Hermann Gerland begleitete Bastian Schweinsteiger über mehr als ein Jahrzehnt. Einst erzählte uns der „Tiger“, wie er Schweinsteiger als Jugendlichen erlebte.
Hermann Gerland, erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Spiel als Trainer von Bastian Schweinsteiger?
Im Mai 2002 sind wir mit den Bayern-Amateuren zu Jahn Regensburg gefahren. Ich musste in dem Spiel auf die halbe A‑Jugend zurückgreifen. Für Regensburg ging es um den Aufstieg. Basti war noch im ersten A‑Jugend-Jahr und er hat überragend gespielt. Nicht gut, überragend. Wir führten 3:0, da kam er nach 60 Minuten an die Seitenlinie, weil er ausgewechselt werden wollte. Da habe ich gesagt: „Du bist wohl nicht ganz dicht, Junge. Du bist 17, du musst drei Spiele hintereinander machen, und nicht nach 60 Minuten rausgehen.“
Er sagt, Sie seien fünf Meter in den Platz reingelaufen, um ihm Beine zu machen. War er einer, der den Druck brauchte?
Wissen Sie, ich war damals bei fast jedem Heimspiel der A‑Jugend. Ich habe immer zu ihm gesagt: „Schweini, ich kann am Sonntagmorgen auch mit meiner Familie spazieren gehen. Aber ich komme her, weil ich sehen will, dass du Gas gibst und dich nicht wie ein Altherrenspieler bewegst.“ Jungs in dem Alter brauchen das.
Was war er damals für ein Typ?
Er hat halt häufig Mist gebaut. Dinge, die man in dem Alter eben so macht.
Mist?
Sachen, die ich von mir selbst kannte. Ich bin auch ohne Führerschein gefahren, aber da war ich 15. Er hat das erst mit 18 gemacht. Was soll ich da sagen? Ich kann mich doch nicht hinstellen und das verurteilen!
Fällt Ihnen noch eine Geschichte von ihm ein?
Naja, das kennen Sie alles: neue Frisur, Fingernägel lackiert. Als 17-Jähriger saß er eines Morgens mit schwarzen Haaren beim Frühstück. Hatte wohl eine Wette verloren. Da habe ich gesagt: „Schweini, heute kannst du so lange laufen, bis die Haare wieder blond sind“. Wenn die Mist machen, dann bekommen die einen von mir mit, und danach gehe ich in meine Kabine und lache mich kaputt.
Es heißt, Piotr Trochowski sei in jungen Jahren bei Bayern eigentlich der hoffnungsvollere Spieler gewesen.
Piotr hatte diese unglaubliche Waffe: seinen harten, zielgenauen Schuss – und zwar beidbeinig. Aber in dem Alter weiß ein Spieler noch nicht genau, wie er seine Stärke einsetzen kann. Basti aber wusste, was er kann. Er war in der Defensive viel stärker als Piotr und er war ein Kämpfer.
Aus dem 1984er Jahrgang der Bayern-Amateure stammen neben Trochowski auch Spieler wie Christian Lell oder Michael Rensing. Was hatte Schweinsteiger Ihnen voraus?
Das waren alles außergewöhnliche Spieler. Aber der Basti hat einfach gerne Fußball gespielt. Auch wenn mittwochs trainingsfrei war, stand er selbst im Winter mit Pudelmütze auf dem Platz und hat trainiert.
Das machen andere aber auch.
Sicher, aber nehmen Sie zum Beispiel den Zvjezdan Misimovic. Wenn wir ein Training machten, in dem nicht gespielt wurde, kam er an: „Trainer, können wir nicht bitte ein Spielchen machen? Ein Viertelstündchen? Bitte, bitte!“ Schweini war da ganz anders. Außerdem war er einer, der sich nichts gefallen ließ und auch mal ausgeteilt hat. Der hat auch Dinge gemacht, über die ältere Leute sagen würden: „Sowas macht man nicht.“
Das heißt?
Er hat auch mal einen „drüber gehalten“ oder den Gegner festgehalten, anstatt auf der Erde zu liegen und zu weinen.
Wo hatte Schweinsteiger Defizite?
Er war kein Sprinter. Deshalb lag ihm diese Position auf der Außenbahn auch nie so richtig. Ribery und Robben sind beide pfeilschnell, das fehlt dem Basti. Aber er hat eine große Laufbereitschaft und eine einzigartige Technik – wenn wir Positionsspiele gemacht haben, war der überragend. Dazu hat er einen super Schuss, ein gutes Auge und einen Körper, den er auch mal als Waffe einsetzt.
Haben Sie Ihre Erfahrungen nicht Ottmar Hitzfeld weitergegeben, dann wäre Schweinsteiger vielleicht schon früher ins zentrale Mittelfeld gerückt?
Ich habe mit Ottmar Hitzfeld nie über Fußball gesprochen, außerdem hatte er auf dieser Position lange Zeit Spieler wie Michael Ballack oder Jens Jeremies vor sich.
Hitzfeld hätte auch mal von selbst drauf kommen können.
Hören Sie mal, Schweinsteiger hat schon im zweiten A‑Jugend-Jahr bei Ottmar Hitzfeld gespielt. Das ist das größte Lob, was man als 18-Jähriger bekommen kann. Hitzfeld wollte nur Weltklasse-Spieler haben, am besten noch mit einer gewissen Erfahrung, den hat die Jugendabteilung eigentlich nie interessiert. Und bei so einem Trainer hat Basti den Sprung zu den Profis geschafft.
Waren seine Führungsqualitäten schon früh sichtbar?
Er hat immer sehr unbekümmert gespielt, auch mal ein Dribbling zuviel gemacht. Aber ein Anführer war er damals noch nicht. Was aber sichtbar war: Er wollte immer gewinnen.
Beschreiben Sie doch mal den Menschen Schweinsteiger.
Ein Beispiel: Nach dem Champions-League-Finale in Madrid haben wir vom Stab bei der Siegerehrung keine Silbermedaille bekommen. Die gab es zunächst nur für den Trainer und die 18 Spieler. Da kam Basti von der Siegerehrung und sagt: „Hier, Tiger, du hast keine, nimm meine.“
Später war er im Duett mit Lukas Podolski sowas wie der „Gute Laune Bär der Nation“?
Ganz ehrlich, ich habe ihn sehr selten mit schlechter Laune gesehen. Und dabei ist er immer bescheiden und freundlich geblieben.