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Wie eine Brech­stange. Das ist die Beschrei­bung, die immer wieder vor­kommt, wenn von der Spielart des Willi Kraus die Rede ist. Ein Voll­blut­stürmer, der keinem Zwei­kampf aus dem Weg ging und mit Haken und Ösen kämpfte. Jemand, über den die Fans in den damals prall gefüllten Kneipen nach den Spielen voller Hoch­ach­tung spra­chen: Der geht dahin, wo es weh tut.“ Kraus lief für Schalke 04, Go Ahead Eagles Deventer in den Nie­der­landen, Tennis Borussia Berlin und Ein­tracht Gel­sen­kir­chen auf. Seine beach­tens­werte Bilanz: Er erzielte in 36 Bun­des­li­ga­spielen 16 Treffer. Dass es nicht mehr Bun­des­li­ga­spiele und ‑tore wurden, lag am zweiten Gesicht des Willi Kraus. Im Straf­raum wie im Pri­vat­leben war er unbe­re­chenbar.

Daher kommt den meisten nicht nur bei der Beschrei­bung von seinen fuß­bal­le­ri­schen Fähig­keiten der Gedanke an eine Brech­stange. Denn Willi Kraus beging Bank­raube, stieg in Lebens­mit­tel­ge­schäfte ein, über­fiel Tabak­läden, han­delte mit Kokain, leis­tete sich Schlä­ge­reien, saß im Gefängnis, brach kurz­zeitig aus, saß wieder. Die trau­rige Bilanz: Mehr als zwei Jahr­zehnte seines Lebens ver­brachte der hoch­ta­len­tierte Mit­tel­stürmer hinter Gitter. Der Beu­te­wert seiner Ein­brüche war selbst ver­gli­chen mit dem dama­ligen Gehalt als Fuß­baller stets minimal.

Willi Kraus: Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Es ist die merk­wür­dige Geschichte eines beliebten und begabten Bun­des­li­ga­stür­mers, der nachts Laden­kassen aus­räumte. Doch das allein sorgte nicht für Kopf­schüt­teln bei allen, die mit ihm zusammen spielten. Viel­mehr war es die Wand­lung von Willi Kraus, von Dr. Jekyll in der Kabine zu Mr. Hyde in den Straßen. Er war sehr freund­lich, ein ange­nehmer Zeit­ge­nosse. Dazu hatte er eine soziale Ader, hat so man­ches Mal in der Kabine für wohl­tä­tige Orga­ni­sa­tionen gesam­melt“, erzählt Willi Koslowski, der mit Kraus bei Ein­tracht Gel­sen­kir­chen zusammen spielte. Ein echter Kumpel-Typ sei er gewesen, lustig, umgäng­lich, ver­läss­lich, so beschreiben es die Weg­ge­fährten im Fuß­ball. Doch wie schnell sein Auf­treten ins Gegen­teil umschlug, erfuhr einer seiner engsten Ver­trauten aus dem Fuß­ball schmerz­lich.

Günter Herr­mann spielte mit Kraus zusammen beim FC Schalke. Willi war ein guter Kumpel“, sagt er. Doch das Mit­ein­ander beim Fuß­ball vergaß Kraus, als er in der Espresso-Bar von Günter Her­mann derart häufig ran­da­lierte, dass sein Mit­spieler ihm wohl oder übel Lokal­verbot erteilten musste. Die Exzesse kannten selten ein Limit, eines Abends stand Kraus mit einer aus der Straße geris­senen Parkuhr in der Bar. Er hat immer Stunk gemacht. Und dann beim nächsten Trai­ning tat er, als wäre nichts pas­siert“, erin­nert sich Herr­mann. Als jener nach vier Jahren beim FC Schalke zum Karls­ruher SC wech­selte, stieg Kraus mit ein paar anderen in Herr­manns Woh­nung ein und ver­wüs­tete sie kom­plett.

In der Herr­manns Espresso-Bar schlug er den Zapfer win­del­weich

Das Leben von Willi Kraus abseits des Platzes bot aus­rei­chend Stoff für eine Bonnie-und-Clyde“-Fortsetzung. Dazu genügt ein Blick auf die letzten Jahre seiner aktiven Lauf­bahn Ende der sech­ziger Jahre. Zu Beginn der Saison 67/68 setzte er bei einer Fahrt nach Hol­land seinen Wagen an einen Baum und zog sich einen dop­pelten Arm­bruch zu. Als Kinder ihr großes Idol im Kran­ken­haus besuchten, redete Kraus ihnen ins Gewissen, dass die Schule noch wich­tiger als der Fuß­ball sei. Die Mütter freuten sich noch über diesen anstän­digen Fuß­baller“, da tauchten schon wieder nega­tive Schlag­zeilen über Kraus auf. In der Espresso-Bar von Günter Herr­mann hatte er den Zapfer kran­ken­haus­reif geschlagen. Seine Aus­sage, pro­vo­ziert worden zu sein, wider­legten aus­nahmslos alle Zeugen. Schalke bestrafte ihn mit einer Geld­buße in Höhe von 250 DM wegen unsport­li­chem Lebens­wandel“.

Kraus gelobte Bes­se­rung und ver­sprach, alle ver­passten Prä­mien mit Toren wieder rein zu holen“. Er hielt zunächst Wort, direkt nach seiner Gene­sung traf Man­schetten-Willi“ im ersten Spiel gegen Aachen zum ersten Schalker Sai­son­sieg. Neun Tore in zwölf Spielen erzielte er, in der Schalker Heim­stätte riefen die Zuschauer zeit­weise bei jedem Ball­kon­takt laut Willi, Willi“. Doch es blieb bei zwölf Ein­sätzen, im Februar 1968 ent­ließ Schalke ihn. Bei einer rou­ti­ne­mä­ßigen Ver­kehrs­kon­trolle fanden Poli­zisten in seinem Wagen Ein­bruchs­werk­zeug, eine gela­dene Pis­tole und Pro­pan­gas­fla­schen sowie Die­besgut eines Raub­zuges: Strick­hemden und Scho­ko­lade.
Schalkes Prä­si­dent Günter Sie­bert hatte noch wei­tere Gründe für die Ent­las­sung: Bei uns laufen momentan massig Rech­nungen ein, die Kraus auf den Namen Schalke gemacht hat.“ Und die Mit­spieler selbst dürften danach etwas ruhiger geschlafen haben. Im Trai­nings­lager ver­steckte Willi eine Pis­tole unter dem Kopf­kissen“, erin­nert sich Günter Herr­mann.

Eine Waffe als stän­diger Weg­be­gleiter

Die Pis­tole war in diesen Jahren Kraus‚ stän­diger Begleiter. 1964 war er noch mit Helmut Rahn und Rolf Lend­zian in einer Fahr­ge­mein­schaft zu seinem dama­ligen Verein in Hol­land gefahren. Vier Jahre später ver­suchte sich Rahn als Gebraucht­wa­gen­händler, Lend­zian drehte in seinem Imbiss in Gel­sen­kir­chen die Pommes und 50 Meter weiter bal­lerte Kraus in der Bar Boulle Boulle“, von Zeit­zeugen als Sze­ne­treff der Halb­sei­denen“ beschrieben, mit einem Revolver durch die Luft.

Die Fans hin­gegen hielten ihrem Willi“ trotz aller Eska­paden die Treue und wet­terten gegen den Raus­wurf: Lieber ein schwarzes Schaf im Stall als nächstes Jahr Regio­nal­liga“, hieß es in einem Leser­brief im Sport-Beob­achter“. Doch Sie­bert blieb bei der Kün­di­gung und Schalke schaffte den Klas­sen­er­halt. In der Regio­nal­liga spielte hin­gegen fortan das schwarze Schaf“: Kraus ging zur SG Ein­tracht Gel­sen­kir­chen, nachdem der 1. FC Kai­sers­lau­tern auf­grund der Ein­brüche und der Wup­per­taler SV auf­grund von Vor­fällen mit Bar­damen ihr Angebot an Kraus zurück­ge­zogen hatten.
Auch beim West­fä­li­schen Fuß­ball-Ver­band hatte Kraus keine Freunde mehr, denn der WFV sperrte ihn ohne Nen­nung von Gründen. Als Kraus‚ Anwalt dann per einst­wei­liger Ver­fü­gung am Duis­burger Land­ge­richt die Spiel­be­rech­ti­gung erwirkte, sah man das beim Ver­band als offenen Affront. Schließ­lich war es bis dato aus­ge­schlossen, dass ein ordent­li­ches Gericht über sport­liche Ange­le­gen­heiten ver­fügte. Es drohte ein Rechts­streit, den Kraus aber auf die ihm eigene Weise ver­hin­derte. Er pro­vo­zierte im Sep­tember 1968 seinen Raus­schmiss bei Ein­tracht und ver­spielte damit end­gültig seine letzte Chance.

Die Beute: 100 Mark, Ziga­retten, Spi­ri­tuosen

Am Dienstag, den 16. Sep­tember 1969, mel­dete er sich wegen einer Knö­chel­ver­let­zung vom Trai­ning ab. In der Nacht zu Don­nerstag saß er in Osna­brück in U‑Haft. Mit zwei wei­teren Per­sonen, die gerade aus dem Gefängnis ent­lassen worden waren, stieg er in Bram­sche und Qua­ken­brück in meh­rere Geschäfte ein. Die Beute: 100 Mark, Ziga­retten und Spi­ri­tuosen. Kraus erklärte später, man habe eigent­lich geplant, Tre­sore auf­zu­bre­chen, es dann aber mit der Angst zu tun bekommen“. Ein­tracht Gel­sen­kir­chen kün­digte dem Stürmer, der später seinen erlernten Beruf als Elek­triker wieder auf­nahm, doch wegen meh­rerer Delikte sich immer wieder in der Zelle und auf der Straf­bank vor­fand.

Fried­lich war es nie“ – Günter Sawitzki über die wilden Sech­ziger

Infolge eines Ver­kehrs­un­falls ver­liere ich bei geringem Alko­hol­ge­nuss jeg­liche Kon­trolle über mich selbst“, plä­dierte Kraus auf Unzu­rech­nungs­fä­hig­keit – eine nicht unge­wöhn­liche Praxis. Auch der Ver­tei­diger des Dort­mun­ders Wolf­gang Sully“ Peters ver­langte Anfang der Sech­ziger ein psych­ia­tri­sches Gut­achten, als sein Mandat nach einem Ein­bruch im Ober­licht der Tür hängen geblieben war. Die Begrün­dungen erschienen nicht nur den Juristen als wenig haltbar. Viel­mehr war es sein Hang zu schlechter Gesell­schaft, der Kraus zum Ver­hängnis wurde: Er hat sich mit fal­schen Freunden umgeben und war jemand, den man leicht über­reden konnte“, urteilt Willi Koslowski. Kraus zog im Straf­raum selten zurück, auch wenn es manchmal besser gewesen wäre. Dies galt auch für seine nächt­li­chen Aus­flüge.

Willi Kraus ver­starb am 19. Oktober 2008 im Alter von 65 Jahren. Einen Monat später hätte er sich vor dem Land­ge­richt Essen wegen eines Waf­fen­de­liktes ver­ant­worten müssen.