Loyle Carner gilt als nächstes großes Ding in der britischen Musikszene. Im Interview vor dem Spiel seines Liverpool FC gegen Bayern spricht er über Jürgen Klopp, emotionale Treffen mit Eric Cantona und den Brauch, Freikarten für alte Deutschland-Trikots zu verteilen.
Loyle Carner, Ihr Lieblingsklub Liverpool FC spielt gegen den FC Bayern im Achtelfinale der Champions League. Wie geht’s aus?
Ich werde nicht ankündigen, dass Liverpool weiter kommt – und auch nicht, dass sie Meister werden. Denn dann geht es nämlich nicht in Erfüllung. Das ist so eine kuriose Fan-Logik. Aber ich glaube, wir haben einen Vorteil in dieser Runde: die Schnelligkeit. Beide Spiele werden rund um die Verteidigungslinie der Bayern entschieden werden. Wir müssen die Räume nutzen, die sie gerade in der Rückwärtsbewegung anbieten.
Was meinen Sie genau?
Jerome Boateng ist ein herausragender Verteidiger. Wenn du direkt auf ihn zuläufst, wird er dich tacklen und den Ball gewinnen. Wenn du aber den Ball in den Raum hinter ihn legen kannst, hat er keine Chance. Salah, Bobby Firmino oder Sadio Mane können das eiskalt ausnutzen. Die Jugend ist auf unserer Seite. Bayern wird treffen, ihr Deutschen trefft schließlich immer – es geht darum, dass wir mehr Tore schießen. Ganz einfach.
Dabei ist die Verteidigung rund um Virgil van Dijk auch ein Prunkstück von Liverpool.
Wohl wahr. Ich mag Joel Matip, den ihr ja von seiner Zeit auf Schalke kennt. Wenn er Ruhe hat, kann er dem Aufbau sehr helfen. Ich glaube aber, dass sich Dejan Lovren besser mit van Dijk versteht. Und van Dijk ist sowieso der überragende Mann. Leider fehlt er im Hinspiel wegen einer Sperre.
Liverpool hat zuletzt einige Punkte liegen lassen. Hat das Team gerade Angst vor der eigenen Courage?
Sie spüren den Druck, das merkt man. Jedes Mal, wenn die Jungs das Handy rausholen oder die Zeitung aufschlagen, lesen sie: „Liverpool muss jetzt den Vorsprung ausbauen. Liverpool muss die Ausrutscher nutzen.“ Natürlich hat das einen großen Einfluss auf die mentale Seite. Vor dem Spiel gegen Bournemouth war City gleichauf und plötzlich kehrte Liverpool wieder zum altbekannten Angriffsfußball zurück. Als wäre der Druck weg. Das Spiel ging 3:0 aus, hätte aber auch 6:0 enden können. Jetzt werden einige sagen: „Das war nur Bournemouth.“ Aber auch Bournemouth kann ein unangenehmer Gegner sein – und auf dem Weg zum Titel musst du gerade diese Teams schlagen.
Wie sehen Sie Trainer Jürgen Klopp?
Ich liebe ihn, er ist wie der nette Onkel. Er hat die Menschlichkeit zurück in den englischen Fußball gebracht. Bis auf die Trainer der Wolves und von Brighton langweilen mich die Coaches der Premier League. Sie sind entweder zu alt oder können sich nicht gut ausdrücken. Ein Pep Guardiola ist fachlich unantastbar, doch in den Interviews packt er mich nicht. Er sagt Dinge wie „I feel so much…“, „I care so much…“ aber er wirkt auf mich nicht so, als würde er sich groß darum scheren. Klopp ist aufrichtig, er liebt dieses Spiel von Herzen.
Sie sind echter Liverpool-Fan, tragen aber bei den Konzerten ein Shirt des großen Rivalen Man United. Das müssen Sie erklären.
Mein Vater war ein glühender Man United-Fan, sein großes Idol war Eric Cantona. Als ich vier Jahre alt war, schauten wir zusammen die WM 1998 in Frankreich. Michael Owen erzielte dieses wahnsinnige Solo-Tor gegen Argentinien. Ich fragte meinen Dad: „Wer ist das?“ Er sagte: „Michael Owen, er spielt für Liverpool.“ Darauf ich: „Ok, das ist es. Das ist mein Team.“
Das wird Ihren Vater nicht erfreut haben…
Glauben Sie mir, wir haben uns nach den Spielen richtig gefetzt. Alles natürlich aus Spaß. Am Essenstisch ging es hoch her: Meine Mutter ist Dauerkartenbesitzerin von Crystal Palace, mein Opa war Fan der Glasgow Rangers. Er hat mich auch zu meinem ersten Fußballspiel überhaupt mitgenommen. Die Rangers spielten auswärts in Klimarnock. Wir standen im Heimsektor, deswegen musste ich bei den Toren heimlich jubeln.
Wieso also das Man United-Trikot?
Mein Vater ist vor einigen Jahren verstorben. Er konnte nie eine Live-Show von mir sehen. Also nehme ich sein Cantona-Trikot mit auf die Bühne, damit ich ihn bei mir fühle. Ich habe einen Song für ihn geschrieben, den ich „Cantona“ nannte. Vielleicht hört er den Song in irgendeiner fünften Dimension. Ich wollte ihm damit zeigen, dass ich selbst meine große Liebe Liverpool opfere und einen Song nach seinem großen Helden benenne – obwohl der als United-Ikone eigentlich mein Feind sein müsste.
Sie haben Cantona auch persönlich getroffen. Wie haben Sie ihn erlebt?
Ein super Typ, wir haben uns echt gut verstanden. Das Treffen war für mich natürlich mit gemischten Gefühlen verbunden. Eigentlich hätte mein Dad Cantona treffen sollen. Wir haben uns nett unterhalten, über Fußball und Musik, ab und an schreiben wir uns noch. Ich schicke ihm einige Links von Jazz-Stücken, weil er in unserem ersten Treffen von dieser Musik schwärmte. Meistens schreibt er zurück: „Beautiful jazz. See you soon.“ Schwärmerisch und kurz – sehr französisch.