Zur Rückkehr von Claudio Pizarro
Was ist grün und riecht nach Liebe?
Zum fünften Mal in seiner Karriere wechselt Claudio Pizarro zu Werder Bremen. Die Geschichte einer einzigartigen Liebesbeziehung.
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Vor ein paar Jahren ging Claudio Pizarro durch Bremen spazieren. Am Osterdeich, gleich hinter dem Weserstadion, begegnetem ihm drei junge Männer. Als die Herren erkannten, wer ihnen da gerade über den Weg gelaufen war, fielen sie auf die Knie. Die Geschichte ist wirklich so passiert.
Wie Uns Uwe in Hamburg, wie Poldi in Köln
Für die Fans von Werder Bremen ist Claudio Pizarro tatsächlich so etwas wie ein Fußball-Gott. Und dass dem inzwischen 39-jährigen Peruaner die Huldigung seiner Anhänger damals eher peinlich war, zeigt nur noch mehr, warum dieser Stürmer in der Hansestadt einen Ruf genießt wie Uwe Seeler in Hamburg oder Lukas Podolski in Köln. Pizarro hat 192 Tore in 446 Bundesligaspielen geschossen, 104 Treffer allein für Werder Bremen (der Mann hat in Deutschland ja tatsächlich auch mal woanders gespielt). Als er 1999 das erste von nunmehr fünf Malen zu Werder wechselte, wurde sein Gehalt noch in DM ausgezahlt, hatte Eishockey-Legende Wayne Gretzky gerade seine Karriere beendet und Steffi Graf den letzten von 22 Grand-Slam-Titeln gewonnen (der Vollständigkeit halber: bei den French Open gegen Martina Hingis). 19 Jahre ist das her, aber eigentlich könnten es auch 50 sein, so viel ist seitdem passiert. Und Claudio Pizarro ist immer noch da.
Zahlen sind das, nichts als Zahlen. Die Bremer würden sich niemals in den Staub werfen, wenn dem Fußballer Pizarro solche Statistiken so viel bedeuten würden wie Journalisten oder Fußball-Fans. Vermutlich würde er dann längst die Tage damit verbringen, seine Rennpferde und sich selbst zu füttern. Aber Tierfreund Pizarro ist selbst noch so ein Rennpferd, hochbegabt, hochgezüchtet und selbst im reifen Alter offenbar noch so austrainiert, dass ihn ein Bundesligist unter Vertrag genommen hat. Was seinen Beruf angeht, ist der Mann vermutlich der deutscheste Südamerikaner aller Zeiten. Seine Sommerpause hat er damit verbracht, sich vom früheren Bremer Fitnesscoach Yann-Benjamin Kugel in Form zu bringen. Malochen, statt mal den lieben Gott ´n guten Mann sein lassen. Einer seiner teuren Zuchtgäule heißt »Merkel«. Claudio Pizarro, das darf man bei all der Euphorie nicht vergessen, ist vor allem ein unglaubliches Arbeitspferd.
Immer noch nicht satt
Und nur deshalb hat Werder ihn ja schon wieder zurückgeholt. Weil er selbst mit 39 immer noch liefern kann. Wäre dieser Fußball-Gott schon 15 Kilo über dem Idealgewicht und auch sonst satt und vollgefressen, würden die Menschen am Osterdeich vermutlich trotzdem auf die Knie gehen. Nur kicken würde er dann nicht mehr. - Tanzen mit Ailton
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So aber, in dieser Kombination aus 19-jähriger Freundschaft zwischen Fußballer und Verein, in dieser Mischung aus 104 Toren und 1000 wunderbaren Momenten, in dieser besonderen Verbindung des besten ausländischen Bundesliga-Stürmers aller Zeiten und dem SV Werder Bremen, ist der Transfer von Claudio Pizarro zurück an die Weser eine der romantischsten Geschichten in dieser so unromantischen Zeit.
Erinnerung an frühere Heldentaten
Mal abgesehen vom sportlichen Nutzen des Routiniers, der seine Erfahrung und sein Charisma vermutlich vor allem außerhalb der 90 Minuten Bundesliga-Alltag einbringen wird, ist dieser Spielerwechsel viel mehr als nur eine spröde Personalie. Pizarro ist für Werder nicht bloß ein Fußballer, er ist eine Ikone, die praktischerweise noch immer gegen den Ball tritt. Vielen Werder-Fans, deren Liebe zu ihrem Verein durch die vielen Jahren fußballerischer Tristesse und die vielen negativen Entwicklungen dieses Sports in den vergangenen zwei Jahrzehnten generell erkaltet ist, haucht die Rückkehr von Pizarro wieder etwas Leben in die eingerostete Beziehung ein. Und sei es nur wegen der Erinnerung an frühere Heldentaten. Der Mann hat einst dem frustrierten Ailton beim gemeinsamen Merengue-Tanzen die Lust an Bremen vermittelt. Allein dafür sollte ihm die Stadt auf ewig zu Dank verpflichtet sein.
Schon möglich, dass Werders früherer Stadtmusikant im Bremer Bundesligakader der Gegenwart nur noch die dritte, vierte oder fünfte Geige spielt. Pizarro mag noch gut in Form sein, aber im Oktober wird er 40 Jahre alt. Und trotzdem werden in der kommenden Saison Zehntausende nur seinetwegen ins Weserstadion kommen, werden Menschen, die bei seinen ersten Toren für Werder gerade durch die Pubertät schlingerten, ihrem Nachwuchs ein Pizarro-Trikot schenken und vor lauter nostalgischer Gefühlsduselei gar nicht mehr wissen, wohin mit sich. Wird es für viele wieder einen guten Grund geben, sich ernsthaft mit Werder Bremen zu beschäftigen.
Dann ist das Spiel magisch
Zumal die Hoffnung groß ist, dass »Pizza« auch wieder liefert. Niemand wird ihm böse sein, wenn er nach dieser Saison mit zehn Kurzeinsätzen endgültig aus der Bundesliga scheidet. Aber eigentlich erwartet man bei Claudio Pizarro im Werder-Trikot immer Heldentaten. Er selbst sieht – deshalb ist er Profi und fallen wir in den Staub – seine Aufgabe viel nüchterner. In einem kurz vor seinem Wechsel zum 1. FC Köln 2016 geführten, aber nie veröffentlichten Interview, antwortete er auf die Frage, wie einer wie er einer Mannschaft weiterhelfen könne: »Ich habe ein Gespür für die Chemie in einem Team. Ich merke früh, wenn etwas schief läuft oder wenn die Stimmung nicht gut ist. Für einen Verein wie unseren, der nicht so viel individuelle Qualität im Kader hat wie Bayern, Dortmund oder Schalke, ist ein guter Teamgeist überlebensnotwendig. Wenn der nicht da ist, wenn die zwischenmenschlichen Probleme zu groß werden, dann läuft gar nichts, dann steigen wir ab. Meine Aufgabe ist es auch, die gute Laune aufrecht zu erhalten.«
Er muss dafür nicht mehr Merengue tanzen oder 20 Tore pro Saison schießen. Er muss einfach er sein. Claudio Pizarro, 39, 192 Bundesliga-Tore, mal wieder und eigentlich für immer grün und weiß. Der Gute-Laune-Bär vom Weserstrand, Vorbild für seine Mitspieler, Edeljoker für seinen Trainer, Halb-Gott für seine Fans. Vor allem aber: Fußball-Verrückter und einer der größten Liebhaber dieses Spiels. Wenn er einem Menschen, der von Fußball keine Ahnung hätte, die Faszination dieses Sports erklären müsste, wurde Pizarro damals gefragt, was würde er diesem Menschen dann sagen. Und er antwortete: »Wenn man sich darauf einlässt, dann ist das Spiel magisch. Der Rasen. Der Ball. Das Tor. Die Zuschauer. Alles. Das muss man gesehen haben. Deswegen würde ich vermutlich sagen: Komm doch am Wochenende mal ins Stadion.«
Gute Idee eigentlich.