Branko Oblak, sie trafen 1976 in einem denkwürdigen EM-Halbfinale in Belgrad mit der jugoslawischen Nationalmannschaft auf Deutschland. Sie selbst spielten zu dieser Zeit in der Bundesliga beim FC Schalke 04. War die Partie auch deswegen etwas Besonderes in ihrer Karriere?
Es war wirklich ein unglaubliches Spiel. Wir hatten vor heimischem Publikum in Belgrad die Möglichkeit, in das Europameisterschaftsfinale einzuziehen. Und dann auch noch gegen den amtierenden Weltmeister Deutschland. Ich kannte viele Spieler aus der Bundesliga. Mit Paul Breitner habe ich mich vor dem Spiel noch kurz unterhalten. Ich erinnere mich also noch gut an die Partie. Die Erinnerungen sind aber nicht nur positiv.
So sehr schmerzt die späte Niederlage?
Das war natürlich eine Katastrophe für uns. Die damalige politische Führung hat uns mehrfach darauf hingewiesen, wie wichtig das Spiel für unser Land ist sei. Es war eine Frage der Ehre. Im Grunde waren wir gezwungen das Spiel zu gewinnen. Niemand wusste, was uns im Falle einer Niederlage passieren könnte. Das war ein unglaublicher Druck.
Das Spiel ging auch gleich sehr gut los für Sie, denn sie bereiteten das 1:0 für Jugoslawien vor.
Ja, Popivoda hat für uns das 1:0 gemacht. Ich habe ihn mit einem Pass sehr schön frei gespielt. Dafür wurde ich später immer wieder gelobt. Auch von Bundesligakollegen. Dann schossen wir sogar das 2:0. Die Stimmung im Stadion kochte fast über. Wir haben fantastisch gespielt und plötzlich haben wir auch daran geglaubt, dass wir das Spiel gewinnen können. Beim Halbzeitpfiff konnte man fast sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Das ganze Stadion stand auf und klatschte, alle sangen vom Finale, es war ein einziger Freudentaumel. In dieser Atmosphäre fiel es uns schwer die Ruhe zu bewahren.
Der deutsche Nationaltrainer Helmut Schön wechselte dann in der Halbzeit Heinz Flohe ein, später kam noch Dieter Müller…
Ich habe noch in der Halbzeit gesagt, dass wir auf die deutschen Einwechselspieler aufpassen müssen. Heinz Flohe war ein sehr guter Spieler und auch vor Dieter Müller hatten wir Respekt. Müller war sehr kopfballstark – ein richtiger Torjäger. Ich habe dem Trainer gesagt, dass wir einen weiteren Mann nach hinten stellen müssen. Aber genützt hat mein Hinweis uns am Ende nichts. Niemand hat darauf reagiert. Die Mannschaft wollte einfach weiter nach vorne spielen.
Das 2:1 erzielte Heinz Flohe in der 65. Minute. Wurde die Mannschaft spätestens da nervös?
Flohe hatte bei seinem Tor aber auch ein bisschen Glück. Flohe war ein Linksfuß, aber sein Schuss wurde unglücklich abgefälscht. Auf einmal wurde es ganz still im Stadion. Ich habe in die Gesichter meiner Mitspieler geschaut. Bei einigen konnte man Angst erkennen.
Vielleicht ahnten alle schon, dass Deutschland noch einmal zurückkommt. Immerhin wird den deutschen Spielern weltweit nachgesagt, dass man bis zur letzten Minute auf sie aufpassen muss.
Das wussten wir auch. Aber was soll man gegen so eine Mannschaft machen? Man muss nur mal sehen, wer alles dabei war bei den Deutschen. Sepp Maier, Rainer Bonhof, Paul Breitner, Franz Beckenbauer – das waren die besten Spieler der Welt. Die waren zwar auch müde, aber trotzdem konnten diese Spieler jederzeit ein Spiel drehen.
So kam es dann auch. Dieter Müller kam ins Spiel und köpfte mit seiner ersten Ballberührung in der 80. Minute das 2:2. War das der Genickbruch für die Moral Ihrer Mannschaft?
Ich denke schon. Müller köpfte das 2:2 und alle wussten, dass die Deutschen jetzt noch stärker werden. Bei uns ging die Angst um. Was passiert wenn wir verlieren? Das hat auch unsere Beine langsamer gemacht. Wir waren immer einen Schritt zu spät. Wir wollten das Ergebnis nur noch über die Zeit retten.
Es ging in die Verlängerung. In der Halbzeitpause wurden Sie und ihr Mitspieler Acimovic ausgewechselt. War das ein Fehler?
Der Trainer hat gespürt, dass der Druck der deutschen Mannschaft immer größer wurde. Er hat dann zwei weitere Defensivspieler gebracht und wollte uns zumindest in das Elftmeterschießen retten. Aus dem Spiel hätten wir kein Tor mehr geschossen. Da kann man ihm keinen Vorwurf machen. Er hat einfach zwei offensive Leute geopfert, dass war eigentlich eine richtige Entscheidung.
Der Plan ging aber nicht auf. Fünf Minuten vor dem Ende erzielte Müller das 3:2, in der 118. Minute sogar das 4:2. Wie haben Sie die spielentscheidenden Szenen wahrgenommen?
Ich stand vor der Bank und starrte auf das Spielfeld. Man konnte von außen spüren, dass wir es nicht in das Elfmeterschießen schaffen würden. Bei uns klappte auf einmal nichts mehr. Das 3:2 war die Entscheidung. Auf einmal schlug die Stimmung im Stadion um. Die Zuschauer wurden richtig feindselig. Die Polizei formierte sich auf der Laufbahn. Keiner von uns konnte abschätzen, was nach dem Schlusspfiff passieren würde. Es war alles möglich. Wir haben uns auf der Auswechselbank verkrochen und mit dem Schlimmsten gerechnet. Das 4:2 habe ich gar nicht mehr mitbekommen. Zum Glück ist aber nichts passiert. Die Niederlage war aber auch so schlimm genug.
Gab es nach dieser Niederlage Sanktionen gegen die jugoslawischen Spieler?
Fünf oder sechs Spieler haben nach dem Turnier nie wieder für die Nationalmannschaft gespielt. Zwei Jahre später war beinahe die komplette Mannschaft ausgetauscht. Natürlich würde niemand zugeben, dass das an diesem Spiel gelegen hat. Aber wir Spieler konnten das schon sehr gut einschätzen. Wir haben immer wieder Drohanrufe bekommen. Auch Monate danach hatten meine Mitspieler, die noch in Jugoslawien spielten, Angst aus dem Haus zu gehen. Das sind unschöne Erinnerungen.
Sind Ihre Erinnerungen an die Bundesliga etwas positiver?
Die Zeit in der Bundesliga war meine beste Zeit als Fußballer. Zwei Spiele werde ich nie vergessen. Am Ende der Saison 1976/77 stand ich noch bei Schalke unter Vertrag und wir gewannen gegen die Bayern mit 7:0. Nur ein Jahr später, ich war mittlerweile zu den Bayern gewechselt, gab es das gleiche Spiel und ich gewann mit den Bayern 7:1 gegen meinen Ex-Club Schalke. Das war verrückt.
Da kommt die Vermutung auf, dass Sie die intimen Geheimnisse der Schalker Taktik an die Bayern verraten haben. Oder sind Sie mit den Mannschaften durcheinander gekommen?
(lacht) Nein, nein, blau und rot, das konnte ich schon noch unterscheiden. Ich weiß auch nicht, wie es zu diesen Ergebnissen kommen konnte, die Mannschaften waren ja beinahe identisch. Da ich aber weder in dem einen noch dem anderen Spiel getroffen habe, kann man mir keine Schuld zusprechen. Ich habe nur ein Bayern Tor vorbereitet und das im Trikot der Roten. Aber vielleicht habe ich ja wirklich ein paar Tipps und Tricks an die Bayern verraten (lacht)
Wer ist für Sie der beste Spieler mit dem Sie je zusammen gespielt haben?
Es ist schwierig, einen Einzelnen zu nennen. Ich hatte so viele gute Mitspieler. Paul Breitner war unglaublich. Auch auf Schalke hatte ich tolle Mitspieler: Bongartz, Fichtel, die Kremers-Brüder – jeder hatte seine Qualität. Ich habe sogar noch mit Stan Libuda zusammen trainiert. Leider hat er nicht mehr gespielt als ich auf Schalke war. Aber ab und zu kam er zum Training. Wenn er sich den Ball nahm, konnte man sehen, dass er ein großer Spieler er war. Er heißt ja nicht umsonst: An Gott kommt keiner vorbei – außer Stan Libuda.
Haben Sie heute noch Kontakt zu Ihren alten Mitspielern?
Das wird immer seltener. Ich habe Uli Hoeneß, als er damals mit dem Flugzeug abstürzte eine Karte geschrieben, da hat er sich noch Jahre später bedankt. Ein großer Mann. Ab und zu treffe ich noch Dr. Müller-Wohlfarth. Mit Franz Beckenbauer habe ich ein paar Worte geredet, als die Bayern in Celje ein Freundschaftsspiel hatten. Da war Jürgen Klinsmann noch Trainer. Aber das scheint ja mittlerweile auch schon lange her zu sein. (lacht)