Der VfB Stuttgart hat Tim Walter als Cheftrainer für die kommende Saison vorgestellt. Wir sprachen vor wenigen Wochen mit ihm über seine Spielidee, die Entwicklung von Holstein Kiel und warum sich seine Spieler quälen müssen.
Dieses Interview erschien erstmals am 06. Februar 2019. Holstein Kiel war Tabellenfünfter und stand im DFB-Pokalachtelfinale.
Das Trainingsgelände von Holstein Kiel gleicht einer Grundschule. Gebäude, die von außen wie Turnhallen aussehen, ein kleiner Zwischenhof, drumherum Rasenplätze. Tim Walter ist hier Trainer. Er sitzt im Obergeschoss, im Arbeitsraum, den er sich mit seinem Co-Trainer teilt. Über eine Stunde wird sich Walter Zeit nehmen, er scheint besonders Spaß an Fragen zu seinem System zu finden. Aber vorab: Kaffee? Er trinke nur Espresso. „Kurz und knackig. Danach kann ich mich anderen Dingen widmen.“ Ob man das jetzt interpretieren solle? Bitte nicht. Seit dem Sommer ist der 43-Jährige in Kiel, vorher war er Trainer von Bayern München U23. München verließ er mit einem Knall und einem Interview, in dem er Mängel in der vereinseigenen Jugendarbeit anprangerte. Ein Jahr später sitzt er hier in Kiel, Trainer eines Zweitligisten. Entgegen aller Erwartungen sowohl im DFB-Pokal noch vertreten als auch mit Chancen auf den Aufstieg. Wie ist das möglich?
Tim Walter, Anfang August reisten wir nach Hamburg, um einen Text über das erste Zweitligaspiel des HSV zu schreiben…
Und am Ende haben Sie über uns geschrieben?
Das blieb nicht aus, Sie hatten 3:0 gewonnen.
Man darf nicht vergessen, dass Hamburg in den ersten zwanzig Minuten drei große Chancen hatte. Sie hätten da auch ein Tor erzielen können.
Warum haben Sie trotzdem gewonnen?
Wir haben unseren Plan durchgezogen und sind immer mutiger geworden. Mich hat beeindruckt, wie konsequent wir waren. Irgendwann haben wir einfach gezockt. Und das vor 57.000 Zuschauern, das war eine coole Sache. Es hat mir gezeigt, dass mir die Mannschaft zuhört. Ein Aha-Erlebnis.
Trotzdem schienen Sie nach Abpfiff missmutig. Waren Sie empört, dass jeder den Sieg für eine Überraschung hielt?
Ich bin eben überzeugt von Holstein Kiel. Wir haben vielleicht eine individuell geringere Qualität, aber das bedeutet nicht gleich, dass wir unterlegen sind. Ich will das nicht despektierlich klingen lassen, aber ich kann auch mit individuell etwas weniger gut ausgebildeten Spielern eine Mannschaft aufbauen und großen Erfolg haben.
Worauf war ihr Training ausgerichtet, als Sie hier in Kiel im Sommer begannen?
Aufs Fußballspielen.
Einfach Fußball spielen?
Nein, aber das ist der Ausgangspunkt. Dann kamen viele kleine Provokationen und Überforderungen. Wir haben das Spiel komplizierter gemacht, als es eigentlich ist. Indem die Jungs zum Beispiel Felder ausspielen, bestimmte Stationen anspielen oder durch Tore dribbeln mussten.
Was bringt das?
Dass die Jungs an andere Dinge denken müssen und in erster Linie gar nicht so ans Fußballspielen. Das ist eine kognitive Sache. Ich will vor allem Entscheidungsfindungen fördern. Denn auf dem Platz kommt es immer darauf an, dass richtige Entscheidungen getroffen werden.
Bei Ihrem Antritt in Kiel sagten Sie: „Als Spieler hatte ich zwar Talent, aber nicht den Ehrgeiz, den ich als Trainer entwickelt habe.“ Warum nicht?
Als Spieler konnte ich mich nicht quälen. Und was entscheidender war: Ich war sehr sensibel. Mit Kritik konnte ich nicht umgehen, danach war ich nicht mehr zu gebrauchen. Ich habe mich auf meinem Talent ausgeruht – und es am Ende hergeschenkt.
Wieso besitzen Sie mehr Ehrgeiz als Trainer?
Ich wollte im Fußball arbeiten. Anfangs war ich bei einer Fußballschule in Karlsruhe tätig, dann suchte der KSC einen Co-Trainer im Juniorenbereich für Markus Kauczinski. Es ging aber eher ums Brötchen verdienen, nicht gleich um den Profifußball. Beim KSC habe ich die Jungs von der Schule abgeholt, habe mit ihnen Hausaufgaben gemacht. Ich war sehr zufrieden damit, jungen Spielern weiterzuhelfen, sie weiterzuentwickeln, und sie zu erziehen.
Gibt es einen ehemaligen Jugendspieler, auf dessen Entwicklung Sie besonders stolz sind?
Ach, ich war ja immer nur ein Teil…
… an der Wand hinter Ihnen hängt immerhin ein Milan-Trikot von Hakan Calhanoglu.
Gut, Hakan habe ich zum Karlsruher SC geholt. Da hatte ich sicher ein wenig Einfluss auf ihn.
Wie haben Sie ihn überzeugt?
Hakan spielte in der D‑Jugend von Waldhof Mannheim. Es waren viele Vereine an ihm dran, Freiburg und Hoffenheim zum Beispiel. Ach, mit Hakan war es schon immer spannend…
Inwiefern?
(lacht.) Mit der Schule hatte er es nicht so. Da musste ich öfter mal mit Engelszungen auf seinen Rektor einreden. Aber ich glaube, er hat seinen Weg gemacht. Er ist wirklich ein höflicher, gut erzogener Junge.