Macht der Kommerz den Fußball kaputt? Nicht zwangsläufig. Doch St. Pauli-Geschäftsführer Andreas Rettig sorgt sich trotzdem: Wegen der DFL, wegen Karl-Heinz Rummenigge, wegen der wankenden 50+1‑Regelung. Ein Interview über ein Leben als Revoluzzer.
Die neue 11FREUNDE #190 widmet sich in einer großen Reportage dem FC St. Pauli und dem 1.FC Union, zwei Vereinen, deren Fannähe der Schlüssel zum Erfolg im Profigeschäft ist. Andreas Rettig ist seit September 2015 Geschäftsführer beim FC St. Pauli.
Andreas Rettig, Sie waren Manager beim SC Freiburg, in Köln und Augsburg, Geschäftsführer bei der DFL. Wie kommen Sie bei einem Verein zurecht, der sein Selbstverständnis auf Mitspracherecht und Mitgliederbestimmung gründet?
Mein Grundanliegen ist, dass sich der Verein positiv entwickelt. In einem mitgliedergeführten Verein gibt es unterschiedliche Sichtweisen, was eine positive Entwicklung bedeutet. So gesehen ist der FC St. Pauli eine Herausforderung. Man braucht viel Kraft, um Entscheidungen durchzusetzen. Der Nachteil: Es bindet viel Energie. Der große Vorteil aber: Man steht nicht allein auf der Lichtung, wenn der Wind mal von vorn kommt. Bei anderen Vereinen steht man relativ alleine da.
Fans einzubinden, zahlt sich langfristig aus?
Wir haben es im Profifußball geschafft, dass Spieler heute besser von Trainern und Managern mitgenommen werden. Wo wir es nicht geschafft haben, ist im Dialog mit den Fans. Alles entfernt sich immer weiter voneinander. Und die Entfremdung der Fans wird noch befördert, indem die Wahrnehmung zunehmend vom Spiel weggelenkt wird und Kommerzialisierungsinteressen ins Zentrum rücken.
Und das läuft auf St. Pauli dem Vernehmen nach anders. Aktive Fans sitzen im Aufsichtsrat, in vielen Gremien und Arbeitsgruppen, weshalb Spötter behaupten, dass hier manches auch kaputtdiskutiert wird.
Das ist ab und zu zäh. Aber was mir in letzter Konsequenz gefällt, ist, dass ich von Überzeugungstätern umgeben bin. Sie überzeugen gerne, lassen sich aber auch überzeugen. Ich habe nicht den Eindruck, dass hier Leute betriebsblind nur diskutieren um des Diskutierens willen.
In Ihrer Rolle als St-Pauli-Geschäftsleiter legen Sie sich gerne mit Ihren Ex-Kollegen bei der DFL an.
Als ich damals beim Ligaverband anfing, sagte ich, ich möchte erreichen, dass die DFL nicht nur als Vermarktungsverband wahrgenommen wird. Das hat mir den ein oder anderen bösen Blick eingebracht. Meine Frage lautet nach wie vor: Sind die Vereine für die Verbände da oder ist es mittlerweile nicht eher vice versa? Die DFL macht einen exzellenten Job, aber dort bestimmt der homo oeconomicus das Handeln. Das vornehmliche Ziel ist: Nutzenmaximierung. Weiche Faktoren wie Identifikation, Emotionen und Gemeinschaftsgefühl spielen keine Rolle mehr.
Das Argument der DFL: Der deutsche Fußball muss international wettbewerbsfähig bleiben.
Wenn ich der Logik von Karl-Heinz Rummenigge folge, wäre die Lösung, dass Vereine aus der zweiten Liga gar nichts mehr kriegen und der FC Bayern noch mehr Geld, damit sie ebenfalls noch höhere Summen für Transfers ausgeben können. Diese Argumentation verstehe ich nicht. Die Wettbewerbsfähigkeit mit der Aufhebung der Solidarität zwischen erster und zweiter Liga zu begründen, ist absurd.
Warum?
Weil drei oder vier Prozent des Betrages aus dem Bundesligatopf, der aus Solidaritätsgründen umverteilt wird, die Wettbewerbsfähigkeit zu nullkommanull beeinträchtigt.
Wie sieht Ihr Gegenvorschlag aus?
Die DFL sollte den Fokus wieder mehr auf den nationalen Wettbewerb legen und sich fürs Gesamtsystem verantwortlich zeigen.
Heißt?
Ein Beispiel: Die zweite Liga befindet sich in Konkurrenz zu den kleinen europäischen Ligen. Wäre es da nicht sinnvoll, dass die DFL unsere Liga finanziell so stellt, dass die Klubs in der Lage sind, sich Nachwuchsspieler von dort zu holen und diese für die Bundesliga zu veredeln? Das ist aus meiner Sicht jedenfalls sinnvoller, als dass ein Erstligist direkt vier Millionen für einen fertigen Spieler nach Tschechien oder Belgien überweist.