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Herr Castro, inter­es­siert Sie die Natio­nal­mann­schaft auch einen feuchten Käse“, wie das Stefan Kieß­ling kürz­lich for­mu­lierte?
Nein, jeder muss selbst wissen, wie er mit der Frage umgeht. Es war aber sein gutes Recht, das Thema deut­lich zur Seite zu schieben. Sonst geht das Theater immer wieder von vorne los, wenn er mal zwei Tore schießt.

Sie selbst würden also schon mit­kommen nach Bra­si­lien?
Die WM ist nach wie vor mein großes Ziel, darauf arbeite ich diese Saison hin. Dass es schwierig wird, noch auf den Zug auf­zu­springen, weiß ich. Ich bin kein Träumer. Erstmal geht es in den nächsten Monaten aber sowieso um den Klub. Sollte es am Ende noch klappen mit dem Natio­nal­team, wäre das die Krö­nung meiner Kar­riere.

Kein Spieler hat vor Ihnen bis zu seinem 26. Geburtstag so viele Bun­des­liga-Spiele absol­viert. 234-mal kamen Sie in der Liga zum Ein­satz, häu­figer als Bas­tian Schwein­steiger oder Philipp Lahm im glei­chen Alter. Fühlen Sie sich hin­rei­chend gewür­digt?
Ich bin vor allem froh, dass ich mich nie ernst­haft ver­letzt habe, ansonsten halte ich nicht so viel von Sta­tistik.

Trotzdem haben Sie diese Zahlen vor Sai­son­start selbst auf Ihre Face­book-Fan­seite gestellt. Haben Sie sich im Sommer über­legt, mal etwas for­scher auf­zu­treten?
Es ver­gessen ein­fach viele, dass ich erst 26 bin und noch keine 29 oder 30. Und ich bin meinem Klub immer treu geblieben, was im heu­tigen Fuß­ball auch nicht mehr so oft vor­kommt. Das war aber mehr ein State­ment für die Bou­le­vard­presse, das rich­tete sich nicht an die Fans.

Obwohl Sie eine der tra­genden Säulen von Bayers Erfolgself sind, wurden Sie seit 2007 nicht mehr ein­ge­laden. Über Stefan Kieß­ling wird immerhin dis­ku­tiert, aber bei Ihnen: Schweigen im Walde.
Wissen Sie was? Mir ist das eigent­lich sogar ganz recht so. Dann brauche ich nach dem Spiel nicht so viele Fragen beant­worten. Ich finde das schon ganz gut, wenn der Kies“ für das Thema Natio­nal­mann­schaft zuständig ist und die Jour­na­listen mich in dem Zusam­men­hang in Frieden lassen. Trotzdem bleibt die WM mein großes Ziel.

Sie gehörten zu der legen­dären U21-Euro­pa­meister-Mann­schaft von 2009, in der Manuel Neuer, Mats Hum­mels, Mesut Özil oder Sami Khe­dira standen. Was fehlt Ihnen zu jemandem wie Khe­dira?
Sami hat 2010 großes Glück gehabt, dass sich Michael Bal­lack vor der WM ver­letzt hat. Sonst wäre er viel­leicht nur als Zuschauer nach Süd­afrika gefahren. Im Fuß­ball kann sich in einem Moment alles schlag­artig ändern. Es ist aber auch klar: Wer sich einen Stamm­platz bei Real Madrid erkämpft hat, muss eine gewisse Qua­lität haben. Es ist also voll­kommen gerecht, dass er in der Natio­nal­mann­schaft spielt.

Sie galten schon in Ihrer Jugend immer als künf­tiger Natio­nal­spieler.
Wir sind halt zwei ver­schie­dene Wege gegangen, und bei ihm ist die Pro­gnose ein­ge­troffen.

Es ent­scheidet also nicht alleine die Qua­lität dar­über, wie eine Fuß­bal­ler­kar­riere ver­läuft?
Es gehört tat­säch­lich auch etwas Glück dazu. Wenn ich irgend­wann zu einem anderen Klub gewech­selt wäre, würde ich heute viel­leicht auch in der Natio­nal­mann­schaft spielen. Es stand für mich aber nie zur Debatte, meinen Verein zu ver­lassen. Ich habe meine Ver­träge immer vor­zeitig ver­län­gert, so dass Nach­fragen anderer Klubs abge­blockt wurden, und jetzt bin ich schon seit zehn Jahren Bayer-Profi.

Warum genau sind Sie denn immer noch in Lever­kusen? Sie wohnen ja sogar in einem Bun­galow direkt an der BayA­rena.
Ich fühle mich hier – genauso wie Stefan Kieß­ling – ein­fach sehr wohl. Es fehlt jetzt eigent­lich nur noch, dass wir in den nächsten Jahren auch einmal um die große Schale mit­spielen.
Sie haben, als Sohn spa­ni­scher Eltern, vor Jahren auch mal einen U17-Lehr­gang für den spa­ni­schen Ver­band absol­viert. Wie kam es dazu?
Als ich gerade meine erste halbe Saison bei den Profis spielte, hatte ich noch meinen spa­ni­schen Pass. Darauf wurde ich zu einem drei­tä­gigen Lehr­gang in Las Rozas bei Madrid ein­ge­laden. Mit dabei waren Spieler wie Jurado, der später für Schalke spielte, Nacho Mon­real, Raul Garcia – und Cesc Fab­regas. Zwei Jahre später habe ich mich für Deutsch­land ent­schieden.

Warum?
Weil ich in Deutsch­land auf­ge­wachsen bin. Ich bereue die Ent­schei­dung nicht. In der spa­ni­schen Natio­nal­mann­schaft wäre es außerdem, ehr­lich gesagt, sicher noch schwie­riger geworden.

Mit 17 in der Bun­des­liga, mit knapp 20 Natio­nal­spieler, mit 24 fast 200 Bun­des­li­ga­spiele, aber keine Län­der­spiele mehr. Was war eigent­lich Ihre beste Zeit?
Die ver­gan­genen zwei Jahre waren meine besten. Nicht nur des­halb, weil ich zuletzt auch immer mehr Tore und Assists bei­gesteuert habe. Ich bin ins­ge­samt kon­stanter geworden. Früher wurden mir manchmal schwan­kende Leis­tungen vor­ge­worfen.

Wann haben Sie damit auf­ge­hört, bei den Nomi­nie­rungen den Kader im Video­text auf­zu­rufen?
Das ist schon ein paar Jahre her. Ich habe mir irgend­wann ein­fach gesagt: Es reicht bei dir offenbar nicht für die Natio­nal­mann­schaft. Ich glaube, dass es zu viele Kopf­schmerzen kostet, wenn man jedes Mal dar­über nach­denken muss: Was habe ich jetzt wieder falsch gemacht?

Was glauben Sie denn, warum spielen Sie nicht mehr im A‑Team?
Der Fuß­ball hat sich gewan­delt. Wenn man heute mal ein, zwei Spiel­tage keine Leis­tung bringt, wird man sofort her­un­ter­ge­stuft. Schießt man dann aber zwei Wochen hin­ter­ein­ander ein Tor, geht´s direkt wieder vier Stufen rauf. In diesem extremen Tages­ge­schäft ist es immer schwie­riger, gerecht bewertet zu werden.

Sie haben Ihre Nicht­no­mi­nie­rung zuletzt auch mit einem Stand­ort­nach­teil erklärt. Das hört man häu­figer aus Lever­kusen. Worin besteht der eigent­lich? Erklären Sie mal.
Wir spielen seit ein paar Jahren wirk­lich gut und stehen, soviel ich weiß, in der Gesamt­bi­lanz der ver­gangen zehn Jahre direkt hinter Bayern Mün­chen und Borussia Dort­mund. Zudem haben wir eine Mann­schaft, in der sehr viele deut­sche Spieler zum Ein­satz kommen. Wir werden aber ein­fach nicht ein­ge­laden. Und damit meine ich nicht nur Kies und mich. Es gibt ja auch noch andere Kan­di­daten wie Bernd Leno oder Stefan Rein­artz.

Woran liegt es, dass der Bun­des­trainer Spieler aus Lever­kusen ver­schmäht?
Der Grund ist noch nicht gefunden. Natür­lich findet es aber in der Öffent­lich­keit ein gewal­tiges Echo, wenn Uli Hoeneß jemanden vor­schlägt. Ich finde ins­ge­samt, dass es mehr nach Leis­tung gehen sollte, weniger über die mediale Posi­tio­nie­rung.

Sie müssten also ein­fach nur fort­gehen aus Lever­kusen?
Nein, ich wech­sele doch nicht den Verein, nur um in der Natio­nal­mann­schaft spielen zu können. So einen Schritt macht man nur, um woan­ders Titel zu gewinnen oder wegen einer neuen Her­aus­for­de­rung, einer neuen Kultur oder Sprache.

Sie haben seit der Saison 2004/05 schon überall gespielt, außer Tor­wart und Innen­ver­tei­diger. Warum?
Wenn man jung ist, ist man froh, wenn man jedes Spiel macht, egal auf wel­cher Posi­tion, auch wenn man das nicht gelernt hat in der Jugend. Ich habe mich seitdem aber wei­ter­ent­wi­ckelt und will bewusst mehr Ver­ant­wor­tung über­nehmen. Es steht für mich außer Frage, dass ich der Mann­schaft als Mit­tel­feld­spieler am besten helfen kann.

Liegt es mit der Natio­nal­mann­schaft viel­leicht auch ein­fach daran, dass Sie zu poly­va­lent sind und des­halb zu selten auf Ihrer Lieb­lings­po­si­tion zum Ein­satz kamen?
Die Kol­legen von der Sport-Bild haben letz­tens aus­ge­rechnet, dass ich 146-mal die fal­sche Posi­tion gespielt habe. Wir haben aber vor dieser Saison zum Glück kräftig ein­ge­kauft, damit hat sich das Thema hinten spielen“ ein für allemal erle­digt. Es gibt für mich keinen Weg mehr zurück. Es wäre ein sport­li­cher Rück­schritt, wenn ich jetzt wieder ver­tei­digen würde.

Stefan Kieß­ling hat in der ver­gan­genen Saison ein Koch­buch ver­öf­fent­licht. Wor­über könnten Sie schreiben?
Über meine zehn Jahre im Pro­fi­fuß­ball. Dass ich mir meinen Traum bereits mit 17 Jahren erfüllt habe. Oder natür­lich über die EM mit der U21-Natio­nal­mann­schaft. Hinter mir lag damals gerade das schwie­rige Jahr mit Bruno Lab­badia. Ich kam direkt vom ver­lo­renen Pokal­fi­nale aus Berlin. Und dann gewannen wir in Schweden den Titel.

Warum war das so über­ra­schend?
Sebas­tian Boe­nisch und Mesut Özil hatten sogar zwei Finals gespielt mit Werder Bremen, im UEFA-Cup und DFB-Pokal. Es war zu befürchten, dass einige die Zügel schleifen lassen. Wir haben es in den drei Wochen aber sehr gut hin­be­kommen, uns auf das Finale zu fokus­sieren.

Sie haben im End­spiel gegen Eng­land das 1:0 erzielt, waren Stamm­spieler. Was war Ihr genauer Platz im Mann­schafts­ge­füge?
Ich war für das Tur­nier von der A‑Nationalmannschaft aus­ge­liehen, kam sozu­sagen von oben“. Mesut und Sami waren kurz davor, Natio­nal­spieler zu werden.

Wäre die EM das längste Kapitel in Ihrem Buch?
Sehr wahr­schein­lich, vor allem wegen der beson­deren Mann­schaft. Es trafen voll­kommen unter­schied­liche Cha­rak­tere auf­ein­ander, die schwierig zu behan­deln waren. Horst Hru­besch hat das aber sehr gut hin­be­kommen. Er besitzt das rich­tige Fin­ger­spit­zen­ge­fühl für junge Leute.

Wann war der Moment, als die Mann­schaft zusam­men­wuchs?
Das war das erste Spiel gegen Spa­nien. Wir wussten nicht, wo wir stehen, weil so viele neu dazu gekommen waren. Wir hatten dann aber sogar rie­sige Chancen zu gewinnen. Die Partie ging am Ende zwar 0:0 aus, aber wir hatten das Gefühl, dass mehr drin ist, als nur die Grup­pen­phase zu über­stehen. Und dann haben wir gemeinsam Geschichte geschrieben. Es war der erste EM-Titel einer deut­schen U21-Mann­schaft.
Wäre Ihre Kar­riere anders ver­laufen, wenn Sie gegen­über den Medien auf­treten würden wie zum Bei­spiel Mats Hum­mels?
Das könnte sein. Mats spielt nicht nur gut Fuß­ball, er geht auch sehr pro­fes­sio­nell mit den Medien um. Aber ich bin nicht unbe­dingt der Typ dafür. Ich halte mich lieber im Hin­ter­grund. Ich möchte ein­fach Fuß­ball spielen und nicht für irgend­welche Zei­tungen inter­es­sant sein.

Sie sind seit zehn Jahren im Pro­fi­zirkus. Was weiß noch nie­mand über Gon­zalo Castro?
Über mein Pri­vat­leben weiß kaum jemand etwas. Für mich wäre es auch das Schlimmste, wenn meine Freundin plötz­lich in der Zei­tung auf­tau­chen würde. Ich ver­suche, mich da klar abzu­grenzen. Das würde ich übri­gens auch als Natio­nal­spieler so halten.

In einem Steck­brief wurden Sie mal nach dem wich­tigsten Deut­schen“ gefragt. Sie ant­wor­teten: Marcel Reich-Ranicki. Warum?
Es ist für mich legendär, dass er den Deut­schen Fern­seh­preis nicht ange­nommen hat. Er ist auf die Bühne gegangen, hat das Niveau der deut­schen Fern­seh­land­schaft ange­pran­gert und den Preis abge­lehnt. Das war damals gerade pas­siert, des­wegen habe ich seinen Namen genannt.

Javi Mar­tinez hat neu­lich gesagt: Ich bin der deut­scheste Spa­nier“. Sind Sie der spa­nischste Deut­sche?
Das kann man so sehen. Ich bin in Deutsch­land auf­ge­wachsen und zur Schule gegangen, habe aber nach wie vor sehr gute Bezie­hungen nach Spa­nien. Teile meiner Familie wohnen in Gerona und Malaga. Im Urlaub fahre ich fast immer dorthin, jedes Jahr min­des­tens zwei Wochen. 80 Pro­zent meiner Ferien habe ich in Spa­nien ver­bracht.

Wie gut kennen Sie sich in der spa­ni­schen Liga aus?
Sonn­tag­abend habe ich noch Valencia gegen Barca geguckt, vorher um zwölf Uhr mit­tags Real Madrid gegen Bilbao. Ich gucke sehr, sehr viel spa­ni­schen Fuß­ball. Zum Glück sind die Spiele in Spa­nien meis­tens etwas später als die in der Bun­des­liga.

Sie haben in der U21 auch mit Patrick Ebert zusammen gespielt. Wie auf­merksam haben Sie seinen Weg in Spa­nien ver­folgt?
Ich habe viel über ihn in der Marca gelesen. Ich freue mich sehr, dass er bei Real Val­la­dolid so gut ein­ge­schlagen hat. Er hatte bei der Hertha mit seiner Ver­let­zung einen schwie­rigen Start. Ich war zunächst über­rascht, dass er nach Spa­nien gegangen ist, aber es war der rich­tige Weg für ihn.

Sie lesen also regel­mäßig die Marca. Wie viel stimmt denn nun von dem, was die spa­ni­schen Kol­legen so schreiben?
Ich würde sagen: circa die Hälfte. Immerhin, muss man sagen. In tür­ki­schen Fuß­ball­zei­tungen, so hört man ja gele­gent­lich, könnten es noch ein paar Pro­zent weniger sein.

Wäre Spa­nien nicht auch noch etwas für Sie?
Das war früher ein Ziel von mir, aber durch die Finanz­krise ist es unrea­lis­tisch geworden. Lever­ku­sens Stel­len­wert in der Bun­des­liga ist so hoch, dass ich auch erstmal einen hoch­ran­gi­geren Verein finden müsste. Barca und Real brau­chen mich aber gerade eher nicht.

Wird es für Sie am Ende des­wegen für immer Lever­kusen“ heißen, wie es bei Stefan Kieß­ling absehbar ist?
Wenn mein neuer Ver­trag aus­läuft, bin ich 29 Jahre alt. Ich könnte mir schon vor­stellen, nochmal eine neue Sprache zu lernen.

Spa­nien fällt weg. Bleibt Eng­land?
Ja, die Pre­mier League würde mich inter­es­sieren. Bei Arsenal wäre ich dann zum Bei­spiel der vierte Deut­sche, das wäre ja nicht so schlecht.