Dieser Text erschien erst­mals für das Buch 11FREUNDE WM 2018: Deutsch­lands Tränen, Frank­reichs Tri­umph“ und ist im Buch­handel sowie im Online-Shop »> erhält­lich. 

Luka Modric musste noch etwas los­werden, bevor er mit seinen Mit­spie­lern in die Kabine ging,und da kamen die Reporter des eng­li­schen Fern­seh­sen­ders ITV gerade recht. In den Tagen vor dem Halb­fi­nale hatten einige bri­ti­sche Medien ­spe­ku­liert, dass die Kroaten müde sein würden, schließ­lich hatten sie bereits zwei Spiele über 120 Minuten hinter sich. Eng­land, da schienen sich die Experten auf der Insel sicher, würde nach 1966 zum ersten Mal wieder in ein WM-End­spiel ein­ziehen. Football’s coming home. Modric fand das respektlos, und des­halb kon­terte er nun: Wir haben eure Worte ver­nommen. Aber es hat uns moti­viert. Wir haben gesagt: Mal sehen, wer müde sein wird.“ Dann schaute der kroa­ti­sche Mit­tel­feld­spieler leicht süf­fi­sant in die Kamera, er zog die Mund­winkel nach unten und die Schul­tern nach oben, als sei Eng­land gar kein rich­tiger Gegner gewesen. Ein ent­spannter Kick gegen ein unter­klas­siges Team. Wir haben das Spiel phy­sisch, aber auch psy­chisch domi­niert“, sagte er. Wir hätten es schon in der regu­lären Spiel­zeit gewinnen können.“

Der beste kroa­ti­sche Fuß­baller aller Zeiten

Modric ist nor­ma­ler­weise keiner, der nach vorne drängt. Wenn die Mikro­fone an sind, ist er eher schüch­tern, zurück­hal­tend. Aber das musste offen­sicht­lich raus. Zumal er mit allem recht hatte. Kroa­tien war in diesem Halb­fi­nale besser. Kroa­tien hatte in der zweiten Halb­zeit die kla­reren Tor­chancen. Kroa­tien war nicht müde. Und vor allem: Kroa­tien war nicht mit Glück ins Finale dieser WM gestol­pert. Schon der Kader war ja nicht der eines Under­dogs: Mateo Kovacic von Real Madrid, Mar­celo Bro­zovic von Inter Mai­land, Ivan Rakitic vom FC Bar­ce­lona, Mario Man­dzukic von Juventus Turin. Und dann natür­lich noch er, Luka Modric von Real Madrid. Der beste kroa­ti­sche Fuß­ball­spieler aller Zeiten. Viel­leicht sogar der beste Spieler der Welt im Sommer 2018.

Wer das Spiel von Modric ver­stehen will, muss weg von den ganz großen Szenen. Weg vom Spek­takel. Weg von den wag­hal­sigen Fall­rück­zie­hern, tem­po­rei­chen Über­stei­gern und magi­schen Vor­lagen. Modric ist kein Spieler, der viele Tore schießt. Nicht mal einer, der sie direkt vor­be­reitet. In der abge­lau­fenen La-Liga-Saison kam er für Real Madrid gerade mal auf sechs Assists. Er ist der Spieler für den vor­letzten Pass. Ein Meister des Raumes. Wie ein Schach­spieler weiß er in jeder Situa­tion, was als Nächstes und als Über­nächstes pas­sieren wird. Sein Spiel wirkt des­halb manchmal unscheinbar, denn es springt einen nicht so an wie das von Lionel Messi oder Cris­tiano Ronaldo. Man muss es her­an­zoomen, um die Details zu ent­de­cken.

Ein Blick, ein Pass

Beim 3:0‑Sieg gegen ­Argen­ti­nien hatte er 62 Ball­kon­takte, er spielte die meisten Pässe in der geg­ne­ri­schen Hälfte, und 83 Pro­zent der Zuspiele fanden einen Mit­spieler. Aber auch defensiv war er prä­sent. Er gewann 67 Pro­zent seiner Zwei­kämpfe, was für einen ­offen­siven Mit­tel­feld­spieler ein groß­ar­tiger Wert ist. Und obwohl er nur 1,72 Meter groß ist, ent­schied er alle drei seiner Luft­zwei­kämpfe für sich. In jenem Spiel schoss er sogar ein Tor und berei­tete eines vor. Aber mehr noch als diese Zahlen erzählt eine Szene im Mit­tel­feld den kroa­ti­schen Mit­tel­feld­spieler. Ein Zwei­kampf, Gewühl, Gesto­cher, der Ball landet bei Modric. Er hat eigent­lich keine Zeit, um die Situa­tion ­aus­rei­chend zu ana­ly­sieren. Aber: kein Stress. Ein Blick, ein Pass. Mit dem Außen­rist schlägt er den Ball über 40 Meter genau in den Lauf von Ante Rebic. Wer Fuß­ball liebt, muss Luka Modric lieben. So ein­fach ist das. Oder?

Nein, ganz und gar nicht. Im Sommer 2018 hassen ihn viele Fans, denn Modric hat Ver­bin­dungen zum ehe­ma­ligen Dinamo-Zagreb-Prä­si­denten Zdravko Mamic, der in Kroa­tien für alles steht, was im natio­nalen Fuß­ball falsch läuft. Es geht um Kor­rup­tion, Geld­wä­sche und Untreue. Mamic, der in erster Instanz zu sechs­ein­halb Jahren Haft ver­ur­teilt worden war, soll in den ver­gan­genen Jahren bei Spie­ler­trans­fers mehr als 15 Mil­lionen Euro unter­schlagen und rund 1,6 Mil­lionen Euro an Steuern hin­ter­zogen haben. Hat Modric mit­ver­dient? Ist er ein Raff­zahn wie Mamic? Vor der WM sollte er als Zeuge gegen den Mamic-Clan aus­sagen, aber vor Gericht ver­strickte er sich in wider­sprüch­liche Aus­sagen.