Heute wird Arsène Wenger 70 Jahre alt. Sein Lebenswerk, so viel steht längst fest, ist der FC Arsenal. Bei dem er mehr als nur Titel und Rekorde holte. Ein Loblied auf den vielleicht größten Visionär des modernen Fußballs.
Am 22. September 1996 betritt Arsène Wenger den prächtigen Ostflügel des Arsenal-Stadions in Highbury, steigt die große Marmortreppe hinauf in den zu kleinen Presseraum und wird dem verdutzten Publikum als neuer Manager der Gunners präsentiert. Der Franzose mit dem deutschen Nachnamen, zuletzt beim japanischen Klub Nagoya Grampus angestellt, ist in England unbekannt. „Arsène Who?“, titelt der Evening Standard.
Auf dem Kontinent hat sich der junge Wenger durch seine sieben Jahre beim AS Monaco (1987−94) viel Respekt erworben. Franz Beckenbauer versucht mehrmals, den Elsässer nach München zu holen. Auf der Insel, seit der Heysel-Katastrophe 1985 fußballerisch von Europa abgekapselt, schlägt dem Ausländer jedoch viel Skepsis entgegen. Tony Adams und Lee Dixon beschreiben später ihren ersten Eindruck: Wenger erinnert an einen ungeliebten Lehrer aus der Schule, nicht an einen Fußballtrainer.
Mit Feingefühl auf dem Weg der Abstinenz
Auch der erlebt einen Kulturschock. Am Eingang des Trainingsgelände steht University College London geschrieben – Arsenal besitzt keine eigene Anlage. In der ersten Woche möchte Wenger sein Team in einem Trainingsspiel besser kennenlernen. Aber es ist Mittwoch. Da trainieren die Londoner Studenten.
Aus Mangel an Übungsplätzen ist der Tag seit Jahren trainingsfrei. Für die Arsenal-Clique um Tony Adams und Paul Merson ein guter Anlass, sich Dienstagabend zu besaufen. Der Tuesday Club wird zum wöchentlichen Alkohol-Exzess. Mit viel Feingefühl hilft Wenger seinem Kapitän Adams auf dem Weg zur Abstinenz, die Trinkkultur schwindet.
Der Erfolg gibt Wenger Recht
Die kleinen Sünden verschwinden ebenfalls. Die Schale mit Süßigkeiten in der Umkleide und die Mars-Riegel im Mannschaftsbus streicht Wenger, dafür kommen Brokkoli und Rohkost. Selbst die Fans bestellen später im Piebury Corner am liebsten den „Wenger Knows Best“, eine Pastete mit Huhn und Brokkoli. So gesund isst man nun in Nord-London.
Dehnübungen, Yoga, Zahnarztbesuche, um die Beinmuskulatur zu verbessern: die Spieler staunen, folgen „Professor“ Wenger aber, weil der Erfolg ihm Recht gibt. Manches belässt Wenger beim Alten. Ian Wright, Stürmer und Spassmacher, darf weiterhin vor jedem Spiel den vorlauten Kabinen-DJ geben.
Von Beruf miracle worker
Die anfangs skeptischen Spieler entwickeln eine enge Bindung zum „Boss“, auch über das Karriereende hinaus. Intern tauft die Mannschaft ihren tolpatschigen Trainer auch Inspector Clouseau, nach den Pink-Panther-Filmen. Wengers ewiger Kampf mit dem Reißverschluss seiner überlangen Winterjacke amüsiert Fans und Spieler jedes Jahr.
Drei Meisterschaften, vier Pokalsiege, eine Saison ungeschlagen: die schnellen Erfolge zwischen 1998 und 2005 erscheinen wie ein Wunder. David Dein, damals Arsenals Sportvorstand, schreibt bei der Registrierung im Hotel gerne unter Arsène Wenger, Beruf: miracle worker.