Nach dem Bundesliga-Aufstieg geht bei Union Berlin die Angst vor der Gentrifizierung um. Andrej Holm, Union-Fan und Stadtsoziologe an der Humboldt-Universität in Berlin, befürchtet keine Verdrängung, sieht aber Parallelen zum Wohnen in der Hauptstadt.
Herr Holm, wo haben sie den Aufstieg von Union Berlin verfolgt?
Im Stadion, weshalb meine Stimme noch etwas angeschlagen ist. Im Seminar heute wurde viel gelesen (lacht). Ich bin seit über zehn Jahren eigentlich bei jedem Heimspiel dabei und fahre auch ab und zu auswärts.
Mit dem Aufstieg in der Bundesliga schwingt in der Diskussion um Union neben der Euphorie auch eine Angst vor Veränderungen auf den Rängen und innerhalb des Fanklientels mit. Folgt jetzt die Gentrifizierung des Stadions?
Die Sorge um Veränderung prägt die Diskussion ja schon seit ein paar Jahren. Das hat mit der Entwicklung des Vereins mehr zu tun, als mit dem Wechsel der Spielklasse. Das Stadion an der Alten Försterei ist immer voller, quasi eine Metapher zu Berlin: Es platzt aus allen Nähten. Natürlich stellen sich Fragen, wie viele Neue noch reinpassen und wie es für die wird, die schon immer da sind. Der Verein geht mit den Chancen zur Kommerzialisierung allerdings bisher sehr sorgfältig um. Das Primat des Stadionbesuchs ist vom Präsidenten bis zum Hausmeister das Grundprinzip. Das unterscheidet uns auch von vielen anderen Klubs.
Wenn immer mehr Leute kommen, besteht aber doch die Gefahr, dass manche alteingesessene Fans um ihren Platz fürchten müssen?
Die allermeisten sind ja nicht im Stadion geboren. Jeder war irgendwann zum ersten Mal da und ist mit der Zeit zu einem Teil von Union geworden. Dass da neue Leute kommen, ist also erst einmal keine Gefahr. Die wichtige Frage ist: Wie viele sind im Stadion, die Union über Jahre begleitet haben? Das regelt die Ticketpolitik bislang sehr gut. Die Mitglieder haben ein Privileg beim Kauf, Dauerkarteninhaber können diese verlängern.
Die Alte Försterei wird also nicht der neue Prenzlauer Berg?
Wenn man die Parallele zur städtischen Gentrifizierung zieht, ist Union eher das Rote Wien. Im Prenzlauer Berg kommen 80 Prozent Neue und es bestimmt sich darüber, wer den höchsten Preis zahlt. In Wien werden etablierte Bewohner gesetzlich geschützt, damit sie in ihren Vierteln bleiben können. Bei Union wurde beispielsweise die Familienmitgliedschaft eingeführt. Das spricht dafür, dass der Klub diejenigen im Stadion haben möchte, die das Erlebnis vor Ort seit Jahren mitgeprägt haben.
In der wissenschaftlichen Literatur wird von einem Austausch der statusniedrigeren gegen statushöhere Bewohner gesprochen. Lässt sich die Entwicklung bei Union vergleichen?
In städtischen Kontexten ist die Verdrängung der Kern der Gentrifizierung. Diese Gefahr sehe ich bei Union aktuell nicht. Aber die Fankultur bestand auch in der Vergangenheit nicht nur aus Arbeitern und dem Subproletariat, es gab immer eine Mischung. Natürlich ist es zum Beispiel auch für meine Studierenden interessant, zu Union zu gehen.
Welche Rolle spielt der „Mythos Union“ für den Reiz des Klubs in anderen Milieus?
Sobald du ein kulturelles Alleinstellungsmerkmal hast, wirst du für ein distinktionsbewusstes Publikum attraktiv. Vielleicht nicht für die, die mit Champagnergläsern in der verglasten VIP-Loge sitzen. Oder zumindest nicht für viele. Aber das Moment, bei einem angeblichen Arbeiterverein aus dem Osten auf der Stehtribüne rumzuturnen, macht den Verein attraktiv für Menschen aus anderen sozialen Schichten, die sich das ansehen wollen.