In den Achtzigern prägte Karl Allgöwer den VfB Stuttgart, heute feiert er Geburtstag. Im Interview spricht er über Menschenketten, lange Unterhosen und Einsamkeit in Malente.
Das Interview erschien erstmals im Februar 2012 in 11FREUNDE #123. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
Karl Allgöwer, bis heute haftet Ihnen das Image des unbequemen Profis an. Zur aktiven Zeit waren Sie einer der wenigen Spieler, die sich politisch exponierten, gegen Kernkraft demonstrierten und Unterschriften gegen das SDI-Projekt von Ronald Reagan sammelten.
Ich hätte es mir sicher einfacher machen können, aber ich habe immer versucht, auch neben dem Fußball Interessen zu entwickeln und mich für Dinge einzusetzen, die mir wichtig erschienen.
Was würden Sie aus heutiger Sicht anders machen?
Manches würde ich vorsichtiger formulieren. Damals sagte ich öffentlich, ich könne keine Partei wählen, die sich für Kernenergie ausspricht. Dazu muss man wissen, dass Anfang der Achtziger die Atomkraft allgemein als saubere, sehr fortschrittliche Technologie angesehen wurde.
Im konservativen Schwabenland galten Sie als „rote Socke“.
Meine Einstellung zur Atomkraft rückte mich damals automatisch in die Nähe der SPD. Aber ich bin nie in einer Partei gewesen. Die Medien haben das natürlich gerne anders dargestellt.
Verträgt sich der Job des Fußballers mit gesellschaftlichem Engagement?
Man muss zwischen Arbeit und dem Privatleben trennen. Ich wäre nie im VfB-Trikot zu einer politischen Veranstaltung gegangen. Aber privat habe ich meine Meinung gesagt. Das brachte manchmal Probleme mit sich. Als die „Sportler für den Frieden“ 1983 als Protest gegen die Nachrüstung eine Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm organisierten, wurde ich gefragt, ob ich mitmachen könnte. Da wir aber an dem Tag gegen Bayern München spielten, musste ich absagen, obwohl ich gerne dabei gewesen wäre. Unser Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder war ziemlich ungehalten darüber, als er mitbekam, dass ich meinem sozialen Engagement in der Menschenkette einen ähnlichen Stellenwert zugestand wie dem Spitzenspiel gegen den FC Bayern. So fingen auch im Klub die kleinen Auseinandersetzungen an.
„Das Trainingsspiel der langen gegen die kurzen Hosen haben wir gewonnen“
Mayer-Vorfelder war in Personalunion auch CDU-Kultusminister des Landes. Die Duelle zwischen Ihnen gelten als legendär.
Was den VfB Stuttgart angeht, haben wir beide voneinander profitiert. Wir hatten harte Auseinandersetzungen, waren aber nie beleidigend. Sein Problem war, dass die Journalisten ihn gut reizen konnten. Die gaben ihm das Gefühl, dass er mich nicht im Griff hätte, und das tat ihm weh. Einmal hat Josef-Otto Freudenreich von der „Stuttgarter Zeitung“ mich in einem Gespräch so sehr über den Klee gelobt, dass Mayer-Vorfelder der Kragen platzte und er sagte: „Den fahre ich höchstpersönlich mit der Schubkarre über die Grenze.“ Dabei habe ich MV immer anerkannt. Und das hat er, denke ich, geschätzt.
Der Präsident galt als ausgesprochen trinkfest. Hat das die Mannschaft nicht herausgefordert?
Doch, natürlich. Auf der Meisterfeier 1984 wollten wir unbedingt erleben, dass der Präsident mal die Segel streicht. Wir haben uns abgewechselt, jeder musste eine Stunde hin und mit ihm „feiern“, aber wir haben es nicht geschafft. Ich hab mir dann später auch noch eine Zigarre angezündet und hatte am nächsten Morgen die schlimmsten Kopfschmerzen meines Lebens.
Die Meisterschaft 1984 gelang mit Helmut Benthaus als Trainer.
Um den Erfolg unter Benthaus zu verstehen, muss man einige Jahre zurückblicken, denn er folgte als ruhiger, besonnener Vertreter auf Trainer, die mit uns gar nicht zurechtgekommen waren.
Wen meinen Sie konkret?
Stuttgart war 1978 mit Jürgen Sundermann aufgestiegen. Als ich zum VfB kam, war die Euphorie schon wieder verflogen. Sundermann wurde durch Lothar Buchmann ersetzt, der allerdings zu weich mit der Mannschaft umsprang. Ein Jahr später kam deshalb der eher autoritäre Sundermann noch mal zurück. Sportlich lief es zunächst gut, im zweiten Jahr ging es dann bergab und letztlich probten wir den Aufstand gegen den Coach. Ich gebe zu, dass ich daran nicht unbeteiligt war.
Was haben Sie denn gemacht?
Damals haben spezielle Ärzte empfohlen, auch im Winter ohne Handschuhe und in kurzen Hosen zu trainieren, weil sich angeblich die Muskulatur auf diese Weise besser an die Kälte gewöhnt. Beim Abschlusstraining vor dem Europacupspiel bei Frankfurt/Oder waren es 15 Grad minus. Hansi Müller und ich haben uns in der Kabine nur angeschaut – und die langen Hosen angezogen. Der Trainer war schon draußen, und als er uns rauskommen sah, zog er seine Jacke aus und trainierte in kurzen Hosen und kurzärmligem Hemd. Allerdings nur für zehn Sekunden, dann hat er die Jacke schnell wieder übergezogen. Das Trainingsspiel der langen gegen die kurzen Hosen haben wir dann gewonnen. Es war der Moment, in dem der Trainer verloren hatte. Als Nachfolger kam dann Benthaus. Er ließ uns gewähren, und so sind wir mit ihm im ersten Jahr Dritter und im zweiten Jahr Meister geworden.
„Jürgen Klinsmann und mein Bruder waren mein erster Fanklub“
Ihre fußballerische Laufbahn begann im beschaulichen Geislingen auf der schwäbischen Alb. Da waren Sie in guter Gesellschaft.
Jürgen Klinsmann, Klaus Perfetto, mein Bruder Ralf, ich selbst. Die Jugendarbeit beim SC Geislingen war damals herausragend, obwohl der Klub keine namhaften Sponsoren hatte. Aber es gab viele Menschen, die ehrenamtlich für den Verein etwas taten. Wenn ein Spieler 30 Kilometer außerhalb wohnte, wurde er nach dem Training nach Hause gefahren. Auch wenn wir abends mal weggehen wollten, konnten wir fragen: Kannst du uns dahin fahren?
Wenn es nach Ihrer Mutter gegangen wäre, wären Sie nie zum SC gewechselt.
Wir haben damals in Altenstadt, einem Stadtteil von Geislingen gewohnt. Eine Bahnlinie war die unsichtbare Grenze, damals hieß es: Altenstädter bleiben unter sich. Es war eine richtige Rivalität, wie in Stuttgart zwischen den Kickers und dem VfB. Als ich zum SC Geislingen wollte, weil dort die besten Jugendlichen des Kreises spielten, sagte meine Mutter: Bleib hier. Irgendwann hat mein Vater das Machtwort gesprochen.
Während Sie beim SC auf Torejagd gingen, saß der junge Jürgen Klinsmann hinter dem Tor.
Mit meinem Bruder zusammen. Die beiden waren mein erster Fanklub.