Karim Adel ist Anführer der meh­rere tau­send Mann starken Ultra-Grup­pie­rung Ahlawy“ des ägyp­ti­schen Klubs al Ahly Kairo, einem der erfolg­reichsten Ver­eine Afrikas. Er war dabei, als Ultras die Revo­lu­tion auf dem Tahrir-Platz anführten und im Sta­dion von Port Said 74 Men­schen bei einer Mas­sen­panik ums Leben kamen. Knapp ein Jahr nach der Sta­di­on­ka­ta­strophe hat die ägyp­ti­sche Regie­rung nun 21 mut­maß­liche Draht­zieher der Mas­sen­panik zum Tode ver­ur­teilt. Die selbst für ägyp­ti­sche Ver­hält­nisse dras­ti­schen Urteile haben erneut für gewalt­tä­tige Stra­ßen­schlachten gesorgt. Mit Karim Adel (auf dem Foto in der Mitte) nimmt erst­mals einer der füh­renden ägyp­ti­schen Ultras Stel­lung zu der neuen Gewalt und der blu­tigen Fehde zwi­schen Politik und Fuß­ball­fans.

Karim Adel, können Sie beschreiben, was aktuell in Kairo vor sich geht? Wer kämpft wes­halb gegen wen?
Die Mus­lim­brüder, denen einst auch unser Prä­si­dent Mohammed Mursi ange­hörte und die aktuell die stärkste poli­ti­sche Kraft sind, haben die Revo­lu­tion gestohlen! Die Men­schen auf den Straßen ver­su­chen, sie zurück­zu­ge­winnen. Die Mus­lim­bru­der­schaft beein­flusst die Medien, wie es auch das System Mubarak getan hat: Sie ver­breiten, dass die Revo­lu­tio­näre aus Anhän­gern des alten Sys­tems bestünden und Ver­bre­cher seien. Dabei hat sich an dem, was die Men­schen wollen, seit dem 25. Januar 2011 (dem Tag, als die Men­schen erst­mals gegen das Mubarak-Regime auf die Straßen gingen, d. Red.) nichts geän­dert. Sie bekämpfen wei­terhin das System, das nun aus Mursi und der Muslim-Bru­der­schaft besteht.

Am ver­gan­genen Samstag wurden 21 Per­sonen, die beschul­digt werden, für das Mas­saker an Anhän­gern der al Ahly-Fans in Port Said im Februar 2012 ver­ant­wort­lich zu sein, zum Tode ver­ur­teilt. Wie haben die Ultras Ahlawy“ auf die harten Urteile reagiert?
Wir sind glück­lich, weil wir teil­weise bekommen haben, was wir haben wollten. Aber wir werden wei­ter­ma­chen. Noch wurden nicht alle unserer For­de­rungen erfüllt.

Wie lauten diese For­de­rungen?
Der Port-Said-Pro­zess muss fort­ge­setzt werden! Alle Ver­ant­wort­li­chen für das Mas­saker müssen zur Rechen­schaft gezogen werden. Und es muss Gerech­tig­keit für die Opfer der Revo­lu­tion geben. Solange unsere Nation kein bes­seres System hat, werden wir wei­ter­kämpfen.

Seit dem Mas­saker von Port Said wurden alle pro­fes­sio­nellen Fuss­ball­spiele in Ägypten aus­ge­setzt. Am mor­gigen Freitag soll der Liga­be­trieb eigent­lich wieder auf­ge­nommen werden. Glauben Sie daran, solange auf den Straßen gekämpft wird?
Nein, das wird nicht pas­sieren. Wir Ultras haben uns eigent­lich immer für eine bal­dige Wie­der­auf­nahme des Spiel­be­triebs aus­ge­spro­chen, aber bis der Pro­zess im Fall Port Said kein faires Ende gefunden hat, sind wir gegen die Wie­der­auf­nahme.

Sie for­dern offi­ziell Ver­gel­tung für die Toten von Port Said. Was ver­stehen Sie dar­unter?
Dass alle Ver­ant­wort­li­chen für das Mas­saker so hart wie mög­lich bestraft werden. Aber nicht nur die aus­füh­renden Organe, son­dern genauso alle, die den Angriff in Port Said aus dem Hin­ter­halt initi­iert haben.

Was meinen Sie damit?
Die Men­schen, die in Port Said starben, starben nicht wegen Fuß­ball. Sie sind poli­ti­sche Opfer.

Das müssen Sie erklären.
Jeder hier in Ägypten weiß, dass wir in den Aus­ein­an­der­set­zungen mit den Macht­ha­bern auch gegen die SCAF gekämpft haben (Sur­preme Council of the Armed Forces, zu deutsch: Oberster Rat der Streit­kräfte, ein 18-köp­figer Mili­tärrat, der seit der Ver­haf­tung von Dik­tator Hosni Mubarak fak­tisch die Geschicke in Ägypten lenkt, d. Red.). Wäh­rend des ver­häng­nis­vollen Spiels gegen Al-Masry Port Said am 1. Februar 2012 sangen wir uns unseren Frust von der Seele und belei­digten den Mili­tärrat und sein dik­ta­to­ri­sches Ver­halten gegen das ägyp­ti­sche Volk. Kurz nach den Gesängen aus unserer Kurve begannen die Kra­walle.

Die Ultras, spe­ziell Ahlawy“-Mitglieder, galten wäh­rend der Revo­lu­tion als eine Art Sperr­spitze des bewaff­neten Pro­testes. Im In- und Aus­land fei­erte man sie als Helden. Wel­chen Ruf genießen die Ultras in der Gegen­wart?
Ein Groß­teil der Bevöl­ke­rung, der seine Wut auf das ägyp­ti­sche System auf der Straße Platz macht, steht hinter uns. Das haben wir erst vor wenigen Tagen zu spüren bekommen: Kurz vor der Urteils­ver­kün­dung für die Täter von Port Said, star­teten wir von ver­schie­denen Orten in Kairo einen Demons­tra­ti­onszug, um auf die Opfer der Kata­strophe auf­merksam zu machen. Ob auf den Straßen oder in den U‑Bahnen: Die Leute schlossen sich uns an, sie wissen, dass auch wir Ver­folgte des Regimes sind. Und als im ver­gan­genen November erneut Stra­ßen­schlachten in der Mohamed-Mamoud-Straße (der Straße, die zum Innen­mi­nis­te­rium führt, d. Red.) begannen und die Men­schen gegen die Gewalt auf dem Tahrir-Platz demons­trierten, hörte man die Frauen und Männer bei unserer Ankunft auf dem Platz laut rufen: End­lich, die Ultras kommen!“

Karim Adel, wann werden die Demons­tra­tionen und Kämpfe auf­hören? Wann kommt Ägypten zur Ruhe?
Wenn das alte System Mubarak end­lich voll­ständig ver­nichtet und aus den Köpfen der Macht­haber ver­schwunden ist. Wenn wir in einem Land leben können, dass tat­säch­lich eine Revo­lu­tion zulässt und den Men­schen ein bes­seres Leben leben lässt. Aber der Weg dorthin ist noch weit. Und so lange werden wir wei­ter­kämpfen.