Oliver Harris ist Berliner Rap-Ikone, DJ und Fan der alten Dame Hertha BSC. Mitten im Abstiegskampf sprachen wir mit ihm über Nazis in der Ostkurve, Partys mit Patrick Ebert und natürlich: Otto Rehhagel.
Harris, erst einmal: Herzlichen Glückwunsch!
Wie? Was los?
Dein Hertha-BSC-Fanclub „United Colours of Hertha“ (UCoH) feierte jüngst seinen ersten Geburtstag. Zum Feiern war euch aber wahrscheinlich eher nicht zumute?
Gefeiert wird immer. Wir sind viele Musiker, Künstler, Multi-Kulti, über 50 Leute. Wenn es was zu feiern gibt, sind wir natürlich vorne mit dabei.
Dann vergisst man auch, dass die Hertha auf dem Sinkflug in Richtung zweite Liga ist?
Das vergisst man nicht, Alter. Das tut weh. Jedes einzelne Spiel tut im Herzen weh. Und trotzdem sind wir immer im Stadion. Gegentribüne-Oberring ist unser Block. Da zeigen wir Flagge.
Wie sieht das aus?
Wir kommen alle irgendwo aus dem HipHop. Da ist representen natürlich wichtig. Wir haben eigene College-Jacken, Bandanas, Shirts. „United Colours of Hertha“ erkennt man auf den ersten Blick.
Du bist Rapper und DJ. Wie ist Harris als Fußballfan?
In erster Linie will ich Fußball gucken. Klar, wir prollen auch rum und haben unseren Spaß. Das gehört doch dazu. Aber wenn der Ball rollt, bin ich fixiert. Ich bin keiner, der in der Kurve steht, die Fahne schwenkt und nichts vom Spiel mitkriegt. Dafür gehe ich nicht ins Stadion.
Seit wann machst Du die Berg-und-Tal-Fahrt mit der Hertha eigentlich schon mit?
Ich bin Berliner, in Kreuzberg aufgewachsem und gehe seit meiner Kindheit zur Hertha. Die beschissenen Jahre, die großen Jahre, ich war immer dabei. Beim Champions-League-Spiel gegen Galatasaray Istanbul durfte ich sogar vor der Ostkurve spielen.
Dein größter Moment als Fan?
Auf jeden Fall. Und mein schlimmster. Als die Hertha anrief und fragte, ob wir als Spezializtz (Harris und Dean Dawson Anm. d. Red.) im Stadion auftreten wollen, dachte ich im ersten Moment, die würden uns verarschen. Aber dann hat man mir erklärt, dass sie unseren Auftritt auch als Zeichen für mehr Toleranz sehen. Am Tag selbst war ich krass nervös. Ich bekam tausend Anrufe von meinen türkischen Kumpels, die wollten, dass ich beim Auftritt auch Galatasaray supporte. Nix da, habe ich denen gesagt.
Klingt noch nicht so schlimm.
Kurz vor dem Anpfiff sollten wir dann vor der Ostkurve los legen. Ich stand da, Continentale-Trikot an, brüllte „Ha-Ho-He“, das ganze Programm. Aber die Leute, alles Hertha-Atzen, buhten, beschimpften uns, manche schrien: „Nigger, verpiss Dich!“ Das war wie ein Schlag in die Fresse.
Was hast Du gemacht?
Ich schrie „Ihr Hurensöhne“ und bin nach Hause gegangen. An dem Tag habe ich mit geschworen, nie wieder zu einem Hertha-Spiel ins Olympiastadion zu gehen.
Wie lange hast Du das ausgehalten?
Über drei Jahre. Ich habe natürlich weiter die Spiele geguckt, nur vor der Glotze. Und nicht mehr mit der gleichen Passion wie vor diesem Abend. Irgendwann bin ich ins Westend gezogen, jeden Samstag habe ich die Leute zum Stadion gehen sehen. Jeden Samstag kribbelte es um 15:30 Uhr. Aber ich bin nicht mehr hingegangen.
Und wieso gehst Du heute wieder?
Egal, wo ich hinkam, haben die Leute immer gesagt: „Wie kannst Du Hertha-Fan sein? Das ist doch ein Fascho-Verein.“ Aber ich habe das eben nur an diesem Abend mitbekommen. Und eines Tages habe ich mir gedacht: „Ich lass mir von diesen Arschlöchern nicht meinen Fußball wegnehmen.“ Ich gründete mit meinen Leuten „United Colours of Hertha“. Wir stehen für Toleranz und Integration und der Verein machte uns sogar zum 100. Fanclub. Wie geil ist das, bitte?
Andere hätten sich in so einem Moment vielleicht einen anderen Verein gesucht?
Auf keinen Fall. Ich bin Berliner. Ich bin Herthaner. Ich verstehe die Leute nicht, die sich einen Verein aus einer anderen Stadt suchen. Das finde ich unmöglich. So etwas erlaubt mir mein Berliner Ego gar nicht. Außerdem ist es doch auch geil, Fan von einem Klub zu sein, der nicht konstant erfolgreich ist. Titel feiern kann jeder, leiden muss man lernen.
Marteria hat uns mal erzählt, dass er sich immer rechfertigen muss, weil er Hansa-Rostock-Fan ist.
Aber genau so etwas liebe ich. Das macht doch Spaß, wenn man vor eine Gruppe Unioner tritt und sein Hertha-Trikot zeigt. Dann gehen die Diskussionen los, dann wird sich gestritten. Und dann kann ich mit breitem Grinsen sagen: „Leute, die schönste Frau ist doch immer noch Hertha.“
Mit der Hertha geht es seit Jahren auf und ab. Allein in dieser Saison wurden schon zwei Trainer entlassen, Otto Rehhagel als Heilsbringer geholt und trotzdem steht die Hertha auf Platz 17 und mit einem Bein in Liga zwei. Was läuft eigentlich falsch beim Haupstadtklub?
Das gehört einfach zur Hertha. Der Verein ist eine einzige Wellenbewegungen. Da gehört auch zweite Liga dazu. Ich hoffe einfach, dass dann endlich auch ein Reinigungsprozeß im Inneren des Vereins stattfindet.
Der Abstieg würde Dir nicht weh tun?
Natürlich, es bricht mir das Herz. Aber es ist nicht so schlimm wie noch vor zwei Jahren. Damals war es einfach nur hart. Der Abstieg hat mich fertig gemacht.
Die Ex-Herthaner Jerome und Kevin Prince-Boateng sind mittlerweile Weltstars, Askhan Dejagah ist in Wolfsburg zum zentralen Mann geworden, Sejad Salihovic bei Hoffenheim. Beißt Du abends auch mal ins Kissen, wenn Du bedenkt, dass diese Jungs heute auch alle bei der Hertha spielen könnten?
Wer weiß, wo die Jungs heute stehen würden, wenn sie in Berlin geblieben wären? Zur Entwicklung als Fußballer gehört eben auch dazu, dass man sich als Mensch entwickelt. Vielleicht muss man dazu raus aus Berlin, die Welt sehen. Man kann also nicht pauschal sagen, dass die Hertha mit Kevin und Jerome in der Mannschaft heute die Liga rocken würde. Natürlich würde ich mir wünschen, dass dieser ganze Haufen eines Tages wieder im Hertha-Trikot auflaufen wird. Aber ich gönne jedem einzelnen den Erfolg auf einer anderen Stufe.
Ein anderes ehemaliges Hertha-Talent, Patrick Ebert, ist immerhin Ehrenmitglied von „United Colours of Hertha“.
Ja, super geil. Patrick wird oft sehr falsch dargestellt, er ist echt ein super Typ. Legendär war sein Auftritt auf unserer Aufstiegsfeier im letzten Sommer. Wir hatten ihm aus Spaß Bescheid gesagt, dass wir eine kleine Feier machen. 20 Leute, kleiner Kreis, ein bisschen Party und so weiter. Spät in der Nacht ging die Tür auf, Patrick kam rein und hat gleich die ganze Mannschaft mitgebracht. Uns ist fast die Kinnlade rausgeflogen. Dann haben ein paar Spieler ihre Iphones rausgeholt, ihre Songs aufgelegt. Der Hammer. Vielleicht die beste Aufstiegsfeier in ganz Berlin.
London hat Arsenal, Chelsea, Tottenham und Co. Madrid hat Real, Paris den PSG. Warum kriegt eine Weltstadt wie Berlin es eigentlich nicht hin, einen großen Fußballverein aufzubauen?
Das ist echt der Hass. Ich hasse es, dass wir der einzige europäische Hauptstadtverein sind, der nichts rockt. Ich kriege das einfach nicht in meinen Kopf, wie all die Versuche immer wieder grandios scheitern können. In allen anderen Sportarten sind wir Chef, nur im Fußball geht nichts. Vielleicht kommt irgendwann ein Scheich und macht sich in Berlin breit. Dann kommen wir!
Erstaunlich ist, dass es im Erfolgsfall sogar viele Hertha-Fans in der Stadt gibt. Als es unter Lucien Favre um die Meisterschaft ging, war das Stadion voll und jede Kneipe zeigte Hertha-Spiele.
Das ist doch normal. Wenn der Erfolg da ist, sind die Leute da. Wenn es bei Minus vier Grad gegen Gladbach geht, kommt kein Mensch. Aber für mich zeigt es, dass die Leute in Berlin Bock auf großen Fußball haben. Durch die ständigen Auf- und Abstiege hat die Hertha halt auch keine dermaßen große Fanstruktur wie Dortmund oder der HSV. Das muss sich entwickeln. Aber dazu gehört eben auch sportlicher Erfolg.
Und vielleicht ein neues Stadion?
Nein, es ist eine Ehre in diesem Stadion zu spielen. Natürlich gehen 40.000 Leute in diesem Stadion unter und es sieht halbleer aus. Aber dafür, dass unsere letzte Meisterschaft 70 Jahre her ist und wir gerade auf dem Weg in die zweite Liga sind, ist ein Schnitt von über 40.000 Zuschauern doch echt fett.
Viele kommen auch, um noch einmal Otto Rehhagel an der Seitenlinie zu sehen.
Auch so ein Ding. Welcher Klub ist so geil und holt Otto Rehhagel aus der Rente? Das macht nur die Hertha! Und es würde mich nicht mal wundern, wenn er nun wieder den Libero aufstellt. Was soll’s? Wenn das am Ende Hertha vor dem Abstieg rettet, dann fallen sich alle in die Arme und feiern Otto. Und eins ist sicher: Ich bin mittendrin.
Und dann gibt es die beste Nicht-Abstiegsfeier der Stadt bei „United Colours of Hertha“?
Auf jeden. Das wird tight, Alter.