum her­aus­zu­finden, was ein sol­cher Schritt für sie bedeuten kann. Für alle gilt, dass sie ihre aktu­elle Situa­tion für schwer erträg­lich halten. 

Was belas­tend ist die Situa­tion für sie auf dem Feld?  

Sie bemühen sich extrem, als hete­ro­se­xuell zu gelten. Das bindet unwahr­schein­lich viel Energie. Und diese Energie fehlt dann in der Vor­be­rei­tung aufs Spiel, und sie fehlt natür­lich auch auf dem Platz. 

Haben die Spieler mal kon­kret geschil­dert, wann sie ver­sagt haben?  

Kon­kret nicht. Aber sie erzählen von Ver­let­zungen, die sich holen, weil sie sich nicht so gut aufs Spiel kon­zen­trieren können. 

Und weil sie im Zwei­kampf beson­ders den starken Mann mar­kieren? 

Ja, klar. Die Spieler sagen, dass sie betont hart ein­steigen, um als echter Mann zu gelten. 

Haben diese Spieler denn in ihrem Verein keine Ver­trau­ens­person? 

Nein. Denn je näher eine solche Ver­trau­ens­person am Pro­fi­fuß­ball ist, umso größer ist die Gefahr, ent­deckt zu werden. 

Was befürchten denn die Profis, wenn sie ent­deckt würden? 

Sie könnten von den eigenen Fans aus­ge­lacht und von denen des Geg­ners regel­recht belei­digt und geschmäht werden. Sie könnten auch per­sön­liche Spon­soren ver­lieren. Ihr Markt­wert könnte sinken, weil zukünf­tige Arbeit­geber erst gar keine schwulen Fuß­baller ein­stellen wollen oder sie für weniger belastbar halten als hete­ro­se­xu­elle Profis. Die Spieler haben auch Angst, dass sie nur noch auf der Bank sitzen oder, schlimmer noch, als Nest­be­schmutzer gelten und aus dem Verein fliegen. Und natür­lich haben sie Angst, dass ihnen dann alle mög­li­chen Leute die Bude ein­rennen, Fans, Medien usw., Leute, die ihren Schritt begrüßen oder Leute, die aus voy­eu­ris­ti­schem Inter­esse jedes Detail ihres Lebens ans Licht ziehen wollen. 

Wissen die Men­schen im direkten Umfeld dieser Spieler, dass sie homo­se­xuell sind? 

Dar­über haben wir noch nicht gespro­chen. Aber mir ist bekannt, dass homo­se­xu­elle Fuß­baller durchaus psy­cho­lo­gi­sche Hilfe in Anspruch nehmen. 

Zu wel­chem Zweck? 

Sie erfahren, wie sie mit dem Ver­steck­spiel am besten klar kommen. Für diese Men­schen geht es um die Frage: Wie schaffe ich es, mich 24 Stunden am Tag zu ver­stellen, ohne kaputt zu gehen? 

Hatten diese Spieler mal das Gefühl, sie stünden kurz vor einem unfrei­wil­ligen Outing? 

Jeder schwule Spieler, der ver­steckt lebt, hat dieses Gefühl. Egal, ob diese Angst begründet ist oder nicht. Das Gefühl ist immer da, weil die Spieler schon in der F‑Jugend gelernt haben, dass Fuß­ball und Homo­se­xua­lität nicht zusam­men­passen. 

Wie sieht denn dann ein per­sön­li­ches Treffen mit Ihnen aus? 

Ich richte mich nach dem Spieler. Je bekannter einer ist, umso ver­schwie­gener muss der Treff­punkt sein. 

Ein Bun­des­li­ga­spieler lebt in einer grellen Medi­en­welt. Für ihn muss der Lei­dens­druck größer als für einen unauf­fäl­ligen Regio­nal­li­ga­spieler.  

Ich kann es mir vor­stellen. Je mehr jede Bewe­gung beob­achtet wird, umso enger legt sich die Schlinge um den Hals eines schwulen Spie­lers. Es gibt ja in der Bun­des­liga schon lange keine reine Sport­be­richt­erstat­tung mehr. Bei der WM sind die Frauen der Spieler auf der Tri­büne gezeigt worden. Tenor: Das ist die Frau von dem, die andere gehört zu dem, der hat so und soviel Kinder und so weiter. 

Da liegt der Gedanke nahe, dass die eine oder andere angeb­liche Beglei­terin in Wirk­lich­keit eine Hos­tess ist, die zum Bei­spiel für einen Gala­abend gebucht wurde, damit ein Profi nicht auf­fällt.  

Natür­lich gibt es angeb­liche Beglei­te­rinnen, die in Wirk­lich­keit Hos­tessen sind. Es gibt viele Anlässe, bei denen man mit einer Beglei­terin auf­tau­chen sollte. Da wird dann eine Hos­tess gebucht oder eine Bekannte gefragt. Län­gere Zeit ohne Beglei­terin auf­zu­tau­chen, das geht im Grunde für einen homo­se­xu­ellen Spieler nicht. Er hätte das Gefühl, sich ver­dächtig zu machen. 

Buchen diese Spieler Call­boys?  

Ich kenne solche Fälle, aber die sind schon länger her. 

Meiden diese Spieler kon­se­quent alle Schwulen-Szenen?  

In Klubs oder zu sons­tigen Treff­punkten können sie natür­lich nicht gehen, das ist aus­ge­schlossen. 

Neben ihnen betreut auch die trans­se­xu­elle Schieds­rich­terin Marie Karsten homo­se­xu­elle Bun­des­li­ga­spieler. Sind die Erfah­rungen von ihnen iden­tisch? 

Ja. Der Lei­dens­druck baut sich über län­gere Zeit auf. Wir reden da von Jahren bezie­hungs­weise Jahr­zehnten. Mög­li­cher­weise hat der Spieler schon vor der Pubertät gemerkt, dass er anders ist und anders emp­findet. Die Jugend­li­chen machen ja sexua­li­sierte Witze. Da gibt’s natür­lich auch Schwu­len­witze. Und wenn einer gefoult wird und heult, was bekommt der zu hören: Du Weichei. Damit lernt er sehr schnell, dass Fuß­ball und Schwul­sein nicht zusammen geht. Er merkt, er ist anders, und das baut einen Lei­dens­druck auf, der dazu führen kann, dass er auf dem Feld ver­sagt. 

Schwule erkennen andere Schwule ziem­lich schnell. Haben Sie von einem Spieler mal gehört, er wisse, dass ein Kol­lege eben­falls schwul ist? 

Nein. Die geben sich alle betont männ­lich. Die Fas­sade ist so per­fekt, dass sie sich nicht erkennen. 

Und was würde pas­sieren, wenn sie sich erkennen würden? 

Gar nichts. Dann würden sie sich ja selber outen, und das will keiner. Außerdem: Wer garan­tiert einem Spieler, dass er sich nicht täuscht? Was pas­siert denn, wenn er den anderen fragt: Sag mal, bist Du auch schwul und der ant­wortet: Um Gottes Willen! Das wäre nicht nur pein­lich, son­dern hätte ein Loch in die sorgsam auf­ge­baute Fas­sade gerissen, und was der andere daraus macht, wäre nicht absehbar. 

Haben Sie mal erlebt, dass sich ein Spieler wünscht, er würde von einem anderen ange­spro­chen?  

Auf gar keinen Fall. Dar­über können sie gar nicht nach­denken. Sie hoffen sogar, dass sie nie ange­spro­chen werden. Denn dann fühlten sie sich ja ent­tarnt, und dann würde sich die Angst ins Uner­mess­liche stei­gern. 

Poli­tiker haben mit Sicher­heit den glei­chen Lei­dens­druck wie Fuß­baller. Wes­halb gelingt es aber immer mehr Poli­ti­kern, sich zu outen, Pro­fi­fuß­bal­lern aber nicht? 

Weil Fuß­baller einen Job haben, der mit Kör­per­ein­satz zu tun hat. Das ist der Knack­punkt. Fuß­ball ist ein Sport mit vielen Kör­per­kon­takten, manche halten ihn sogar für einen Kampf­sport. Für viele Hete­ro­se­xu­elle ist der Gedanke an kör­per­li­cher Nähe zu Homo­se­xu­ellen zumin­dest unan­ge­nehm oder sogar angst­be­setzt. Im Übrigen haben sich ja auch noch nicht alle schwulen Bun­des­tags­ab­ge­ord­nete geoutet. 

Erwin Staudt, der Prä­si­dent des VfB Stutt­gart, eröffnet in diesem Jahr den Chris­to­pher Street Day in Stutt­gart. Ist das ein Hoff­nungs­zei­chen für schwule Profis? 

Ja, erstmal schon. Ande­rer­seits ver­stärkt es natür­lich den Lei­dens­druck. Ein schwuler Fuß­baller stellt ja fest: Ist ja toll, dass der Staudt das macht. Aber ich habe kon­kret nichts davon. Ich kann ja bei der Parade nicht mit­gehen. 

Ist so ein Auf­tritt dann Zei­chen von Heu­chelei? Beim VfB Stutt­gart würden die Pro­bleme bei einem Outing ver­mut­lich ja nicht anders sein als bei anderen Klubs. 

Nein, ich nehme dem VfB und Staudt ab, dass er das ernst meint. Der Verein arbeitet zum Bei­spiel mit den Stutt­garter Jungxx“ zusammen, dem ersten offi­ziell aner­kannten les­bisch-schwulen Fan­klub des VfB. Beim VfB gibt’s auch Über­le­gungen, schwu­len­feind­liche Äuße­rungen im Sta­dion zu sank­tio­nieren. Denkbar sind Geld­strafen oder sogar Sta­di­on­ver­bote. 

Geld­strafen wegen homo­phober Auf­tritte sind in Eng­land schon Alltag. Gehen Bun­des­li­ga­klubs ähn­lich kon­se­quent vor?  

Bis jetzt noch nicht. Aber bei einigen Ver­einen wird sehr intensiv dar­über nach­ge­dacht, bei Hertha BSC zum Bei­spiel. 

Warum zögern die Ver­eine noch? 

Weil in vielen Füh­rungs­etagen Men­schen sitzen, die mit dem Thema gar nichts zu tun haben wollen. Da gibt es Funk­tio­näre, die sagen: Bei uns gibt es keine Schwulen, also haben wir damit auch kein Pro­blem. Oder sie sagen: Schwule haben im Fuß­ball sowieso nichts zu suchen, und außerdem: Im Fuß­ball geht’s halt ruppig zu, das sind emo­tio­nale Äuße­rungen. Punkt. Viele Funk­tio­näre, und das sind ja oft Männer in einem bestimmten Alter, die nicht alle gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lungen der letzten zwei bis drei Jahr­zehnte mit­ge­gangen sind, haben kein Gespür dafür, wie men­schen­un­würdig solche Sprüche sind. Sie sehen nicht, dass es nicht anderes ist, als einen schwarzen Spieler mit Bananen zu bewerfen.