Als der VfL Wolfsburg 1997 in die Bundesliga aufstieg, wurde er als Eintagsfliege belächelt. Es kam anders. Im Interview erinnert sich Roy Präger an Europapokal-Nächte als Fan, seinen „Nebenjob“ an der Ticket-Hotline und den Medienhype nach Stefan Effenberg.
Roy Präger, Sie arbeiten mit der Unterbrechung von drei Jahren seit 1995 beim VfL Wolfsburg. Sind Sie Fan Ihres Arbeitgebers?
Absolut. Als wir 1999 in den Europapokal einzogen und ich danach zum Hamburger SV wechselte, war das schon eine komische Situation für mich. Die sportliche Herausforderung beim HSV war verlockend, doch als Fan bin ich damals dem VfL treu geblieben. Fragen Sie mich doch mal, wer das erste Europapokal-Tor für den VfL geschossen hat.
Sagen Sie es uns.
Charles Akonnor in der ersten Runde beim 2:0 gegen Debrecen! Wenn ich damals Zeit hatte, bin ich ins Stadion gefahren.
Wie bitte?
Nur ein Beispiel: In der dritten Runde spielte Wolfsburg gegen Atletico Madrid. Das wollte ich mir doch nicht entgehen lassen. Also bin ich nach dem Training beim HSV abends los und stand am nächsten Tag wieder auf dem Trainingsplatz.
Der VfL Wolfsburg feierte Anfang des Monats seinen 15. Geburtstag als Bundesligist. Am 2. August 1997 fand das erste Bundesliga-Spiel statt, das der VfL mit 1:0 bei Hansa Rostock gewann. Was hat sich seit dieser Zeit verändert?
Die Dimensionen sind heute anders. Als wir mit dem VfL in der Bundesliga anfingen, waren auf der Geschäftsstelle gerade einmal drei Stellen besetzt. Heute sind es knapp 120. Früher bin ich ab und zu durch die Geschäftsstelle geschlendert. Wenn ich sah, dass bei unseren drei Mitarbeiterinnen die Telefone glühten, habe ich spontan ein paar Tickets verkauft.
Wie dürfen wir uns diese Gespräche vorstellen?
Die Reaktionen darauf waren herrlich. In etwa so: „Roy Präger an der Ticket-Hotline. Hallo?“ – „Herr Präger, sind Sie das? Das gibt’s doch gar nicht!“
Heute ist der VfL ein etablierter Bundesligist, der sich Stars wie Diego leisten kann. Lag vor 15 Jahren ein Plan in der Schublade, der genau diese Entwicklung vorhersagte?
Nein. Wir waren in der Saison 1997/98 die Nobodys der Liga. Wenn wir wieder abgestiegen wären, hätte sich niemand beschwert. Ein Jahr vor unserem Aufstieg wären wir ja fast in die Regionalliga abgestiegen. Dass wir mit dieser Truppe dann den Sprung in die Bundesliga schafften, hat uns zusammengeschweißt. Wir wollten es allen zeigen.
Der Klassenerhalt gelang am vorletzten Spieltag. Sofern der VfL wieder abgestiegen wäre: Hätten wir ihn überhaupt noch einmal in der Bundesliga gesehen?
Ich glaube, dass die Verantwortlichen und Sponsoren mit Volkswagen an der Spitze darauf gedrängt hätten, schnell wieder aufzusteigen. Die Leute haben an der Bundesliga geschnuppert, und es hat jeden begeistert. Wir haben damals den Grundstein für die weiteren Jahre gelegt und den ersten großen Schritt gemacht.
Besteht der Kontakt zu den Helden von damals denn noch?
Das sieht man schon an unserer Traditionsmannschaft, in der viele Spieler dabei sind, die damals den Aufstieg perfekt gemacht haben. Außerdem arbeiten auf unserer Geschäftsstelle mehrere Akteure von damals: Meine Wenigkeit, Matthias Stammmann in der Nachwuchsabteilung, Holger Ballwanz als Fanbeauftragter. Wir haben uns durch unsere Erfolge sozusagen unsere berufliche Zukunft erspielt. (lacht)
Welche weiteren Schritte fallen Ihnen ein, die den VfL in der Bundesliga etablierten?
Der Stadionneubau im Jahr 2002 hat verdeutlicht, dass wir nicht mehr nur ein Mitläufer in der Liga sein, sondern schönen und erfolgreichen Fußball bieten wollten. Ein weiterer Meilenstein war die Verpflichtung von Stefan Effenberg.
Effenberg blieb nur eine Saison beim VfL. Warum wirkte sein Transfer nach?
Mit Effe ist das Interesse am VfL katapultartig nach oben geschnellt. Vorher waren beim Training gerade einmal zwei Journalisten. Als Effe 2002 offiziell vorgestellt wurde, waren plötzlich 50 Journalisten und zig Fernsehteams da. Als er aus dem Auto stieg, fielen sie ihm schon entgegen. Wir haben in der Saison zwar nicht mehr viel gerissen und Effe war bald wieder weg – aber das Interesse am VfL blieb.
War Effenberg auch der beste Spieler, mit dem Sie in Wolfsburg jemals zusammen gespielt haben?
Meine persönlichen Favoriten sind andere: Robson Ponte, Diego Klimowicz und Martin Petrov. Das waren individuell überragende Spieler, die dich aber auch gut eingesetzt haben. Ich hätte ja auch gerne mal mit Diego zusammen gespielt, aber dafür bin ich zu alt. Das wird leider nichts mehr. (lacht)
Der VfL hatte in 15 Jahren Bundesliga einige Gründe zu feiern. Der sensationelle Klassenerhalt 1998, die überraschende UEFA-Cup-Qualifikation 1999, die Meisterschaft 2009. Woran denken Sie besonders gerne zurück?
An die Meisterschaft. Ich stand zwar nicht mehr auf dem Platz, war aber wie alle Mitarbeiter als Fan am Rathausplatz mit dabei, als sich die Mannschaft feiern ließ. Da stand ganz Wolfsburg auf den Beinen und wir haben alle gehofft, dass es von nun an so weitergeht.
War das nach Felix Magaths Abgang zum FC Schalke 04 nicht möglich?
Felix Magaths Nachfolger waren ja auch keine Ahnungslosen. Aber der Sport ist eben manchmal eine Sinuskurve. Es geht auf und ab. Natürlich fragt man sich, ob wir uns nicht vielleicht doch dauerhaft oben festgebissen hätten, wenn Felix Magath dageblieben wäre.
In der vergangenen Saison stand Wolfsburg am letzten Spieltag kurz vor dem Abstieg. War das die schlimmste Krise des VfL?
Jede Saison, in der wir fast abgestiegen wären, war schlimm. 2006 haben wir uns erst am letzten Spieltag gerettet, 2007 am vorletzten. Unser Anspruch hat sich seit dem Stadionneubau geändert. Heute muss man fast schon zwangsläufig von der Qualifikation für die Europa League sprechen. Damit müssen wir leben.
Was war der bewegendste Moment seit dem Aufstieg?
Der Tod meines ehemaligen Mitspielers Krzysztof Nowak im Jahr 2005. Als ich 2002 aus Hamburg nach Wolfsburg zurückgekehrt bin, war er bereits unheilbar an ALS erkrankt. (ALS ist eine Nervenerkrankung, die zu Muskellähmungen führt, Anm. d. Red.) Sein Zustand wurde von Tag zu Tag schlechter. Es war furchtbar.
Roy Präger, kann der VfL Wolfsburg in den kommenden 15 Jahren noch einmal die Meisterschaft gewinnen?
(überlegt) Wer will nicht gerne Meister werden? Als ehemaliger Fußballer weiß ich aber, wie schwer so etwas ist und dass dafür alles passen muss. Wir können aber auf jeden Fall zuversichtlich in die Zukunft blicken. Unsere A‑Jugend ist 2011 deutscher Meister geworden. Das wäre vor 15 Jahren auch noch undenkbar gewesen.