Die Dokumentation „Ekstase und Schock – Die Fußballhauptstadt Buenos Aires“ (heute um 22 Uhr im WDR) nimmt ihre Zuschauer mit auf einen Trip durch Argentiniens Fan-Kultur. Wir sprachen mit ihren Machern Marc Quambusch und Jan-Hendrik Gruszecki über die Dreharbeiten, böse Jungs und laute Gesänge.
Marc Quambusch und Jan-Henrik Gruszecki, wie sind Sie dazu gekommen, gemeinsam nach Buenos Aires zu fliegen und dort einen Film über den Fußball zu drehen?
Jan-Henrik Gruszecki: Ich habe insgesamt sechs Jahre in Buenos Aires gelebt. Marc und ich haben schon für die „Verrückt nach Fußball“-Reihe zusammengearbeitet und hatten da den Traum, einen Film über Buenos Aires zu machen.
Marc Quambusch: Auch für mich ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen, denn es war immer klar, dass Buenos Aires das große Ziel war. Wir sind dem WDR dankbar, dass er den Mut hatte diesen Film machen zu lassen.
Am Ende sind 45 Minuten geballte Eindrücke herausgekommen. Wie viel Aufwand steckt hinter dem Projekt?
Marc Quambusch: Wir haben etwa drei Wochen gedreht. Die Vorarbeit nimmt aber deutlich mehr Zeit in Anspruch. Plus diverse Wochen Schnitt.
Eine wichtige Rolle im Film spielen die Barra Bravas, die aktivste aber auch kriminellste Fan-Szene in Argentinien. Häufig fällt es schwer, als Außenstehender Zugang in solche Kreise zu finden. Wie ist es Ihnen gelungen?
Jan-Henrik Gruszecki: Es mag vermessen klingen, aber kein anderes Team hätte solche Aufnahmen drehen können wie wir. Unser Vorteil war, dass die Kontakte aus meiner Zeit in Buenos Aires noch bestehen – auch zu den härteren Jungs. Die Barras haben gemerkt, dass wir auch selber Fans sind, die verstehen, was da passiert, auch wenn wir vieles von dem kritisieren, was die Barras machen.
Zwischen einem guten Kontakt und der Erlaubnis in engsten Kreisen drehen zu dürfen, liegt doch aber noch ein ganzes Stück Überzeugungsarbeit.
Jan-Henrik Gruszecki: Ich musste natürlich bei den Capos eine Genehmigung einholen. Sie haben aber schnell verstanden, dass ein Film mit uns zwar kritisch, aber eben auch fair ist.
Wie war die Atmosphäre hinter der Kamera?
Marc Quambusch: Als klar war, dass wir von oberster Stelle eine Dreherlaubnis haben, waren alle total offen. Da sind die Argentinier auch anders als beispielsweise deutsche Fans, viel kamerafreundlicher.
Gab es trotzdem brenzlige Situationen?
Jan-Henrik Gruszecki: Sie spielen sicher auf Ausschreitungen oder Gewalt an. Wir waren sehr vorsichtig bei den Vorrecherchen. Manche Fans sind sicher gefährlich. Aber, da wir mit den richtigen Leuten unterwegs waren, blieben uns brenzlige Situationen erspart. Klar ist, dass du z.B. nicht einfach auf die Isla Maciel (Stadtteil mit der höchsten Kriminalitätsrate in Buenos Aires, d. Red.) fährst.
Besonders spektakulär sind die Szenen in den Fan-Kurven.
Jan-Henrik Gruszecki: Das war für unser Kamera-Team sehr schwierig. Die Sorge um die Technik war groß. Immerhin trafen da Geräte im Wert von über 100.000 Euro auf Fans aus teilweise sehr armen Verhältnissen. Aber am Ende war es das wert und alles ist gut gegangen.
Haben die Barra Bravas schon Ihre Dokumentation gesehen?
Marc Quambusch: Nein, aber auch wenn wir sie nicht nur positiv darstellen, wären sie mit dem Ergebnis einverstanden. Die wissen ja selber, dass sie keine Waisenknaben sind und genießen das auch. Man inszeniert sich da gerne als „böser Bube“.
Welches Bild hat die argentinische Gesellschaft von den Barras?
Jan-Henrik Gruszecki: Das ist tatsächlich sehr ambivalent. Einerseits wissen alle, dass die Stimmung in den Stadien, die über Argentinien Grenzen hinaus bekannt ist, von den Barras ausgeht. Aber die kriminelle Seite will niemand haben. Wenn andererseits im Haus des Capos der Boca Juniors kiloweise Kokain und mehrere hunderttausend Euro an Bargeld gefunden werden, dann wird man – zurecht – wenige Leute finden, die das bejubeln.
Sind die Barras mit der deutschen Ultra- oder der Hooligan-Kultur vergleichbar?
Jan-Henrik Gruszecki: Das ist etwas völlig anderes, allein schon in Anbetracht ihrer Philosophie. Die Ultras in Deutschland sind ja kommerzkritisch. Bei den Barras ist es hingegen nicht unüblich, sich die Blockfahnen bezahlen zu lassen und den Sponsor aufzudrucken. Die drei Kulturen sind nicht miteinander zu vergleichen.
Nach einer Vielzahl von Ausschreitungen dürfen in Argentinien keine Gäste-Fans mehr in die Stadien. Wie hat das die Stimmung verändert?
Jan-Henrik Gruszecki: Die Spiele sind längst nicht mehr so vielseitig und laut. Wer heute in ein argentinisches Stadion geht, erlebt nur noch die Hälfte der Stimmung von früher.
Was erhoffen sich die Argentinier von der WM in Brasilien?
Jan-Henrik Gruszecki: Der Argentinier glaubt grundsätzlich, dass alles, was er macht, das Beste auf der Welt ist. Alle gehen davon aus, dass man Weltmeister wird. Man hat den besten Spieler und eine ganz ordentliche Truppe, aber dann ist manchmal die Überraschung groß, dass andere auch noch spielen können. Bescheidenheit ist dem argentinischen Wesen eher nicht gegeben.
Trotzdem ist die Begeisterung riesig. Die Menschen identifizieren sich viel mehr mit ihrer Mannschaft, als man das vielleicht in Deutschland kennt.
Marc Quambusch: Das zeigt sich auch in Buenos Aires. Das Trikot der Nationalmannschaft gehört zum Alltag wie in Deutschland ein Anzug oder ein klassisches T‑Shirt.
Was sind weitere markante Unterschiede zwischen der deutschen und der argentinischen Fan-Kultur?
Marc Quambusch: Der Anteil der Fans, die im Stadion wirklich aktiv mitmachen, ist viel größer als in Deutschland. In Argentinien singt und springt fast jeder. Auch auf der Haupttribüne.
Ist dieses Leben für den Fußball und die Rivalität unter den Vereinen auf die Spiele beschränkt oder Teil des Alltags?
Marc Quambusch: Man darf nicht den Fehler machen, das mit europäischen Maßstäben zu vergleichen. Wir waren in Gegenden, in denen die Menschen sehr stark mit Armut und Gewalt aufwachsen. Da bekommt Fußball einen anderen Stellenwert.
Jan-Henrik Gruszecki: Das kann ich mit einem Beispiel deutlich machen. 2007 wollte ich zu einem Spiel von Rosario und brauchte ein Taxi. Der Fahrer hat mir aber nur sein Brust-Tattoo von der gegnerischen Mannschaft gezeigt und mir klargemacht, dass er mich nicht zum Stadion fahren wird. In Argentinien wird man 24 Stunden mit Fußball konfrontiert.