Publikumsliebling und Arbeitspferd: In Frankfurt wird Thomas Zampach bis heute verehrt. Hier spricht er über seine Krebskrankheit, dunkle Löcher und wilde Jahre.
Thomas Zampach, Ihr ehemaliger Mitspieler Ansgar Brinkmann, selbst als Paradiesvogel verschrien, hat mal gesagt: „Wenn es einen Typen gibt, der noch Verrückter war als ich, dann Zampe.“ Wann haben Sie das letzte Mal etwas Verrücktes gemacht?
Im Sommer 2014 habe ich die Zugspitze bestiegen. In Turnschuhen. In meinem Rucksack war eine Flasche Wasser, ein Energieregel und ein kleines Kruzifix. Mehr nicht. Normalerweise schafft man diesen Berg bei der Erstbesteigung in sechs Stunden. Mit richtiger Ausrüstung. Ich war in vier Stunden oben. Mit eingefrorenen Fingerkuppen. Als ich oben ankam, liefen mir 20 Minuten lang die Tränen über die Wange.
Warum?
Vermutlich ist in diesem Moment alles aus mir rausgebrochen, was mich das Jahr zuvor so bewegt hatte. Eine ganz persönliche chemische Reinigung. Im Sommer 2013 starb meine Mutter. Nun war auch mein zweiter Elternteil nicht mehr da. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Schon das Ende meiner Karriere hat mir im Nachhinein einen ziemlichen Schlag versetzt. Für mich begann eine sehr schwere Zeit in meinem Leben. Ich fiel in eine Art Loch.
Was ging in dieser Zeit mit Ihnen vor?
Ein Jahr lang machte ich kein Sport – vorher stand ich an sieben Tagen neunmal auf dem Trainingsplatz. Ich verließ quasi fluchtartig meine geliebte Heimatstadt Frankfurt. Ich war einem Burnout ziemlich nahe. Erst meine heutige Freundin Susanne hat mir da wieder raushelfen können.
Wie hat Sie das gemacht?
Sie sprachen zu Beginn von meinem Image als Spaßvogel. Nun, ich musste erkennen, dass ich all die Jahre diese ganzen Gags und Verrücktheiten auch als eine Art Schutzschild benutzt hatte und damit meine eigentliche Persönlichkeit unterdrückt habe. Nicht falsch verstehen: Der Spaßvogel gehört zu meinem Naturell, aber ich fühlte mich irgendwann wie ein Animateur, der den Erwartungen entsprechen muss. Ein Beispiel: Wenige Monate nach dem Tod meiner Mutter fuhr ich mit Susanne zu einem Benefizspiel der Eintracht-Legenden. Auf der Hinfahrt war ich total in mich gekehrt, schweigsam, geradezu depressiv. Kaum stand ich auf dem Rasen, habe ich mit den Fans „Schere, Stein, Papier“ gespielt, den Ball beim Angriff unters Trikot gestopft und meine Zampe-Show abgezogen. Auf der Rückfahrt war ich wieder tieftraurig. Da hat mich Susanne gefragt: „Was war das denn gerade? Du ziehst dir eine Maske über und spielst den Clown. Obwohl es Dir schlecht geht. Warum machst Du das?“ Das war für mich ein echtes Aha-Erlebnis. Ich stellte fest, dass ich jahrelang meine eigentlichen Gefühle unterdrückt hatte. Dass ich es irgendwann verlernt hatte, nein zu sagen und auf viel zu vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzte. Da nahm ich mir vor, das zu ändern.
Wie haben Sie das angestellt?
Indem ich mich viel intensiver mit mir und meiner Geschichte beschäftigt habe.
Erzählen Sie von Ihrem ersten prägenden Kindheitserlebnis.
Ich bin im Problembezirk Frankfurter Berg aufgewachsen, inmitten einer kunterbunten Multi-Kulti-Gesellschaft, in der man früh lernen musste, seine Ellenbogen einzusetzen. Mit zehn Jahren spielte ich bei meinem Lieblingsklub Eintracht Frankfurt. Für jede Fahrt zum Training brauchte ich 90 Minuten mit Bus und Bahn. Trotzdem versuchte ich immer etwas früher als die anderen da zu sein, damit ich im Klubhaus mit Bruno Pezzey oder Norbert Nachtweih flippern konnte – die haben unendlich viel Kleingeld in dem Automaten versenkt (lacht). Dann diagnostizierten die Ärzte bei mir Lymphdrüsenkrebs. Mit dem Fußball und der Eintracht war es erstmal vorbei. Ich bekam eine Chemotherapie, die Haare fielen mir aus. Wenn ich dann mit Glatze durch unser Viertel ging, wechselten manche Mütter mit ihren Kindern die Straßenseite. Ich mache ihnen heute keinen Vorwurf, das war einfach der fehlenden Bildung und der Angst geschuldet. Aber für einen Zehnjährigen war das selbstverständlich eine furchtbare Zeit.
Welche Erinnerungen haben Sie an die Krankheit?
Die Ärzte wollten mir zusätzlich zur Chemo Tabletten verabreichen, aber aus irgendeinem Grund weigerte ich mich, sie einzunehmen. Sie versuchten es mit Milch oder Honig, aber ich würgte alles immer wieder nach oben und schmiss die Pillen hinter meinen Schrank, statt sie zu schlucken. Wer weiß, was mit mir passiert wäre, wenn ich sie doch genommen hätte. Bald wurde ich wieder gesund und kehrte auf den Fußballplatz zurück. Mit noch mehr Entschlossenheit als bereits zuvor. Ich begann, neben meinen eigentlichen Trainingseinheiten, eigene Übungen durchzuziehen. Als Teenager schaffte ich 120 Liegestütze und 350 Sit-ups. Ich kniete mich voll rein. Als ich 17 war, starb mein Vater an einem Herzinfarkt. Jahrelang hatte er mich auf meinem Weg, Fußballprofi zu werden, begleitet und dabei unterstützt, jetzt war er auf einmal nicht mehr da. Das hat schon ziemlich reingehauen.
Sie gingen Ihren Weg dann doch recht erfolgreich. Allerdings mit einigen Umwegen.
In der A‑Jugend spielte ich für Kickers Offenbach, als eingefleischter Eintracht-Fan natürlich eine schwere Entscheidung. Die ersten Gehversuche bei den Herren habe ich beim SV Bad Vilbel gemacht, wohlgemerkt in der zweiten Mannschaft, B‑Klasse. Irgendwann kam der Trainer der ersten Mannschaft zu mir, die damals in der vierten Liga spielte: „Am Sonntag brauche ich dich. Du stellst den Spielmacher kalt.“ Was ich dann auch tat. Mein erster wichtiger Karrieresprung. Ich kam mir vor wie mein großes Vorbild Lothar Matthäus, der Diego Maradona abmeldet.
Wie sind Sie schließlich beim FSV Mainz gelandet?
Ein befreundeter Masseur hatte Kontakte zum FSV, also spielte ich dort beim Training vor. Gleichzeitig bekam ich ein Angebot von Darmstadt 98. Ich lehnte ab, obwohl ich dort mehr Geld verdient hätte. Aber mein Gefühl sagte mir, dass Mainz die bessere Wahl sei, um meinen Traum zu verwirklichen.
Welchen Traum?
Irgendwann einmal für meine SGE in der ersten Bundesliga zu spielen.
Sie blieben fünf Jahre in Mainz. Welche Erinnerungen verknüpfen Sie mit dieser Zeit?
Vor allem denke ich an die kunterbunte Truppe zurück. Ansgar Brinkmann, der seinem Spitznamen „weißer Brasilianer“ alle Ehre machte. Guido Schäfer, mit seiner blonden Löwenmähne. Jürgen Klopp, mit dem ich damals eine Fahrgemeinschaft von Frankfurt nach Mainz hatte. Oder Vlado Kasalo, der vermutlich komplett von Versace eingekleidet wurde. Legendär, wie wir einst nach einem Auswärtsspiel gegen Tennis Borussia Berlin in die Kabinen kamen und feststellen mussten, dass uns jemand beklaut hatte. Bei mir waren es nur 20 Mark, aber Vlado wurde kreidebleich. Er sprang fast vor Erleichterung durchs Fenster, als ihm klar wurde, dass die Diebe sein Zeugs nicht entdeckt hatten. Was die Jungs heute noch ärgern dürfte. Vlado hatte es sich nämlich nicht nehmen lassen, seine Rolex, diverse Goldketten und einen 20.000 DM teuren Diamanten mit nach Berlin zu nehmen.