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Klaus’ Bizeps ist ver­mut­lich die höchste Erhe­bung Nord­rhein-West­fa­lens. 127 Kilo­gramm Mus­keln: Dieses Gebirgs­massiv von einem Mann war mal Deut­scher Meister im Bank­drü­cken, stemmte Gewichte mit Ralf Möller, der sich damals noch als Schwimm­meister in Reck­ling­hausen ver­dingte und später zum Kraft­meier von Hol­ly­wood avan­cierte. Zu seinen wilden Zeiten, Mitte der Acht­ziger, war Klaus Mit­glied der Gel­sen­szene, einer gefürch­teten Schalker Hoo­li­g­an­truppe, wurde von Freund und Feind nur der Eisen­bieger“ genannt. Noch immer kann man sich leb­haft vor­stellen, wie er jetzt ein­fach von seinem Klapp­sessel auf­steht und das Gar­tentor vor seiner Par­zelle zer­knautscht, um mal eben kurz seine alte Stärke auf­blitzen zu lassen.

Aber hier und heute, in seinem Cam­ping­ur­laub auf der Insel Grav, bleibt er lieber sitzen unterm S04-Son­nen­schirm, die Bull­dogge Paula zu seinen Füßen. Er raucht auf Vorrat gestopfte Ziga­retten und trinkt Dosen­bier mit seinem Nach­barn Mark. Dass der ein ein­ge­fleischter Fan des FC Bayern ist und sich ein Tri­plesie ger-Shirt recht pro­vo­kativ über seinen Bier­bauch spannt, stört Klaus, den Alt­hauer, offenbar nicht die Bohne. Wie ein satter Sil­ber­rü­cken blin­zelt er zufrieden in den hellen Tag. Ihr seid schon ne geile Akti­en­ge­sell­schaft, hömma!“, ruft er dann, lacht aus vollem Halse und haut Mark mit der Zärt­lich­keit eines Schau­fel­bag­gers auf die Schulter. Ja, sichi!“, sagt Mark und ver­sucht gleich­zeitig, sein Tri­ple­si­eger-Grinsen zu bewahren und sich nicht am Dosen­bier zu ver­schlu­cken. Paula guckt kurz auf und döst dann weiter. Bloß kein Stress, am hei­ßesten Tag des Jahres, unter der im Zenit ste­henden Sonne. Hier auf Grav, der Insel der Glück­se­ligen.

Wo die Gesell­schaft als Ganzes Urlaub macht

1969 war es, dass der gelernte Ver­si­che­rungs­kauf­mann Wolf­gang Seibt bei einem Pfingst­aus­flug auf die Insel Grav aus einem Dach­fenster des hie­sigen Kar­täu­ser­klos­ters blickte und eine Vision ihn überkam: Plötz­lich sah er, wo sich noch öde Über­schwem­mungs­wiesen endlos erstreckten, einen rie­sigen Cam­ping­platz vor sich, den größten über­haupt. Einen Ort der Erho­lung, wo die Gesell­schaft als Ganzes Urlaub macht von ihren Kon­flikten, ihrem Hick­hack und Büro­krieg. Wo Frieden herrscht zwi­schen den Men­schen. Zwi­schen Rei­chen und Armen, Vor­ge­setzten und Unter­ge­benen. Ja, selbst zwi­schen Schal­kern und Bayern.

Heute, 45 Jahre später, scheint Seibts soziale Utopie wahr geworden zu sein: Die Insel Grav, gelegen im Nie­der­rhein auf Höhe der Kreis­stadt Wesel, durch einen Damm ver­bunden mit dem Fest­land, bietet 20 000 Urlau­bern Platz, das Wege­netz ist 35 Kilo­meter lang, es gibt eine eigene Feu­er­wehr, einen Sani­tär­not­dienst, eine Schrei­ner­werk­statt, einen Strei­chelzoo, eine Dis­ko­thek, einen Super­markt, ein Mas­sa­ge­studio, eine Not­fall­am­bu­lanz, fünf Kneipen und einen Angel­verein mit 15 Mit­glie­dern. Es gibt eigent­lich alles. Nur keinen Streit. Nicht mal zwi­schen Fuß­ball­fans.

Fleisch is’ Fleisch“, sagt Klaus. Ja, sichi!“, sagt Mark.

Auf Grav ist alles eins“, sagt Wolf­gang Seibts Sohn Frank, in zweiter Gene­ra­tion Chef, Bür­ger­meister und Kur­di­rektor. Bei uns haben sich alle lieb.“ Er zeigt sein Insel­reich vom Kleinst­trans­porter aus, spürbar stolz auf das, was hier ent­standen ist: eine Klein­stadt, ja, eine kleine Welt, die besser zu sein scheint als die große. Im Schatten der Mar­kise brüten die Zahn­arzt­gattin und die Putz­frau gemeinsam überm Sudoku, lässt sich ein Bayern-Fan das Nacken­steak schme­cken, das ein Schalke-Fan auf seinem königs­blau getünchten Rie­sen­grill zube­reitet hat. Fleisch is’ Fleisch“, sagt Klaus, der Alt­hauer. Ja, sichi!“, sagt Nachbar Mark. Na, dann guten“, sagt Frank Seibt.

Aus dem Fenster des Trans­por­ters, den er so behände durch die engen Gassen der Insel lenkt wie ein Ein­parker beim Auto­scooter, nur mit dem Dau­men­ballen der linken Hand am Lenkrad, sieht man Son­nen­segel, Pali­sa­den­zäune und Para­bol­an­tennen in den Farben aller auch nur annä­hernd bekannten Ver­eine. Unmit­telbar neben­ein­ander, dicht an dicht. Nicht selten ist ein und das­selbe Grund­stück von Gar­ten­zwergen eigent­lich riva­li­sie­render Klubs bevöl­kert. Frank Seibt selbst ist, ganz Kur­di­rektor, Fan jedes erdenk­li­chen Ver­eins. Wenn über­haupt, hat der FC Schalke 04 bei ihm ganz leicht die Nase vorn, wegen Ingo Ander­brügge. Der hat hier näm­lich mal bei einem Wohl­tä­tig­keits­spiel mit­ge­kickt. Guter Typ“, sagt Seibt. Der Ingo.“