Mehmet Scholl, der letzte Ex-Fußballer, der eine Plattenfirma gegründet hat, war Thomas Häßler.
Mehmt Scholl: Ich fand die Idee damals gar nicht so schlecht. Melodic Rock ist mir tausendmal lieber, als wenn jemand Lady Gaga hört.
Sie sind bereits ARD-Fußballexperte, Radio-DJ bei Bayern 2, machen gerade den DFB-Trainerschein – warum jetzt auch noch ein Plattenlabel?
Mehmt Scholl: Wir haben Millaphon Records extra in Zeiten gegründet, in denen das sonst keiner macht und die Musikindustrie jammert. Unser Ziel ist: Wir wollen es anders machen als die großen Labels. Zur unserem ersten Konzert in die Münchner Freiheizhalle kamen 1200 Leute. Wir behalten aber alle drei unsere normalen Berufe und erwarten auch nicht, damit reich zu werden.
Wer sind Ihre beiden Kompagnons?
Mehmt Scholl: Gerd Baumann ist als Komponist unser oberster Fachmann und Till Hoffmann fungiert als unser Gehirn, der alles koordiniert und organisiert. Und ich brauche lediglich meinen Musikgeschmack einbringen. Ich bin ja noch jung in diesem Geschäft.
Wann haben Sie Ihren Musikgeschmack entwickelt?
Mehmt Scholl: Ich war während meiner Profizeit ernsthaft verärgert über die Radiosender und wusste einfach nicht, wo ich gute Musik herbekommen kann. Ich konnte meiner Begeisterung erst freien Lauf lassen, als ich Ende der neunziger Jahre entdeckt habe, welche Medien meinen Geschmack repräsentieren.
Sie haben während Ihrer Karriere als Bayern-Spieler eher Musikmagazine gelesen als die Pflichtlektüre aus Nürnberg?
Mehmt Scholl: Ja, der „Musikexpress“ wurde zu meinem Leib- und Magenblatt. Zwischen dem „Kicker“ und mir hat es nicht so hundertprozentig gepasst.
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Haben Sie eigentlich „High Fidelity“ von Nick Hornby gelesen?
Mehmt Scholl: Ich habe den Film gesehen und wirklich geliebt. Durch Nick Hornby bin ein Stück weiter in die Musik eingetaucht. Und das Beste war: Durch den Film-Soundtrack habe ich die fantastische Beta Band für mich entdeckt.
Haben Sie sich selbst entdeckt in dem Film?
Mehmt Scholl: Ganz so verloren wie John Cusack war ich auch wieder nicht in dieser Lebensphase. Und auch nicht ganz so enttäuscht von den Frauen.
Kennen Sie solche kleinen Plattenläden wie in „High Fidelity“?
Mehmt Scholl: Ja, aber mir fehlt die Zeit, dort hin zu gehen. Ich besorge mir die Musik anders. Ich bin ja immer viel am Flughafen. Dort stöbere ich dann bei iTunes und entdecke Sachen wie Locas in Love. Für mich eine der besten deutschen Indie-Scheiben der letzten Zeit.
Wo genau haben Sie Locas in Love entdeckt?
Mehmt Scholl: Im Wartebereich des Franz-Josef-Strauss-Flughafens in München. Ich habe mir die Platte sofort heruntergeladen, auf dem Flug gehört, bin ausgestiegen und war einfach nur glücklich, obwohl ich in Köln gelandet bin.
Inzwischen legen Sie jeden ersten Freitag im Monat im Bayerischen Rundfunk auf, immer kurz vor Mitternacht. Was passiert in Ihrer Sendung?
Mehmt Scholl: Ich darf meine Lieblingsmusik spielen. Ein paar Tage vorher stelle ich immer die Playlist zusammen. Die verändert sich dann aber im Laufe der Woche immer wieder, das ist ein ständiger Prozess. Worauf ich echt stolz bin: Ich musste die Sendung noch nicht einmal absagen in den vergangenen drei Jahren.
Was ist Ihre Motivation?
Mehmt Scholl: Wenn man heute zum 150. Mal Lady Gaga hört, weiß man gar nicht mehr, wo man hinschalten soll. Ich würde mir wünschen, dass viele Sender etwas mehr Mut hätten. Ich kenne genügend Leute, die einen Kanal sieben Tage lang mit Musik füllen könnten. Und viele Hörer würden sagen: „Hey, was ist denn das Großartiges?“
Welche Bands haben Sie in Ihrer letzten Sendung gespielt?
Mehmt Scholl: Death Cab for Cutie, Young Rebel Set, Martha Wainwright, The Weakerthans, Fleet Foxes und Kettcar. In der nächsten Sendung kommen Arcade Fire mit David Bowie, Port O’Brien, Locas in Love, The Felice Brothers, Noah and the Whale und The Low Anthem. Wenn ich die Playlist nicht nochmal umschmeiße.
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Werden Sie inzwischen mit CDs bemustert wie ein ganz normaler Radio-DJ?
Mehmt Scholl: Überhaupt nicht. Ich suche mir schon aus Prinzip alles selbst zusammen.
Wie informieren Sie sich über neue Bands?
Mehmt Scholl: Hauptsächlich über das Internet. Ich habe aber auch einige Freunde, mit denen ich mich regelmäßig austausche. Wir sind immer ganz glücklich, wenn wir uns gegenseitig etwas Neues zeigen können. Es ist selten, dass ich topaktuell auf dem Stand bin. Bands, die von den Magazinen zu sehr gehypt werden, sind mir grundsätzlich suspekt.
Wonach wählen Sie die Bands für das Label aus?
Mehmt Scholl: Sie müssen uns live überzeugen, irgendwas Spezielles besitzen. Es geht bei uns nicht darum, einen großen Hit zu landen, sondern Bands auf ihrem Weg zu begleiten. Der Künstler steht im Vordergrund und wir geben ein paar Tipps.
Was ist das Besondere an den Bands, von denen Sie bereits Platten veröffentlicht haben?
Mehmt Scholl: Moop Mama ist eine Urban Brass Band, die mit sechs Bläsern, zwei Schlagzeugern und deutschem HipHop aufwartet, in ihrem Genre einzigartig. Keller Steff sind vom Groove her mit der Spider Murphy Gang zu vergleichen und von den Texten mit Hans Söllner. Balloon Pilot, bei der auch Mitglieder von The Notwist dabei sind, geht in die Richtung Singer-Songwriter.
Kurz gesagt: Bayern-Indie?
Mehmt Scholl: Wir konzentrieren uns nicht auf Bayern. Es kann auch eine Band aus Hamburg sein, die uns mit ihrer Musik umhaut. Wir verfolgen keine spezielle Linie, sondern schauen einfach nur, was uns packt.
Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen dem Scouting von Nachwuchsbands und Nachwuchsspielern?
Mehmt Scholl: Bei Talenten im Fußball mache ich es immer so, dass ich abwarte, bis der Spieler eine schwächere Phase hat. Dann schaue ich, wie er in dieser Situation reagiert. In diesen Phasen lässt sich am meisten erkennen. Bei Bands ist das ähnlich. Wenn sie vor zehn Leuten spielen, müssen sie diese Zuhörer auch kriegen. Das ist die eigentliche Kunst.
Wie viel Zeit verbringen Sie mit Musik?
Mehmt Scholl: Sehr viel, auch was Konzerte anbetrifft. Auf Reisen habe ich immer etwas auf dem Ohr. Ich bin eigentlich ständig auf der Suche, recherchiere nach artverwandten Bands. Was meinen Geschmack betrifft, hat es noch nie so viel gute Musik gegeben wie im Moment.
Was war Ihr bestes Konzert der letzten Jahre?
Mehmt Scholl: Ich habe Arcade Fire in München gesehen, vor 200 Leuten. Beim nächsten Mal haben sie dann vor 7000 Leuten gespielt, da war natürlich die Hölle los. Gerade habe ich auch Noah and the Whale wieder vor so einer kleinen Kulisse gesehen. Das wird es in dieser Form nie wieder geben. Nach dem Konzert bin ich ganz glücklich nach Hause gegangen.
Was ist das Besondere an Konzerten im kleinen Kreis?
Mehmt Scholl: Man ist ganz nah dran. Man konnte gerade bei diesen beiden Bands sehen, wie die Menschen um einen herum sprachlos waren, weil die Energie dieser Bands alle umgehauen hat. Die Stimmung war so überwältigend, dass sich auch keiner mehr bewegt hat und nicht geklatscht und gehüpft wurde. Diese Wucht hatte keiner so erwartet.
Was passiert mit dem Label, wenn Sie in naher Zukunft einen Posten als Cheftrainer in der Bundesliga annehmen?
Mehmt Scholl: Das wird, wenn es überhaupt dazu kommt, noch ein paar Jahre dauern.
Würden Sie sich in den Vertrag schreiben lassen, dass Sie nebenher noch das Labelgeschäft betreiben können?
Mehmt Scholl: Das würde ich im Moment schon noch hinkriegen. Wir haben ja gerade einmal eine Festangestellte und eine Halbtagskraft. Wir wollen das Label so aufbauen, dass es gesund wächst. Wenn wir den einen oder anderen Arbeitsplatz schaffen, hat sich das Ganze schon gelohnt. Es geht nicht um die Weltherrschaft.
Was dürfen die Bands von Ihrem Label erwarten?
Mehmt Scholl: Die Bands haben bei uns absolute künstlerische Freiheit. Wenn wir uns für jemanden entschieden haben, quatschen wir denen nicht rein. Es ist aber schwierig, erstmal bei uns reinzukommen. Wir drei haben alle einen unterschiedlichen Geschmack und stimmen nicht demokratisch ab. Entweder sind alle überzeugt oder wir lassen es. Wir hatten im ersten Monat 43 Anfragen, die ich mir alle angehört habe.
War etwas Interessantes dabei?
Mehmt Scholl: Ich möchte nichts vorweg nehmen, aber eine Band war zwischen gut und super. Der nächste Schritt ist jetzt, dass sie uns auch live überzeugen muss. Wir organisieren in solchen Fällen spontane Hörproben, kleinere Konzerte mit 60, 70 Zuschauern. Da sieht man dann ganz schnell, ob die Band die Leute packen kann.
Ihre Spezialität ist das Zusammenstellen von Compilations. Stimmt es, dass sich jahrelang keiner vor ihren Mixtapes retten konnte?
Mehmt Scholl: Das war eine zeitlang so. Mittlerweile bekommen so etwas aber nur noch wenige ausgewählte Leute. Ich spare mir die Musikerziehung bei Menschen, die sich die Musik nicht mit Leib und Seele anhören.
Bei wem sind Ihre früheren Bemühungen am nachhaltigsten gescheitert?
Mehmt Scholl: Ich habe Oliver Kahn mal eine CD gegeben haben, und er antwortete nur: „Willst Du, dass ich mich erschieße? Behalt Deinen Scheiß!“
Sie pendeln zwischen München und Köln, sind jede Woche beim Trainerlehrgang in der Sportschule Hennef. Haben Sie dort auch schon Ihre Tapes verteilt?
Mehmt Scholl: Wie gesagt: Ich schmeiße mit meinen Compilations nicht mehr um mich, aber mit dem Sportschulenleiter bin ich früher zur Schule gegangen. Und wir haben in Karlsruhe im selben Klub Fußball gespielt. Deshalb habe ich ihm etwas aufgenommen.
Was würden Sie Stefan Effenberg zusammenstellen, wenn er sich in Hennef langweilt?
Mehmt Scholl: Das ist längst gescheitert. Er hat mal zwei Lieder von mir mitgekriegt, die nicht seinen Geschmack getroffen haben. Dann brauche ich da auch nicht weiter zu machen. Es wird keiner bedrängt. Mein neues Motto lautet: Alles kann, nichts muss.
Es heißt aber, dass Sie die Suche nach der perfekten Soundfolge noch nicht aufgegeben hätten. Wenn Sie jetzt ein Tape für Uli Hoeneß zusammenstellen würden, was wäre der perfekte erste Song?
Mehmt Scholl: Pepper Rabbit mit „Older Brother“. Textzeile: „You are the older brother/that I never had…“
Wie wäre es bei Hermann Gerland?
Mehmt Scholl: Irgendetwas Hartes, vielleicht Glasvegas mit „Geraldine“.
Und für Ihren neuen Partner bei der Sportschau, Matthias Opdenhövel?
Mehmt Scholl: Arcade Fire mit „Wake Up“ schon einmal nicht, weil der sich selber sehr gut auskennt; deshalb eher: Alexander und „Let’s win“.
Sie sagten mal, dort wo Britpop gespielt wird, seien immer die hübschesten Mädchen. Ist das noch aktuell?
Mehmt Scholl: Mädchen spielen gar keine Rolle mehr für mich. Es ist mir auch zu anstrengend, in einen angesagten Laden zu gehen, dafür bin ich mittlerweile zu alt. Ich will einfach nur mit Freunden einen schönen Abend haben und gute Musik hören.
Kann man Sie denn wenigstens noch als DJ im Nachtleben treffen?
Mehmt Scholl: Es gibt schon noch ein, zwei Bars in München, wo ich ab einer gewissen Uhrzeit immer willkommen bin, mein iPhone einzustöpseln und ein bisschen rumzumixen.
Gehen Sie auch auf Festivals oder haben Sie keine Lust, in einem Zelt zu übernachten?
Mehmt Scholl: Ich war gerade erst auf einem Festival in Bologna mit Fanfarlo, Arcade Fire und Modest Mouse. Fanfarlo waren übrigens großartig. Das hatte ich mir gezielt mit meiner Frau ausgesucht, und dann sind wir zusammen nach Italien gefahren.
Sie haben in der Zweiten Mannschaft von Bayern Holger Badstuber und Thomas Müller trainiert. Was hört die neue Generation in der Kabine?
Mehmt Scholl: HipHop und RnB. Teilweise aber auch schon sehr tiefgehend, fernab der Radiomusik. Schön zu sehen, dass sich die Jungs auch intensiv mit ihrer Musik beschäftigen. Mein Geschmack war es trotzdem nicht.
Welche Spieler würden denn welche Band Ihres Labels hören?
Mehmt Scholl: Moop Mama könnte Bastian Schweinsteiger, Holger Badstuber und Mario Gomez gefallen. Bei Philipp Lahm und Andreas Ottl kann ich mir vorstellen, dass sie Keller Steff ganz gut finden würden. Balloon Pilot würde ich Andreas Görlitz und Markus Feulner ans Herz legen.
Was ist eigentlich aus Thomas Häßlers Plattenlabel geworden?
Mehmt Scholl: Das weiß ich leider auch nicht. Der Stil ist in den neunziger Jahren nun einmal überholt worden von Indie und der Britpop-Welle. Vielleicht kommt Melodic Rock ja irgendwann nochmal wieder.
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Mehr Informationen zum Plattenlabel von Mehmet Scholl auf www.millaphon.de.