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Die Repor­tage erschien erst­mals in 11FREUNDE #197 im April 2018. Das Heft gibt es bei uns im Shop – genau wie das Abo mit allen aktu­ellen Aus­gaben.

Die letzte Bas­tion der Unschuld liegt in Dessau. Genauer in der Anhalt Arena“, einem Mul­ti­funk­ti­onsbau mit Well­blech­charme, wo jedes Jahr im Spät­winter der Allianz Cup“ aus­ge­tragen wird. Am Sams­tag­morgen spa­zieren Eltern mit ihren auf­ge­regten Kids an der Hand durch ein Indus­trie­ge­biet auf die Halle zu, in der schon Kir­mes­techno aus den Boxen dröhnt. Sonst spielt hier der Dessau-Ross­lauer HV in der zweiten Hand­ball­bun­des­liga, doch heute ist die Crème de la Crème des deut­schen Fuß­balls gekommen: Bayern, Dort­mund und neun wei­tere Erst­li­gisten, dazu Tot­tenham Hot­spur und der FC Chelsea aus der Pre­mier League – alle ver­treten durch ihre U11-Mann­schaften. 

Auf dem Spiel­feld wirken die Zehn- und Elf­jäh­rigen in den Tri­kots großer Ver­eine nicht nur wie Minia­tur­aus­gaben bekannter Pro­fi­ki­cker, son­dern werden auch so behan­delt. Kinder bitten sie ehr­furchts­voll darum, Auto­gramme auf Tri­kots zu krit­zeln und bestaunen anschlie­ßend die Unter­schriften von Jussef“, David“ und Lubo“. Ansonsten aber unter­scheidet sich die Fuß­ball­i­dylle nicht von all den anderen Hal­len­tur­nieren für Kinder und Jugend­liche überall in Deutsch­land. Auf den Rängen feuern Eltern wäh­rend des Spiels ihre Kinder an oder rei­chen in den Pausen ein­ge­tup­perte Fri­ka­dellen. Jugend­trainer geben dem Nach­wuchs letzte Anwei­sungen, halten die Kinder bei Laune oder trösten wei­nende Jungs nach Nie­der­lagen. In Dessau ist die Welt noch in Ord­nung. 

Und doch herrscht hier nur die Ruhe vor dem Sturm. Das sagen alle an diesem Wochen­ende: Trainer, Betreuer und Eltern.

Die Welt des Jugend­fuß­balls ist in Auf­ruhr. Nicht weil schlecht gear­beitet würde. Im Gegen­teil: Die deut­sche Nach­wuchs­ar­beit gilt welt­weit als vor­bild­lich. 366 DFB-Stütz­punkte, 54 Nach­wuchs­leis­tungs­zen­tren der Klubs, Hun­derte von Trai­nern, Tau­sende von Spie­lern. Spieler aus dem Jugend­fuß­ball kommen fast umweglos in der Bun­des­liga zum Ein­satz. In der Saison 2017/18 sind Jan-Fiete Arp beim Ham­burger SV, der Her­thaner Arne Maier oder Denis Geiger in Hof­fen­heim die gefei­erten Roo­kies. In den letzten zehn Jahren ent­fielen 25,9 Pro­zent der Spiel­mi­nuten auf Spieler, die auch noch in der U23 spielen konnten. Davon träumen andere Länder: In der Pre­mier League waren es nur 15,4 Pro­zent, in Ita­lien 16,3 und in Spa­nien 18,4. 

Der Markt ist völlig außer Rand und Band.“ 

Und doch reden alle von einer Krise und der dunklen Seite der Erfolgs­ge­schichte. Am deut­lichsten for­mu­liert es der, der schon am längsten dabei ist. Volker Kers­ting leitet seit 26 Jahren die Jugend­ab­tei­lung des 1. FSV Mainz 05. Natio­nal­spieler wie André Schürrle oder Erik Durm wurden dort aus­ge­bildet, Thomas Tuchel und Sandro Schwarz bekamen hier das Rüst­zeug für ihre Trai­ner­kar­rieren. Doch der­zeit ist Kers­ting wütend. Ich weiß nicht mehr, ob es noch um die Aus­bil­dung von Spie­lern geht oder nur noch ums Geschäft“, sagt er. Der Markt ist völlig außer Rand und Band.“ Er muss Eltern warnen, dass ihre Kinder via Face­book oder Insta­gram von Bera­tern bedrängt werden. Klubs jagen sich gegen­seitig Zwölf­jäh­rige ab. 15-Jäh­rige bekommen inzwi­schen fürs Kicken monat­lich mehr als ein Fach­ar­beiter und werden behan­delt wie Aktien, in die man inves­tiert. Wir erleben den Maxi­mal­ka­pi­ta­lismus des Jugend­fuß­balls“, sagt Kers­ting. 

Da ist zum Bei­spiel Thierno Ballo, der gerade seinen 16. Geburtstag gefeiert hat und von Vik­toria Köln zum FC Chelsea gewech­selt ist. Geboren wurde er in der Elfen­bein­küste. Sein Vater floh von dort nach Öster­reich und holte seine Frau und den vier Jahre alten Thierno nach. Dessen Talent ent­deckte auf einem Sport­platz in Linz der IT-Unter­nehmer und Jugend­trainer in der Kreis­klasse Peter Hue­merlehner.

Er brachte den Jungen erst zum Linzer ASK, vor fünf Jahren wech­selte der damals Elf­jäh­rige dann zu Bayer Lever­kusen. Inter­na­tio­nale Ver­eins­wechsel sind in diesem Alter nicht erlaubt, doch inzwi­schen war Hue­merlehner Ballos Vor­mund geworden und sie­delte angeb­lich aus beruf­li­chen Gründen ins Rhein­land um. Thiernos Mutter war auch dabei. Sie war als Haus­häl­terin beschäf­tigt, wir haben ihr Gele­gen­heit gegeben, etwas Geld zu ver­dienen“, sagt Hue­merlehner. 

Haus­verbot für den Berater

Über­ra­schen­der­weise mel­dete er den Jungen dann 2015 bei Bayer Lever­kusen ab. Heute hat er dort Haus­verbot. Statt­dessen steckte er Ballo in die Jugend des Regio­nal­li­gisten Vik­toria Köln, nachdem er ihn auch dem 1. FC Köln ange­boten hatte. Hue­merlehner wollte pro Saison sogar 50 000 Euro mit­bringen, bezahlen würde Chelsea. Dafür müsste der Klub nur ein­ver­standen sein, dass Ballo regel­mäßig zu Test­spielen seines zukünf­tigen Arbeit­ge­bers nach Eng­land reist. Der 1. FC Köln lehnte ab, Vik­toria nicht.