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Am 1. Februar 2010 erhielt Man­fred Ame­rell eine Nach­richt von Theo Zwan­ziger und Wolf­gang Niers­bach. Der DFB-Prä­si­dent und sein Gene­ral­se­kretär infor­mierten den Schieds­rich­ter­spre­cher über Vor­würfe, die Michael Kempter gegen ihn erhoben hatte. Ame­rell sollte seinem jün­geren Schieds­rich­ter­kol­legen nach einem Spiel zwi­schen Werder Bremen und Borussia Dort­mund im Oktober 2009 sexu­elle Avancen gemacht haben. Am 9. Februar ver­kün­dete der Ver­band Ame­rells Rück­tritt. Es begann eine öffent­liche Schlamm­schlacht, in der das Pri­vate das Öffent­liche so stark über­la­gerte, dass es kör­per­liche Schmerzen berei­tete.
 
Zunächst fragte die Bild“-Zeitung am 10. Februar, ob sich Ame­rell Kempter genä­hert“ habe. Es ging weiter mit einem Sex-Skandal“, mit Ver­stri­ckungen anderer Schieds­richter, mit der Ehe­frau von Ame­rell und den SMS, die Michael Kempter an Man­fred Ame­rell geschickt hatte.

Die SMS und der Pro­zess
 
In einer Talk­show prä­sen­tierte Ame­rell diese Kurz­nach­richten. In einer steht: Ich ziehe für dich die weiße Hose an, damit mein schwarzer Tanga vor­leuchtet.“ In einer zweiten: Ich liebe dich!“ In einer dritten: Ich freue mich aufs Bayern-Spiel. Hof­fent­lich fliegen sie gleich raus. Und dann stoßen wir darauf an.“
 
Kempter und Ame­rell trafen sich vor Gericht wieder. Der Pro­zess endete am 7. Dezember 2011 mit einem Ver­gleich. Kempter räumte ein, dass seine Ableh­nung der Annä­he­rungs­ver­suche Ame­rell nicht deut­lich genug erschienen sein könnten. Ame­rell ver­zich­tete auf eine Scha­den­er­satz­for­de­rung. Davor war es zu Haus­durch­su­chungen bei ver­schie­denen Schieds­rich­tern gekommen, es ging um Steu­er­hin­ter­zie­hung. Auch Michael Kempter war ins Visier der Fahnder geraten – durch eine anonyme Anzeige. Die Welt“ schrieb von Ame­rells Rache“.
 
Ein Mann am Boden. Ein Mann, dessen Züge einem Spiel­süch­tigen gli­chen, der immer weiter Geld in den Schlitz wirft, in der Hoff­nung, dass eines Tages all seine Ver­luste amor­ti­siert werden. Ich bin kein Psy­cho­path“, sagte Ame­rell einmal. Doch es konnte nichts mehr unge­schehen gemacht werden. Es konnte nichts ver­gessen gemacht werden. Es konnte nie­mand reha­bi­li­tiert werden. Das ist die eine Geschichte. Sie wird bleiben.
 
Doch es gibt auch eine andere Geschichte, und die ist heute nahezu ver­gessen. Sie erzählt die Geschichte von einem Kind der Bun­des­liga.
 
Im Gegen­satz zu vielen Kol­legen kam Ame­rell nicht von Außen ins deut­sche Fuß­ball­ge­schäft. Er war nicht zuerst Zahn­arzt oder Anwalt, der seine Bun­des­li­ga­kar­riere suk­zes­sive und nebenbei auf­baute. Er war immer schon Teil des Ganzen. 1970, Ame­rell war damals gerade mal 23 Jahre alt, heu­erte er 1970 bei 1860 Mün­chen an und wurde dort Geschäfts­führer. Danach arbei­tete er beim FC Augs­burg. Mit 32 Jahren, als viele aus seiner Gene­ra­tion gerade ihr Betriebs­wirt­schafts­stu­dium beendet hatten, trat er seine dritte Stelle als Fuß­ball­funk­tionär an: Er wurde Manager beim Karls­ruher SC.

Spitz­namen Aqua­rell“
 
Die Presse jubelte ihm zu. Damals. Er sei ein Gold­junge“, schrieb der Express“ einmal, denn Ame­rell ver­rin­gerte in kür­zester Zeit die Schulden der Badener, er tütete lukra­tive Werbe-Deals ein und war der Ver­ant­wort­liche eines großen Coups. Was vier Jahre lang keinem Manager gelungen war, schaffte Ame­rell in einer halben Stunde: Er über­re­dete Trainer-Legende Max Merkel in dessen Wohn­zimmer zu einem Come­back auf der Trai­ner­bank des KSC. Die Bild“ fei­erte Ame­rell als Erfolgs­ma­nager der Bun­des­liga“, er sei rede­ge­wandt und selbst­si­cher wie Dr. Peter Krohn früher beim HSV“. Sein Kol­lege Bernd Heyne­mann nannte ihn später mal gerad­linig und kor­rekt“. Ame­rell – ein Manager vom Typ Schieds­richter. Den­noch erscheint es son­derbar, dass ein Fuß­ball­funk­tionär eine zweite Kar­riere als Referee beginnt. Sind Sie maso­chis­tisch?“, fragte ein Reporter ihn damals. Ame­rell sagte: Ich suche die größte Her­aus­for­de­rung. Ich will ganz oben dabei sein!“
 
Am 28. März 1987 pfiff er sein erstes Bun­des­liga-Spiel: Borussia Mön­chen­glad­bach gewann 2:1 gegen den VfL Bochum. Ame­rell gab einen Elf­meter und zeigte drei Gelbe Karten. Später bekam er den Spitz­namen Aqua­rell“ – wegen der vielen Karten, die er zeigte.

Ame­rell lei­tete ins­ge­samt 94 Bun­des­li­ga­spiele. Par­allel schrieb er Kolumnen und äußerte sich regel­mäßig in Inter­views zum Schieds­rich­ter­wesen. Manche nahmen spä­tere Dis­kus­sionen und Ent­schei­dungen vorweg. In einem Gespräch mit der Abend­zei­tung“ sagte er im November 1992: Ich hoffe, dass wir bald gelbe oder rote Tri­kots tragen – dann kann nie­mand mehr schwarze Sau rufen!“ Bei einem Auf­tritt in der DSF-Talk­show Offensiv“ plä­dierte er im November 1994 für eine Abschaf­fung der Zeit­lupe: Das ist das größte Pro­blem für uns! Das gehört aus meiner Sicht ver­boten. Der DFB müsste hier in aller Deut­lich­keit in den Ver­hand­lungen mit den Fernseh-Anstalten ver­bieten, dass Spiel-Wie­der­ho­lungen in Zeit­lupe vor­ge­führt werden.“
 
Eines seiner letzten Spiele war gleich­zeitig der Höhe­punkt seiner Kar­riere: Das DFB-Pokal-Finale 1994 zwi­schen Werder Bremen und Rot-Weiss Essen.

Wenn der Schmerz da ist, reagiert er heftig
 
Ende der neun­ziger Jahre war Ame­rell als Fuß­ball­funk­tionär beim DFB tätig. Er führte etwa die Debatte um zuneh­mende Härte auf dem Fuß­ball­platz und das aggres­sive Ver­halten von Trai­nern und Funk­tio­nären. Er, der 1992 in einer Partie zwi­schen Waldhof Mann­heim und dem SV Wup­pertal fünfmal die Rote und sie­benmal die Gelbe Karte gezeigt hatte, kon­sta­tierte: Die Stim­mung ist gereizt. Das liegt auch am Geld und der Erwar­tungs­hal­tung.“ Und: Wir Schieds­richter haben uns zu viel gefallen lassen. Wir sind nicht die Kasper und Ham­pel­männer der Nation.“ Den­noch reagierte er auch mit Ver­ständnis für die Spieler: Wenn einer getreten wird und der Schmerz da ist, reagiert er heftig. Das kann man auch ver­stehen.“ Und nahm die eigenen Kol­legen in die Pflicht: Wenn es ein Fehler war, hat man die ver­dammte Pflicht sich hin­zu­stellen und zu sagen: Es tut mir leid.“

Aus­ge­schlachtet bis zur Unkennt­lich­keit
 
Als ihn am 1. Februar 2010 die Nach­richt von Theo Zwan­ziger und Wolf­gang Niers­bach erreichte, arbei­tete Man­fred Ame­rell als Schieds­rich­ter­spre­cher des DFB. Als der Pro­zess beendet wurde, herrschte in den Medien der Tenor vor, Ame­rell sei als Sieger“ aus der Affäre her­vor­ge­gangen. Was für ein Wort? Der Pro­zess hatte keine Sieger – er offen­barte nichts weiter als mensch­liche Tra­gö­dien, aus­ge­schlachtet bis zur Unkennt­lich­keit. Zwei Jahre später, im April dieses Jahres, sagte Ame­rell: Seit diesem 1. Februar 2010 lebe ich nicht mehr, ich exis­tiere nur noch.“ Am Diens­tag­abend wurde er tot in seiner Woh­nung auf­ge­funden. Die Todes­ur­sache ist noch unklar. Einen Selbst­mord schließt die Polizei aber aus.