Trainer Torsten Lieberknecht hat Eintracht Braunschweig zum Aufstiegsaspiranten geformt. Vor dem aktuellen Spieltag führt der BTSV die Zweitliga-Tabelle an. Für 11FREUNDE#135 sprachen wir mit Lieberknecht über ehrgeizige No-Names und die Betonfrisur seiner Nachbarin.
Torsten Lieberknecht, Sie sind in Hassloch aufgewachsen.
Dem deutschen Durchschnittsort, das stimmt.
Wo die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) vor der Markteinführung zahllose Konsumgüter testet. Wie prägt das Leben in so einer Stadt einen Menschen?
Davon habe ich lange nichts mitbekommen. Meine Mutter sagte nur, wenn wir zum Einkaufen gingen: „Vergiss die GfK-Haushaltskarte nicht!“ Ernsthaft Notiz davon genommen, dass Hassloch anders ist, habe ich erst, als unsere Friseurmeisterin von gegenüber, Frau Handrich, sich furchtbar über einen „Spiegel“-Artikel aufgeregt hat.
Was erregte denn das Gemüt der Dame?
In dem Beitrag stand, dass Hassloch so durchschnittlich sei, dass selbst die Frisuren aller Frauen identisch seien. Da ist sie auf die Barrikaden gegangen. Allerdings muss ich sagen: Es gab sie wirklich, die Frisur Marke „Beton“.
Ist Eintracht Braunschweig für den Trainer Torsten Lieberknecht die Teststation für höhere Aufgaben?
Nach zehn Jahren kann man nicht mehr von einer Zwischenstation sprechen. Und für einen Test ist die Verantwortung ehrlich gesagt zu hoch. Von den Stadtoberen bis zu dem kleinen Mann auf der Straße – alle hier sind Eintracht.
Als Sie die Lizenzmannschaft 2008 in der Regionalliga übernahmen, stand Eintracht sportlich und wirtschaftlich am Abgrund. Hatten Sie irgendeinen Plan, wie Sie den Klub zurück in die Erfolgsspur bringen?
Ich könnte jetzt davon sprechen, dass wir alles von langer Hand geplant haben, aber zu diesem Zeitpunkt Mehrjahrespläne aufzustellen, war unmöglich, weil es einzig und allein darum ging, den Verein für die dritte Liga zu qualifizieren und dem damit verbundenen, oftmals schleichenden Tod von der Schippe zu springen. Danach konnten wir anfangen, planvoll zu arbeiten.
Und jetzt liegen Sie an der Spitze der zweiten Liga – dabei stammt der überwiegende Teil des Kaders noch aus der dritten Liga.
Genauer gesagt, 70 Prozent. Wir sind selbst überrascht, auch wenn wir wussten, dass unsere Mannschaft in der Lage ist, sich sportlich weiterzuentwickeln.
Sie haben seit der Saison 2008/09 angeblich insgesamt nur gerade mal 290 000 Euro für die Verpflichtungen neuer Spieler ausgegeben.
Ich kenne diesen Betrag zwar nicht, aber er kommt mir immer noch relativ hoch vor.
Vor dieser Saison war die Transferbilanz sogar ausgeglichen.
Als ich die erste Mannschaft 2008 übernahm, hatte Eintracht Schulden. Wir konnten und wollten also kein Geld für neue Spieler ausgeben. Unser Ziel ist es, entwicklungsfähige Jungs zu finden, das als Leitbild der Kaderplanung zu haben und uns so in der zweiten Liga zu etablieren. Das war aus meiner Sicht mit den getroffenen Maßnahmen machbar. Natürlich gehört dazu auch eine Portion Glück. Wenn wir mit vier Neuzugängen aus der Oberliga Südwest in die erste Zweitligasaison gehen, gibt es keine Garantie, dass es klappt. Aber ich weiß, dass unsere Philosophie vom ganzen Verein mitgetragen wird.
Und diese Sparpolitik ziehen Sie jetzt so lange durch, bis der Einbruch erfolgt?
Langfristig werden wir uns – vorausgesetzt, der Erfolg hält an – natürlich auch öffnen müssen und öfter mal einen für unsere Verhältnisse exotischen Transfer machen.
Wann passt einer zu Eintracht?
Wenn ein Spieler beim ersten Gespräch fragt, wo er in Braunschweig eine Straße wie die „Kö“ findet, könnte es sein, dass er sich in dieser Stadt nicht wohl fühlen wird. Braunschweig hat sehr viele schöne Ecken, man muss nur in der Lage sein, sie selbständig zu suchen.
Sie sagen, Sie erkennen schon an der Art, wie ein Telefongespräch abläuft, ob ein Spieler Ihren Erwartungen entspricht.
Es gibt so eine Form von Profigehabe, das meine ich auch am Telefon erkennen zu können. Eine Art, sich bitten zu lassen. Aber wenn es mit der Entscheidungsfindung zu lange dauert, wenn einer partout nicht zurückruft, obwohl es abgesprochen war, oder Manager Marc Arnold oder ich das Gefühl haben, wir werden hingehalten, brechen wir die Gespräche auch mal von uns aus ab.
Ist Arnold der Bad Cop und Sie der Good Cop?
Ich bin nur für das Sportliche verantwortlich, um den Rest kümmert er sich. Mit einer stoischen Ruhe, die ihn auszeichnet und sehr im Sinne des Vereins ist.
Zu bedächtig?
Als Trainer wartet man eben ungern, aber Papierkram dauert halt seine Zeit. Es kam jedenfalls schon vor, dass sich ein Spieler nach vier Monaten Verhandlung immer noch nicht für uns entscheiden konnte und ich dann zu Marc gesagt habe: „Wenn er es jetzt noch nicht weiß, dann lassen wir es halt.“
Das Ziel, sich in der zweiten Liga zu etablieren, sollte mit der Herbstmeisterschaft abgehakt sein. Sie könnten sich neue Ziele setzen.
Eben nicht. Da bin ich ein gebranntes Kind.
Warum?
Ich habe lange für Mainz 05 gespielt und erlebt, dass ein Verein wegen eines Punktes am Ende nicht aufsteigt. Wir haben damals gedacht, schlimmer kann es nicht kommen. Doch nur ein Jahr später verpassen die 05er wieder den Aufstieg – wegen eines einzigen Tores.
Der Unterschied zum FSV Mainz 05 ist jedoch, dass Eintracht auf eine große Tradition zurückblickt, die das Anspruchsdenken im Umfeld befeuert.
Moment, der FSV Mainz 05 ist im Südwesten auch ein Klub mit viel Tradition.
Die aber nicht mit der Braunschweiger vergleichbar ist.
Es ist eine Kunst, mit einer großen Vergangenheit umzugehen. Klar ist, von der Geschichte können wir uns nichts mehr kaufen – abgesehen von einem alten Jägermeister-Shirt vielleicht. Aber wir haben in den vergangenen Jahren gelernt, die Tradition als Chance und nicht mehr als Last zu verstehen. Wir haben die Historie lange wie Ballast mit uns herumgeschleppt und jetzt einen guten Weg gefunden, mit ihr zu leben und doch in die Zukunft zu schauen.
Und was sagen die Veteranen auf der Haupttribüne, die sich nach glorreichen Bundesligatagen zurücksehnen?
Die gibt es bei Fußballvereinen auf der ganzen Welt und bei uns sind deren Stimmen deutlich leiser geworden. Es sollten doch alle danach lechzen, dass Eintracht wieder erfolgreich ist. Mittlerweile haben die meisten verstanden, dass dafür Geduld nötig ist. Meckerer gibt es halt immer.
Der Titel ihrer Abschlussarbeit beim Trainerlehrgang lautete „Der schwierige Spagat zwischen Tradition und Zukunft bei Eintracht Braunschweig“. Was macht denn die Tradition aus?
Vor allem drei Bausteine: Die Meisterschaft von 1967, Günter Mast und Jägermeister und das Team um Paul Breitner und Danilo Popivoda, verbunden mit extrem emotionalen Fans. Es ist aber auch die lange Geschichte. Und wissen Sie, was uns diese Geschichte lehrt?
Sagen Sie es uns!
Dass Eintracht vor allem dann erfolgreich gespielt hat, wenn Ruhe im Verein war. In der Hinsicht können wir uns an der Tradition ein Beispiel nehmen.
Lassen sich neue Spieler noch damit locken, wenn Sie erfahren, dass Weltmeister Paul Breitner hier mal gespielt hat?
Wenn ich den Namen erwähne, höre ich eher: „Breitner? Dann müssen die Erfolge aber schon sehr lange her sein!“ Aber mit Fußballemotionen sollten sich die Jungs schon locken lassen. Zumindest achten wir genau darauf, ob neue Spieler für die Tradition und die besondere Atmosphäre des Klubs Feuer fangen und sich damit identifizieren.
Sie führen mit Ihrer konsequenten Haltung das Sprichwort von „Geld schießt Tore“ ad absurdum.
Ich hatte in meiner aktiven Zeit das Glück, oft in teamorientierten Mannschaften zu spielen. Waldhof, Kaiserslautern, Braunschweig – das waren alles sehr gut zusammengestellte Kader, in denen die Charaktere zueinanderpassten. Und wir waren im Rahmen unserer Möglichkeiten erfolgreich. Vielleicht lege ich deswegen als Trainer nicht so viel Wert auf die Vita eines Spielers. Wir sind mit dem schlechtesten Kader der dritten Liga aufgestiegen und haben nun wieder dem Vernehmen nach den schlechtesten Kader in der zweiten. (lacht) Aber wir haben einen Teamgeist, der offenbar beflügelt.
Ihre Mannschaft soll in der Lage sein, zwischen vier verschiedenen Systemen auf Zuruf zu variieren.
Das stimmt. Diese Variabilität erwarte ich von einer Profimannschaft, und es ist meine Aufgabe, den Spielern diese flexible Spielweise zu vermitteln.
Gibt es Codes, über die Sie einen Systemwechsel anzeigen?
Die gibt es. Grundsätzlich geben wir aber vor jedem Spiel eine Strategie vor und greifen während der Partie – wenn es sein muss – immer wieder ein. Was dieses Umschalten angeht, stehen wir aktuell vor einer neuen Entwicklungsstufe. Denn die Spieler sind derzeit noch zu sehr auf das Trainerteam angewiesen.
Wie meinen Sie das?
Die Mannschaft ist extrem im Empfängermodus. Übertrieben gesagt, wenn ich die Jungs auffordern würde: „Bei einer Ecke bleiben wir alle vorne und decken hinten nicht ab“, dann machen die das! Wir müssen dafür sorgen, dass zunehmend Dinge aus der Mannschaft heraus entschieden werden.
Woher kommt dieser Gehorsam?
Es zeugt von großem Charakter, dem Trainer zuzuhören und zu versuchen, dessen Ideen umzusetzen. Auch deswegen wählen wir unsere Spieler nicht nur unter sportlichen, sondern speziell unter charakterlichen Gesichtspunkten aus.
Das heißt, die Jungs folgen Ihnen blind?
Und dieses Vertrauen würde ich nie aufs Spiel setzen. Innerhalb der Mannschaft werden aber darüber auch mal Späße gemacht.
Zum Beispiel?
Als wir ins Trainingslager nach Österreich fuhren, haben ein paar Routiniers den Jüngeren gesagt, was sie einpacken müssen: Leibchen, Bälle, und vor allem den Kühlschrank sollten sie nicht vergessen. Und siehe da: Als wir uns am nächsten Morgen trafen, hatten zwei 19-Jährige tatsächlich den Kühlschrank rausgeschleppt.
Sie pflegen trotz einer Dekade in Braunschweig noch fleißig Ihren pfälzischen Dialekt und haben allein sechs Spieler aus der Pfalz im Team. Sind Pfälzer die besseren Menschen?
Der Pfälzer an sich ist wirklich teamorientiert, da mögen Sie recht haben. Aber er neigt auch leicht zum Einschnappen. Dass wir so viele Spieler aus der Pfalz haben, war eher Zufall. Die Korte-Zwillinge hat mein Bruder entdeckt. Der wohnt noch in der Pfalz und hat ein gutes Auge für Fußballer. Matze Henn war schon hier, und die anderen passten sportlich gut rein.
Wie bitter ist es für Sie als Ex-Lauterer, der auf dem „brennenden Betze“ groß geworden ist, in einem Multifunktionsstadion mit Laufbahn spielen zu müssen?
Kein Problem. Ich mag diesen Old-School-Stil ganz gerne, denn das Stadion hat Charme, und es lebt durch die vielen unterschiedlichen Schichten, die sich hier treffen. Die Fans machen die Musik. Die Laufbahn kann ich mir allein deshalb schönreden, weil ich weiß, wie viele Klubs sich reine Fußballstadien gebaut haben und nun sehr unter den wirtschaftlichen Folgen leiden müssen.
Aber neidisch sind Sie schon, wenn Sie mit der Eintracht nach Kaiserslautern kommen?
Natürlich sind diese modernen Stadien sehr schön, aber vor und nach dem Spiel kann dort eine Mannschaft kaum noch Nähe zu den Zuschauern aufbauen. Am Betzenberg fährt man mit dem Bus ins Stadion, steigt aus, fährt im Fahrstuhl hoch auf den Platz, spielt und macht sich wieder auf den Heimweg. Das hat mich erschreckt, denn die Lauterer brauchen traditionell die Nähe zu ihren Spielern. Hier in Braunschweig muss man durch die Zuschauer durch, wenn man auf den Platz will.
So was kann natürlich auch oft unschön sein.
Ich stelle mich, wenn es sein muss, dem Gespräch. Allerdings sage ich dem betreffenden Fan vorab, dass ich eventuell eine andere Meinung habe, wenn er mit mir über Fußball reden will. Da kann es auch vorkommen, dass ich einem über den Mund fahre.
Wenn ein Cheftrainer jedem Fan erklärt, was in einem Spiel falschgelaufen ist, reibt er sich aber schnell auf.
Ich bin so ein Typ, und ich kann nicht abschätzen, ob es mir irgendwann zu viel wird. Ich will diesen Verein und die Stimmungen verstehen, das ist für mich ein Teil der Identifikation. Das versuche ich auch meinen Spielern zu vermitteln. Nur so können sie sich von Zeit zu Zeit auch das Recht herausnehmen, dem Fan mal die Meinung zu geigen.
Wie läuft so was bei Ihnen konkret ab?
Wenn einer pöbelnd auf mich zugestürmt kommt, sage ich: „Jetzt beruhige dich erstmal.“ Und wenn ich den Eindruck habe, er hört mir zu, kommt es auch vor, dass er am Ende weggeht und sagt: „So habe ich das noch gar nicht gesehen.“
Torsten Lieberknecht, welche Trainer haben Sie geprägt?
Ich war lange auch ein extremer Empfänger, immer auf Anweisungen gepolt. Deswegen war Wolfgang Frank ein prägender Trainer, denn er erwartete gedanklich sehr viel von seinen Spielern. Er hat mich übrigens als Erster mit der Idee konfrontiert, über den Trainerjob nachzudenken. Vielleicht hat er geahnt, dass aus mir kein großer Spieler wird.
Bei welcher Gelegenheit?
Während einer längeren Verletzungspause nahm er mich zur Seite und sagte: „Eigentlich wäre es besser, du hörst auf und wirst Trainer.“ Er wollte mich sogar in die Schweiz zum FC Glarus vermitteln.
Was haben Sie geantwortet?
Als gefrusteter Spieler: „Ich will kein Trainer sein. Ich will spielen!“ Im Nachhinein kann man ihm seherische Fähigkeiten zusprechen. Er hat auch früh die Trainerkarrieren von anderen 05ern, darunter auch Jürgen Klopp, auf den Weg gebracht.
Klopp war zu Mainzer Zeiten Ihr Zimmernachbar…
Aber nur im ersten Trainingslager. Wir beide waren Neuzugänge und wurden in ein Zimmer gesteckt. Kloppo war damals starker Raucher und ließ es sich nicht nehmen, im Zimmer zu qualmen. Ich habe ihn gebeten, sich netterweise im Bad direkt unter den Abzug zu stellen. Ich war ein sehr akribischer Spieler, aber das war ihm suspekt. Nach einer Woche haben wir entschieden, uns neue Zimmerpartner zu suchen.
Wenn man Sie beide am Spielfeldrand beobachtet, erkennt man dennoch einige Parallelen. Klopp sagt, wenn er sich im Fernsehen sieht, würde er am liebsten umschalten.
Das geht mir leider auch so. Wenn ich manchen Ausdruck sehe, stelle ich mir schon die Frage: „Um Himmel willen, wie siehst du aus?“
Gibt es eine Seelenverwandtschaft zwischen Ihnen und Jürgen Klopp?
In Mainz haben wir zusammen die rechte Seite beackert und waren auch emotional auf einem Level. Und wir waren beide eher der Typ „Abräumer“, wie übrigens fast achtzig Prozent der damaligen Mainzer Mannschaft.
Wie sehr steckt der „Abräumer“ noch im Trainer Lieberknecht?
Meine Karriere war geprägt von zwölf Operationen. Da war vom Kreuzbandriss bis zur Gesichtsfraktur alles dabei, und trotzdem habe ich x‑mal versucht zurückzukommen. Wenn mir heute ein Spieler mit einem eingewachsenen Zehennagel das Training absagen will, ist es fast ein Reflex, ihn zu überzeugen, dass er es trotzdem versuchen sollte.
Waren Klopp und Sie in der damaligen Mainzer Mannschaft diejenigen, die Fußball am ehesten analytisch betrachteten?
So weit war ich noch nicht, das war Jürgen alleine. Die Sitzungen um halb acht morgens waren gefürchtet. Wir saßen auf alten gusseisernen Gartenmöbeln in einem winzigen Raum und frühstückten, während Wolfgang Frank seine Videokassette in den Rekorder schob und anfing vor- und zurückzuspulen. Und dann fingen Jürgen und der Trainer an zu diskutieren. Da entsponnen sich die verrücktesten Dialoge, die Sitzungen dauerten ewig. Der Rest saß nur still da, bis irgendwann einer nach Stunden sagte: „Ich glaube, es reicht jetzt.“ Einmal ist der Zeugwart mit dem Kopf auf die Tischplatte aufgeschlagen – er war eingeschlafen.
Vor Jahren sagten Sie, Ihnen imponiere, was Holger Stanislawski mit St. Pauli aufgebaut hat.
Das war zu einer Zeit, als Holger aus der dritten in die erste Liga durchmarschiert ist und parallel seinen Trainerschein in Köln machte. Ich fand es vorbildlich, wie er sich bei der Doppelbelastung mit seinem Trainerstab abstimmte. Auch weil ich im Jahr drauf in der gleichen Situation war. Mein Ehrgeiz bestand darin, diese Doppelbelastung erfolgreich zu meistern.
Mittlerweile ist Stanislawski Trainer in Köln. Als Ihr Team am 18. Spieltag in der Nachspielzeit den 2:2‑Ausgleich erzielte, haben Sie mit der Mütze vor dessen Trainerbank herumgeturnt. Gibt es da einen Kleinkrieg?
Nein, wir verstehen uns eigentlich bestens. Aber als Köln in der 88. Minute die 2:1‑Führung erzielte, ist er ausgerastet, riss sich die Mütze vom Kopf, schwenkte sie in der Luft und rannte – offenbar unbewusst – aus seiner Coachingzone vor unsere Bank. Da brodelte es in mir. Als wir dann zwei Minuten später ausglichen, überkam mich spontan das Gefühl, mit der Mütze zurückwedeln zu müssen. Wir konnten später drüber lachen, und hier in Braunschweig hatte die Aktion einen positiven Effekt.
Nämlich?
Unser Merchandising-Leiter sagte mir, dass dadurch der Mützenverkauf im Fanshop extrem angestiegen sei. Beim letzten Heimspiel vor der Winterpause winkten mir die Fans im ganzen Stadion mit ihren Mützen zu. Wahnsinn!
Klopp, Tuchel, Streich, Stanislawski, Lieberknecht – täuscht der Eindruck oder gibt es immer mehr erfolgreiche Trainer, die als Aktive nicht die totalen Überflieger waren?
Ich glaube, als Trainer musst du fachlich überzeugen und den Spielern Dinge glaubhaft vermitteln. Es gibt wohl einige Weltklassespieler, die das einfach nicht gebacken bekommen, aber dann gibt es eben auch Leute wie Jupp Heynckes oder Pep Guardiola. Dass derzeit so viele eher unbekannte Ex-Profis als Trainer überzeugen, hat nichts mit dem Niveau zu tun, auf dem sie früher mal gespielt haben, sondern schlicht mit ihrem Verständnis von Fußball.
Konzepttrainer hat es also schon immer gegeben?
Kein Trainer der Welt arbeitet ohne Konzept. Ohne Strategie kannst du im Fußball keine Woche überleben. Deswegen ist allein das Wort schon despektierlich. Gerade Jupp Heynckes ist ein überragendes Beispiel für einen Trainer mit Konzept. Denn er hat es geschafft, sich über Jahrzehnte stets an neue Entwicklungen im Fußball und neue Spielergenerationen anzupassen.
Im Internetportal transfermarkt.de haben Sie Ihre Traumelf aufgestellt. Mehr als die Hälfte der Mannschaft bestand dabei aus veritablen Zweitligaprofis: u.a. Michael Müller, Jürgen Klopp, Sven Demandt, Lars Schmidt, Christian Hock, Fabrizio Hayer.
Bei solchen Gelegenheiten will ich nicht nur die üblichen Verdächtigen unterbringen. Das waren Leute, mit denen ich zusammengespielt habe. Und zu einer Traumelf gehören ja nicht nur Traumfußballer, sondern auch Typen, mit denen man schöne Stunden verlebt hat, oder? Die haben schließlich etwas dafür geleistet, dass sie in meiner Traumelf auftauchen.
Mit welchem Spieler aus Ihrer Elf konnten Sie am besten feiern?
Mit Michael Müller, der mich in den Mainzer Karneval eingeführt hat, und mit Fabi Hayer, bei dem man auf dem Platz nie wusste, wo genau er eigentlich hingehört. Wenn er auf dem Feld war, tauchte er praktisch überall auf.
Die beiden populärsten Namen in Ihrer Traumelf sind Andreas Brehme und Ciriaco Sforza, mit denen Sie Anfang der Neunziger beim FCK spielten. Haben Sie in Ihrem aktuellen Kader Spieler dieser Kategorie?
Nein, die beiden waren überragende Spieler.
Wer war Ihr Vorbild als Jugendlicher?
Ich war eher der unkonventionelle Fan-Typ. Als Anhänger des FCK liebte ich es natürlich, wenn Hans Peter Briegel mit heraushängender Zunge von einer Seite zur anderen des Platzes hetzte. Und während meine Freunde eher den FC Liverpool bewunderten, gefiel mir eher der AS St. Etienne.
Wegen Michel Platini?
Hat der da gespielt? Das hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm. Nein, weil die so hübsche grüne Ringelstutzen hatten.
Stellen Sie sich vor, Manager Marc Arnold kommt jetzt rein und sagt: „Torsten, ich habe alles noch mal durchgerechnet, wir haben 100 Millionen Euro Überschuss. Du hast einen Transfer frei.“
100 Millionen? Das ist so absurd, das wird in diesem Leben nicht mehr passieren. Aber noch mal: Wer in diese Mannschaft passt, muss nicht zwangsläufig sportlich der Beste sein.
Aber es muss doch Leute geben, die charakterlich passen und Ihnen sportlich imponieren.
Soll ich jetzt Messi sagen? Das wäre doch langweilig.
Fällt Ihnen sonst noch jemand ein?
Andreas Lambertz von Fortuna Düsseldorf, den finde ich super. Der hat eine tolle Einstellung, der marschiert. Ohne eine konkrete Vorstellung zu haben, wo ich ihn einbauen würde. Ich kenne ihn nicht näher, aber ich bin sicher, der passt charakterlich perfekt.
Lambertz geht auf die Dreißig zu. Vielleicht wird der für Sie bald erschwinglich?
So einen dürfen die in Düsseldorf auf keinen Fall abgeben, der verkörpert den Verein, der ist allein menschlich kaum zu ersetzen.
Ist Eintracht Braunschweig noch eher ein Steinbruch oder schon ein Haus kurz vor der Fertigstellung?
Ein kleines, nettes Reihenendhaus, an das noch einige Anbauten gemacht werden müssen, damit es ein schönes Gesamtbild ergibt.
Wann ist das Reihenhaus fertig?
Kommt auf die Größe der Siedlung an.
Es könnte eine Lebensaufgabe werden?
Boah, in solchen Kategorien denke ich nicht.
Aber Sie leben seit zehn Jahren hier, Ihre Frau fühlt sich wohl.
Dennoch sind wir in der Hinsicht völlig offen. Und sollte es irgendwann so sein, dass es mich zum Beispiel nach Kasachstan zieht, sind wir so frei und machen das.