Union Berlin steht an der Spitze der zweiten Bundesliga. Wir sprachen mit Trainer Jens Keller über die Aufstiegschancen, Traditionsvereine und das Innenleben eines Trainers.
Jens Keller, was war Ihr erster Gedanke, als Union Berlin angerufen hat?
Der erste Gedanke war: Na gut, ein Verein aus der zweiten Liga. Aber ich hab immer gesagt, dass mir die Liga erst mal egal ist, wenn ich sehe, dass man in Ruhe etwas aufbauen kann.
Spielen weiche Faktoren wie Tradition und Fankultur eine Rolle, wenn Sie einen Job übernehmen?
Wenn man meine Karriere als Spieler und Trainer betrachtet, bin ich oft zu Traditionsvereinen gegangen. Es ist natürlich schöner, wenn das Stadion voll ist, die Fankultur lebt und die Leute sich voll mit dem Verein identifizieren.
Mussten Sie sich bei Union erst daran gewöhnen, dass die Spieler bestimmte Dinge nicht beherrschen, die Sie auf Schalke als selbstverständlich voraussetzen konnten?
Dass die Qualität jedes einzelnen Spielers in der zweiten Liga eine andere ist als bei einem Champions-League-Teilnehmer, ist klar. Aber andererseits kann man den Jungs hier mehr beibringen, und die Spieler haben das auch schnell angenommen.
Ist das ein Ansatz, der Sie reizt? Sie haben in der Vergangenheit schon mehrfach im Nachwuchsbereich gearbeitet. Wenn man hingegen Bayern München übernimmt, kann man den Spielern nicht mehr viel beibringen.
Nichtsdestotrotz würde ich Bayern München nicht ausschließen. (Lacht.) Aber ich bin tatsächlich jemand, der Spaß daran hat, Spieler zu entwickeln.
Wie fällt Ihre Bilanz bei Union nach dem ersten halben Jahr aus?
Gut, aber nicht sehr gut. Mit der Punktausbeute bin ich nicht ganz glücklich. Ich glaube, dass wir mehr Punkte liegengelassen haben, als dass wir glücklich welche geholt haben. Aber mit der Entwicklung der Mannschaft und der einzelnen Spieler bin ich zufrieden. Und damit, wie im Verein miteinander umgegangen wird, sowieso.
Ist das ein Klima, das Sie bei anderen Vereinen vermisst haben?
In der Tat ist es so, dass hier im sportlichen Bereich nur einer redet, und das bin ich als Trainer. Ich muss nicht Dinge, die von anderen Seiten in die Öffentlichkeit getragen werden, klarstellen oder mich darüber äußern. Hier ziehen alle an einem Strang und viele Angestellte sind zugleich Fans des Vereins. Es gibt nicht viele Vereine in Deutschland, bei denen solch eine Atmosphäre herrscht.
Wie fügt man sich da ein als jemand, der per Definition seines Jobs weiß, dass er irgendwann wieder gehen wird?
So wie ich mich überall eingefügt habe: Ich lasse mich zu hundert Prozent darauf ein, auch auf die Tradition. Als Trainer ist es prinzipiell wichtig, dass man die Strukturen eines Vereins kennt und auf der Welle mitschwimmt. Man kann natürlich in Nuancen seine Vorstellungen einbringen, aber man sollte nie versuchen, einen Verein komplett umzukrempeln.