Am 14. und 15. Januar findet in Berlin der Fankongress 2012 statt. Der Grundgedanke lautet: „Wie schaut der Fußball in der Zukunft aus und welche Rolle spielen die Fans dabei?“ Am Samstag und Sonntag wird es Podiumsdiskussionen und Workshops zu Themen wie 50+1, Pyrotechnik, Anstoßzeiten, Selbstbestimmung in der Kurve, soziale Verantwortung, Eintrittspreise etc. geben. Diskussionsteilnehmer sind u.a. Martin Kind (Präsident von Hannover 96), Jonas Gabler (Autor von „Die Ultras“), Dirk Grosse (Sky Deutschland AG), Holger Hieronymus (Geschäftsführer DFL), Hendrik Große Lefert (Sicherheitsbeauftragter DFB) oder Kevin Miles (Football Supporters Federation). Weitere Infos findet ihr auf www.fankongress-2012.de.
Im Laufe dieser Woche lest hier auf der 11FREUNDE-Homepage Interviews und Berichte zum Thema Fankultur. Ihr findet alle Berichte gesammelt unter www.11freunde.de/fans. Der folgende Text wurde erstmals im August 2011 veröffentlicht.
Berlin, Stadion an der alten Försterei, vorvergangener Samstag. Union empfängt Greuther Fürth zum ersten Heimspiel der neuen Saison. In Sektor 2, wo es nur Stehplätze gibt, hängt ein flammenunterlegtes Spruchband, „1. FC Union – Du sollst leuchten“ prangt auf dem Stoff. Als die Mannschaften einlaufen, folgt dann: nichts. Kein bengalisches Feuer, keine Böller oder Rauchbomben, nicht mal Wunderkerzen zieren die Kurve. Kein Leuchten. Stattdessen entrollen die Fans noch ein Banner, darauf drei schwarze Gestalten, mit brennenden Fackeln in den Händen, und dazu: „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“. Das gleiche Bild auch in Düsseldorf, Aachen und Karlsruhe. Auf den Rängen bleibt das Feuer aus. Enthaltsamkeit prägt im Gros die bundesdeutschen Kurven.
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Die Zurückhaltung der Anhänger zu Beginn der neuen Saison geht auf einen in dieser Form einzigartigen Zusammenschluss von Fangruppen zurück. Unter dem Namen „Pyrotechnik legalisieren“ haben 150 Ultrà-Bewegungen eine leidenschaftliche Erklärung veröffentlicht, fast schon ein Manifest. „Bengalische Feuer und die bunten Farben des Rauches sind feste Bestandteile der Fankultur. Für uns ist Pyrotechnik ein Mittel, um Feierstimmung zu schaffen. (…) Wir werden sie uns nicht nehmen lassen“, heißt es darin. Was wie Drohgebärde klingt, ist in Wahrheit die verschriftlichte Basis, auf der erstmals alle Parteien an einem Tisch über den Zankapfel Pyrotechnik diskutieren. DFB und DFL haben das Papier gelesen und sich zu einem Dialog bereit erklärt. Darauf antworteten die Ultràs mit dem selbsterklärten Verzicht auf feurigen Support an den ersten sieben Spielen. Dieses Zugeständnis ist mehr als nur ein Waffenstillstand, es ist Symbol für die Ernsthaftigkeit, mit der die Forderungen erhoben werden, und Beleg dafür, dass sich die einst so verhärteten Fronten aufgeweicht haben. Jannis Busse, Sprecher der Initiave, hofft gar, dass „Fans in nicht allzu ferner Zukunft Bengalos in Stadien legal abbrennen können.“
Pyrofreie Zeit als Testballon
Ginge es nach der Polizei, Busses Vision bliebe bloß Illusion. Raimund Schulte-Rosier, szenekundiger Beamter aus Köln, sagt: „Das Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen ist eine Straftat nach dem Sprengstoffgesetz und muss polizeilich verfolgt werden.“ Sein Kollege Volker Lange, Einsatzleiter für Heimspiele des 1. FC Köln, ergänzt: „Es ist zu recht gesetzlich verboten.“ Die Fanszene darf sich glücklich wähnen, dass ihr Vorhaben nicht schon am Veto der beiden zerschellt. Der DFB stellt die letzte Instanz, an den Verband wandten sich Busse und Co. am Anfang dieses Jahres. Mit am Tisch saß auch DFB-Sicherheitschef Helmut Spahn. „Entscheidend war für uns die Frage: Hat die Gruppierung wirklich Einfluss auf die Szene?“, erläutert Spahn. Um das herauszufinden, habe man in Abstimmung mit der Kampagne den 22. August als Frist für pyrofreie Zeit gesetzt. „Wenn der Initiative das gelingt, wenn diese Einflussnahme möglich ist, dann soll es weitere Gespräche geben.“ Drei Wochen muss jetzt noch gebangt werden. Halten wirklich alle Gruppen still? Oder stören schwarze Schafe den neuen, brüchigen Frieden?
Dass es die Initiative überhaupt geschafft, alle Verantwortlichen an einen Tisch zu zwingen, darf schon als Achtungserfolg gewertet werden. Die Ursprünge der Erklärung, über die DFB und DFL jetzt diskutieren, liegen nämlich in der bayerischen Landesliga begründet, genauer: bei den Würzburger Kickers. Am 30. Oktober 2009 reisten die zum FC Schweinfurt 05, dessen Fans die Partie der Staffel VI mit bengalischem Feuer fast zum Abbruch brachten. Die 05er wurden mit sechs Punkten Abzug (später auf drei Punkte reduziert) und einer Strafe von 1000 Euro belegt. Die mediale Hetzjagd allerdings, die einmal mehr ganze Kurven kriminalisierte, missfiel Anke Wiedenroth, eine führende Figur aus dem B‑Block Würzburg. Sie wühlte sich fortan durch Gesetzestexte, weil auch bei den Kickers rot-weiße Bengalos zum Spielalltag gehörten. Heute Schweinfurth, morgen vielleicht wir, ahnte Wiedenroth und erarbeitete ein Konzept, „das erklärt, warum Pyrotechnik vielleicht doch rechtlich umsetzbar sein kann.“ Die Würzburger rundmailten das Papier an alle Ultràgruppen und waren als Sechstligist plötzlich beim Gründungstreffen dabei. „Für uns ist es spannend, zwischen den großen Ultràszenen zu agieren“, sagt Anke Wiedenroth heute, „unsere Unterklassigkeit hat auf die Arbeit der Kampagne keinen Einfluss, jedem geht es nur um die Sache an sich.“
Mahnende Bilder aus Bochum
Die Sache an sich kann in zwei wesentlichen Punkten zusammengefasst werden: „Die Schaffung von Rahmenbedingungen für legales Abbrennen von Pyrotechnik“ erstens, dazu „eine Eigenverantwortung für Fanszenen und Vereine“. Beide Extrakte umkreisen die pikanten Fragen des Wie und Wo. In ihrem Schreiben weist die Gruppierung darauf hin, aus Angst vor Bestrafung würden viele Fans die Fackeln oft in dichtem Gedränge zünden. Wie fatal das sein kann, den Beweis erbrachte das Spiel zwischen Bochum und dem 1. FC Nürnberg im Februar 2010. Durch die TV-Sender flimmerten die Bilder eines Mannes, der mit brennenden Beinen eine Treppe hinabstürzt, Bilder von Fans, die durch den dichten, beißenden Nebel taumeln. „Da hat man gesehen, was für eine Gefahr dahintersteckt. Im überfüllten Block bricht schnell Panik aus“, sagt sich Hauptkommissar Schulte-Rosier.
Ihren Weg in den Block finden die Pyrostangen durch Zäune gereicht, versteckt im Schritt oder vor dem Anpfiff, wenn an den Einlasskontrollen High Noon herrscht und die Ordner mit nachlassender Sorgfalt durchwinken. Gekauft werden sie im Internet.
Die österreichische Lösung
Onlineshops wie Pyroweb.de bieten Farbrauchpatronen, bunte Bengallichter ab 99 Cent bei einer Mindestkaufmenge von fünfzig Stück und rote Handfackeln mit Reißzünder für zwölf Euro. Schulte-Rosier setzt deshalb nach: „Denkbar wäre ein kontrolliertes Abbrennen von bengalischen Fackeln durch ausgebildete Feuerwerker vor der Kurve.“ Der Vorschlag ehrt den Beamten, aber diese Bevormundung vertrüge sich wohl nur schwerlich mit dem anarchischen Grundgedanken der Ultràkultur. Die Szene tendiert deshalb zu ausgewiesenen Zonen, in denen Pyrotechnik benutzt werden darf, dann aber von den eigenen Leuten. Es wäre die österreichische Lösung.
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Über Jahre hinweg gehörte Pyrotechnik zur österreichischen Bundesliga wie Mozart zur Wiener Klassik. Mit fackelgetränkten Choreographien sorgten die Kurven für Aufsehen. Bis Maria Fekter kam. Als Innenministerin ließ sie, politische Hardlinerin, das Pyrogesetz verschärfen. Plötzlich stand unter drastischer Strafe, was vorher zumindest gebilligt war. In der Fanszene formierte sich flink vereinsübergreifender Widerstand, eine breite Solidarisierung fand statt, die in „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“ mündete. Die Initiative erwirkte zum Beginn der Saison 2010/11 zusammen mit Bundesliga-Vorstand Georg Pangl eine Ausnahmebestimmung, die das legale Zündeln unter harten Auflagen ermöglicht. Die Fans müssen ihre Pyros vorher bei den Behörden anmelden und von einem Polizeiabgeordneten genehmigen lassen. Abbrennen dürfen sie das Feuer dann in Sicherheitszonen vor der Kurve.
Für Selbstbestimmung, gegen Kriminalisierung
Ideal ist auch die österreichische Lösung nicht, weil die Fans vom Wohlwollen – böse Zungen nennen es Willkür – der Behörden abhängig sind und schon bei kleinsten Verstößen damit rechnen müssen, in eine Gefährderdatei aufgenommen zu werden. Allein, eine Alternative zu den durchreglementierten Pyrozonen scheint auch nicht in Sicht. Und so bleibt die Frage, ob, wie und wann so ein Modell auch in Deutschland greifen kann, abhängig von der Spanne bis zum 22. August. Jannis Busse denkt in kleinen Schritten: „Wir wollen Pyrotechnik aus der Ecke des Kriminellen holen. In der Türkei oder in Italien ist es südländische Begeisterung. Wenn das aber in Deutschland passiert, spricht man gleich von Hooligans oder Chaoten.“ Der Kampf der Initiativen, ob in Deutschland oder Österreich, ist einer, der in seiner Bedeutung über sich selbst hinausweist. Es geht um den großen Kampf von Fußballfans für mehr Freiräume und Selbstbestimmung. Mit ihrem Ringen um eine andere, differenziertere Sichtweise auf Pyrotechnik wollen sie ein Zeichen setzen gegen den Generalverdacht und die Kriminalisierung ganzer Kurven.