Vergesst Island, vergesst Albanien, die größten Underdogs kommen aus Ungarn und werden von Deutschen trainiert: Bernd Storck und Andreas Möller
Bernd Storck und Andreas Möller, ist die EM-Qualifikation Ungarns eine Überraschung?
Bernd Storck: Sie ist eine große Sensation. Ungarn war zuletzt vor 30 Jahren bei einem großen internationalen Turnier dabei (WM 1986 in Mexiko, d. Red.). An einer EM haben wir seit 44 Jahren nicht mehr teilgenommen. Wir stehen momentan auf Platz 18 der FIFA-Weltrangliste, für ein Land mit nicht mal zehn Millionen Einwohnern finde ich das sehr beachtlich.
Andreas Möller: Ich habe mir mal die Gesamt-Marktwerte der anderen 24 EM-Teilnehmer angeschaut: Wir sind Letzter.
Berti Vogts sagte mal: „Es gibt keine Kleinen mehr.“
Storck: In Ungarn glauben einige Fans oder Experten auch, dass wir eine recht einfache Gruppe erwischt haben. Sie erzählen uns, dass wir gegen Island
oder Österreich gewinnen müssen. Natürlich wünsche ich mir das auch, aber man muss realistisch bleiben. Ich verweise in solchen Gesprächen gerne auf die jeweiligen Kader. Was glauben
Sie, wie viele Spieler Österreichs in ausländischen Ligen spielen?
80 Prozent?
Storck: Zuletzt waren bei der österreichischen Elf 22 von 23 Spielern im Ausland aktiv. Bei Island ist es ähnlich. Deren Spieler sind teilweise regelmäßig international vertreten. Unsere besten Teams, Ferencvaros Budapest oder Videoton, sind letzte Saison schon in der Qualifikation zur Europa League gescheitert.
Darf man nicht ein bisschen träumen? Sie könnten den Leuten ja auch von Leicester Citys Meisterschaft oder dem EM-Titel Griechenlands erzählen.
Storck: Ich möchte nur realistisch bleiben. Leicesters Meisterschaft ist natürlich großartig. Unsere Spieler brauchen aber eigene Geschichten. Ein Beispiel: In Ungarn hieß es oft, die Nationalspieler seien zu unbeweglich und vor allem zu langsam. Immer und immer wieder wurde ihnen das vorgehalten. Und auch wenn die Spieler nach außen hin cool tun: So etwas setzt sich fest. Wir haben dann ganz einfach Sprinttests gemacht und die Werte mit anderen Teams verglichen. Und siehe da: Unsere Spieler sind nicht langsamer als die Deutschen, sie sind also konkurrenzfähig.
Mit Sprints gewinnt man aber keine Spiele.
Storck: Darum geht es nicht. Es geht um eine positive und gewinnende Grundeinstellung. Um Selbstvertrauen.
Möller: Das kann ich bestätigen. Bei der EM in England waren wir sicherlich nicht die technisch beste Mannschaft des Turniers, aber wir waren das Team, das am meisten gebrannt hat. Die EM 1996 war ein Turnier des Willens.
Bildlich festgehalten nach Ihrem verwandelten Elfmeter im Halbfinale.
Möller: In diesem Spiel passte alles. Berti Vogts hatte mich zum Kapitän ernannt, weil Jürgen Klinsmann ausfiel. Ich war durchweg positiv eingestellt, dachte nur ans Gewinnen, schrieb vor dem Spiel gegen England sogar das Wort „Sieg“ in die Innenseite meiner Binde. Dann das Elfmeterschießen. Ich wollte das Ding klar machen. Unbedingt.
Nach dem verwandelten Elfmeter stolzierten Sie majestätisch über den Rasen. War die Pose geplant?
Möller: Das war spontan. Es war ein Ausdruck von Stolz und Stärke. Wir hatten die Engländer besiegt, bei ihrer EM, im Wembleystadion vor 80 000 Zuschauern. Ich habe solche Spiele immer geliebt: besondere Spiele, K.o.-Spiele, Endspiele. Das ist genau mein Ding!
Haben Sie Andreas Möller deswegen vor den Playoff-Spielen gegen Norwegen nach Ungarn geholt, Herr Storck?
Storck: Während der Qualifikation habe ich mit zwei ungarischen Co-Trainern gearbeitet, die gut waren, aber nur in Teilzeit beschäftigt. Vor den Playoff-Spielen wollte ich etwas verändern, ich brauchte neue Perspektiven, einen erfahrenen Mann, der solche Spiele kennt und der durch seine Aura und Ansprache die Mannschaft motivieren kann.