Man nennt es die „Mutter aller Niederlagen“, Bayern Münchens 1:2 gegen Manchester United heute vor 15 Jahren, am 26. Mai 1999. Moderator Günther Jauch erinnert sich an die Starre des Kaisers und sein weg geworfenes Manuskript.
Günther Jauch, Sie moderierten die Übertragung des Finals zwischen Bayern und ManU. Denken Sie noch oft daran zurück?
Ja, klar. Immer wenn eine Mannschaft kurz vor Schluss knapp führt, heißt es doch: „Denkt an Barcelona 1999!“ Sobald die Nachspielzeit beginnt, halten alle alles für möglich. Das ist zwangsläufig. Insofern zählt dieses Finale zu den großen Mythen der Fußballgeschichte, steht für mich direkt neben dem WM-Halbfinale Deutschland-Italien 1970. Seltsamerweise habe ich den Anzug noch, den ich damals in Barcelona trug. Der überlebt jede Entrümpelung meines Kleiderschranks, obwohl ich nicht einmal weiß, ob er mir noch passt. Aus Pietät ziehe ich ihn nicht mehr an.
Kommen wir von der Mode zum Sport. Wie würden Sie die Rivalität zwischen den beiden Teams charakterisieren?
Es war kein Hass‑, aber doch mindestens ein Prestigeduell. Im Finale selbst waren die Bayern besser, wirkten die souveräner. Die Körpersprache von Effenberg und Basler signalisierte: Sie fühlen sich wohl und sicher in diesem Spiel.
Bayern-Präsident Franz Beckenbauer war Ihr Experte. Haben Sie das Spiel gemeinsam verfolgt?
Nein, er war auf der Tribüne. Erst kurz nach dem Abpfiff kam er zurück ins Studio. Und da war es gefährlich: er war ganz, ganz ruhig. Er war an der Grenze zur Abwesenheit. Sonst hat er sich ja über schon über verunglückte Dribblings aufgeregt. Diesmal war es anders. Man hat gesehen, wie diese Niederlage in ihm gearbeitet hat. Er wusste zwar, dass im Fußball alles möglich ist. Aber das 1:2 ging gegen seine Überzeugung, wie souverän ein FC Bayern die letzten Minuten eines Finals zu bestreiten habe, wie man das nach Hause spielen müsse. Er war geschockt.
Mussten Sie ihre Notizen, die Sie sich für die Nachlese gemacht hatten, wegwerfen?
Ja. Es ging nicht mehr um die chronologische Aufarbeitung eines Spiels, sondern um die Sichtbarmachung eines Schockzustandes, das Aufgreifen eines millionenfachen Aufstöhnens.
Kommentator Reif sagte nach dem Schlusspfiff: „„Wissen Sie was? Ich habe gar keine Lust, das hier zu analysieren.“ Der Ball lag bei Ihnen.
Und ich wusste auch nicht, wohin damit! Aber Marcel hatte Recht. Man glaubte nicht, was, man als Augenzeuge miterlebt hatte. Da kann man nicht einen Einwurf aus der 52. Minute nachbereiten.
Hatten Sie Mitleid mit den Bayern?
Durchaus. Wobei ich mir nicht ausmalen konnte, dass das ein jahrelanges Trauma für den FC Bayern werden würde. Das konnte ich erst ermessen, als die Mannschaft zwei Jahre später den Titel gegen Valencia holte. Da fiel eine riesige Last von ihnen ab. Es war das erste und einzige Mal, dass ich in eine Champagnerdusche geriet.
Aufstieg, Fall, Phoenix aus der Asche. Haben wir dieser Dramaturgie Figuren wie Kahn und Effe zu verdanken?
Sicherlich. Effenberg war jemand, der eine Mannschaft führen konnte. Er hatte eine Dominanz, die er phänotypisch auf dem Platz präsentierte. Aber bei aller Heldenverehrung sollten wir nicht vergessen: Das Elfmeterschießen 2001 hätte auch Valencia gewinnen können.
Zurück zum 99er-Finale: Haben Sie mit ihrem Kollegen Marcel Reif die Geschehnisse nachbereitet?
Soweit es ging. Aber das sind Momente, in denen man kopfschüttelnd daneben steht. Da wird man zum Leidenden. Das kann man nicht Punkt für Punkt abarbeiten.
Zusammen mit Reif erhielten sie den Grimme-Preis, weil sie ein Jahr zuvor nach dem Zusammenbruch eines Tores in Madrid stundenlang das Nichts kommentierten. Nun überschlugen sich die Ereignisse, und ihnen beiden blieb die Spucke weg. Ganz schön paradox.
Ja! Man denkt: „Oh Gott, jetzt sollst du noch 90 Minuten analysieren, diskutieren, Ausschnitte anschauen.“ Und wie gesagt: der Beckenbauer hatte einfach keine Lust mehr.
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Hinweis: Dieses Interview wurde 2009 geführt, d. Red.