Wenn Benedikt Pliquett früher nicht für den FC St. Pauli das Tor hütete, stand er mit seinen Freunden im Block. Inzwischen spielt Pliquett für Sturm Graz – und genießt den Umgang mit der Ultra-Kultur. Ein Interview über alte Kumpels und kriminalisierte Kurven.
Benedikt Pliquett, dass Sie im Trainingslager von St. Pauli in Belek mit den Kollegen auf dem Zimmer plaudern, ist ja nicht ungewöhnlich. Aber Sie waren zum ersten Mal nur zu Gast – als Stammtorwart vom Trainingsnachbarn Sturm Graz. Was war das für ein Gefühl?
Ich war zweimal im Hotel zu Besuch und habe zusammen mit Moritz Volz, der mit 1860 zufällig auch da war, das Spiel gegen Bayern II angeschaut. Aber ich war ganz unemotional. Ich habe mich einfach gefreut, Boller (Fabian Boll, d. Red.) und die ganzen Jungs mal wieder zu sehen.
Sie waren gut neun Jahre ein Kiezkicker – eine Identifikationsfigur für die Fans. Der Kader ist in den vergangenen Jahren praktisch rundum erneuert worden. Ist das noch Ihr St. Pauli?
Den Club machen niemals Manager, Trainer oder Spieler aus, sondern die Fans. Aber die Mannschaft ist schon eine ganz andere gewesen. So lag mir nicht mehr viel daran, dazu zu gehören. Der Wechsel ist mir leichter gefallen als es die Jahre zuvor der Fall war.
Bevor und nachdem Sie in der Halbzeit der Partie gegen den Karlsruher SC nachträglich verabschiedet worden waren, verfolgten Sie das Spiel wie selbstverständlich aus der Kurve. Konnten Sie so schnell von Ex-Spieler auf Fan umschalten?
Ich war ja schon immer St.-Pauli-Fan und bleibe das auch, da muss ich nicht umschalten. Wenn ich nicht im Kader stand, war ich in der Kurve. Wenn ich spielte, standen hinter mir vielleicht 400 Leute in der Kurve, mit denen ich schon viel erlebt hatte. Viele kenne ich mit Namen. Aber mich haben viele angesprochen, ob die Verabschiedung nicht hätte stilvoller ausfallen können. Mir war das nicht so wichtig, ich bleibe dem Klub ja erhalten. Ich hatte allerdings zum Schluss das Gefühl, dass der eine oder andere froh war, dass ich gehe. Meine Fannähe hat es mir nicht leicht gemacht. Die war groteskerweise nicht gern gesehen.
In einer Nacht- und Nebelaktion ging es im Sommer buchstäblich in letzter Sekunde nach Graz. Erster Kontakt am Freitag, Wechsel am Montag. In der Zwischenzeit sollen Sie sich ausgiebig über die Grazer Fanszene informiert haben…
Ja, das stimmt. Ich habe mir im Internet Videos und Bilder angeguckt. St. Pauli hat ja eine Fanfreundschaft zu Werder und ein Kumpel hat mir erzählt, dass es bei Werder Verbindungen zu einer Grazer Ultra-Gruppe gibt. Wie die Sturm-Fans ticken war mir sehr wichtig.
Aber wie reizvoll war der Transfer sportlich? Es sah doch eher nach einem Wechsel von der einen Bank auf die andere aus. Zwischen den Sturm-Pfosten stand in Christian Gratzei schließlich ein Klub-Urgestein, der Kapitän und Meister-Keeper von 2011.
Bei St. Pauli durfte ich zuletzt aber nicht mal mehr auf die Bank. Ich wollte endlich wieder richtig dazugehören. Außerdem haben mir mein Berater und Michael Gregoritsch (Österreicher, der seit 2013 beim FC St. Pauli spielt, d. Red.) gesagt, dass ich realistische Chancen habe, in Graz zu spielen.
In Österreich haben Sie sich aber nicht nur auf, sondern auch abseits des Platzes schnell einen Namen gemacht. Wie zu hören ist, treffen Sie sich privat mit Sturm-Fans zum Essen. Wie ist es denn dazu gekommen?
Das war eigentlich Zufall. Ich war mit unserem Pressesprecher, der aus der Fanszene kommt, essen. Da waren einige Fans dabei. Auch bei seiner Geburtstagsfeier habe ich Fans getroffen. Ich bin gern mit Leuten zusammen, mit denen ich auf einer Wellenlänge bin und mit denen ich über Themen reden kann, die mich interessieren. Auch wenn ich am liebsten Leute treffe, die keine Ahnung vom Fußball haben und mich als Mensch mögen. Aber in Graz kennt mich gefühlt schon jeder.
Haben Sie sich erschrocken, als das erste Mal hinter Ihrem Tor in der Kurve Pyrotechnik gezündet wurde?
Nein, gar nicht. Ich wusste, dass das in Österreich unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist. Ich war nur irritiert, weil die Österreicher andere Fackeln benutzen. Da fliegen vorne die Stöpsel raus – und ich musste meinen Sechzehner erstmal aufräumen. (lacht)
Was sind das denn für „bestimmte Voraussetzungen“?
Es gibt ganz klare Regeln: Die ersten drei Reihen sind abgesperrt. Auch der Zeitpunkt soll eigentlich vorher bekannt gegeben werden. Aber das wird nicht so eng gesehen. Klar, alles, was die Hand verlässt und durch die Luft fliegt ist unberechenbar, gefährlich und verboten. Aber als im Spiel gegen Rapid der Nebel zu dicht war, hat der Schiedsrichter einfach kurz unterbrochen und dann ging es weiter. In Österreich freuen sich einfach alle über die Emotionen und wer Pyros zündet ist nicht gleich ein Chaot.
Wieso ist das dann in Deutschland so ein heikles Thema?
Liga, Verband und Medien haben Pyrotechnik derart kriminalisiert, das ist völlig irre. Den Einsatz von Pyros mit Gewalt und Verbrechen gleichzusetzen, ist einfach nur undifferenziert. Die Medien machen mit und das Fernsehen zeigt dann trotzdem drei Tage lang die tollen Bilder. Da rege ich mich riesig drüber auf. Wenn Dresdner Fans in Bielefeld eine Mega-Choreo machen, dann hat das nichts mit den Ausschreitungen vor dem Spiel zu tun. Aber das Verbot der Pyros führt ja nur dazu, dass sich einige darüber profilieren und das Ganze immer weiter steigern wollen.
Was halten Sie davon, wenn wie jüngst von Hannover 96, Fans für die DFB-Strafen zur Kasse gebeten werden?
Das ist ein Witz. Ein Jugendlicher hat an so einer Strafe richtig zu knabbern, den Club interessiert sie eigentlich nicht weiter. Die Vereine bedienen sich auf der einen Seite gern bei Gestaltung von Flyern und Trikots bei Farben, Fahnen und Choreos und versuchen zugleich die Ultra-Kultur mit Repressalien zu ersticken. Ich bin seit über zehn Jahren in der Szene aktiv und sage: Das wird nie gelingen. Die Vereine sollten lieber mit den Fans zusammenarbeiten und auf die Liga einwirken. In Österreich funktioniert das richtig gut. Und die Länder sind sich ja nun nicht so fremd.