In Italien werden auch mittelmäßige Stürmer als Superstars gehandelt. Hauptsache, sie wissen sich zu inszenieren und schöne Frauen liegen ihnen zu Füßen.
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Marco Borriello ist seit 19 Jahren Profi. Seine Fußballkarriere begann in der Jugend des AC Mailand. Ein bulliger Mittelstürmer. Einer, der sich Respekt im Strafraum verschaffen kann. Brustannahme, eng am Gegner, Drehung, Torschuss. Doch für die ganz große Karriere hat es bei ihm nie gereicht. Borriello war oft verletzt und noch öfter wechselte er den Verein. Seit 2000 hat er für insgesamt 14 Klubs gespielt, er war zigmal ausgeliehen. Fast jede Saison lief der Neapolitaner woanders auf. Meistens für mittelmäßige Vereine in der Serie A, einmal kurz auch für West Ham. Seine beste Saison erlebte er 2007/08 beim CFC Genua, 19 Tore in einer Spielzeit. Sieben Mal spielte Borriello sogar für die Nationalelf, kein einziges Mal über die komplette Spielzeit, ein Länderspieltor gelang ihm nie. Gerade wechselte er nach einer erneut glücklosen Saison beim Serie-A-Aufsteiger SPAL Ferrara zum spanischen Drittligisten UD Ibiza. Borriello ist inzwischen 36 Jahre alt und dennoch einer der populärsten Stürmer Italiens.
Vom Bordstein zum Balkon
Mit seinen sportlichen Meriten hat das, wie man sich vorstellen kann, nur bedingt zu tun. Auch nicht mit seiner anrührenden Vergangenheit. Er wuchs in einem Scherbenviertel im Osten Neapels auf und musste als Elfjähriger miterleben, wie ein neapolitanischer Camorrista, ein Mitglied der Mafia, seinen Vater Vittorio ermordete. Wirklich berühmt, in ganz Italien berühmt, ist Marco Borriello, weil er in den Augen seiner Landsleute einfach verdammt gut aussieht.
Borriello ist ein „Bomber“. Er hat dichtes, schwarzes Haar, dunkle Augen, volle Lippen, eine römische Nase, und wenn er vor einer Standardsituation oder bei der Frage eines Journalisten die Stirn in Falten legt und schmunzelt, versprüht er diesen zart-schmalzigen, zurückhaltenden Macho-Charme. Nebenberuflich modelt er für die Unterwäschefirma Intimissimi. Auf Instagram joggt er am Strand, macht Selfies vor teuren Booten oder steht im Höschen am Fenster und denkt nach. Ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse, die seine Verhältnisse zu Frauen, die ähnlich oft wechseln wie seine sportlichen Arbeitgeber, begierig aufsaugt.
Ein neuer Typus
Seine berühmteste Beziehung war die zu Belen Rodriguez. Wer in Italien den Fernseher anschaltet, kann fast sicher sein, in eine Sendung mit der schönen Moderatorin zu geraten. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo ein Bild von ihr im Bikini erscheint. Die Südamerikanerin ist der feuchte Traum vieler italienischer Bomberini, der ambitionierten Nachwuchsstürmer. Es soll auch einen Porno mit ihr geben. Doch ein Bomber wie Borriello darf sich nicht blenden lassen. Irgendwann war auch diese Beziehung vorüber und es traten andere Models und Schauspielerinnen in sein Leben. Italienerinnen, Brasilianerinnen und Ukrainerinnen, fast immer die begehrtesten Frauen des Landes. Es gibt bei zahllosen Internetportalen – auch bei seriösen Medien – ellenlange Bildergalerien von Damen, mit denen er liiert war. Es ist, als verschmelze in Borriello die Lebenslust eines George Best mit Niklas Bendtners Verrücktheit und einer Prise von Zlatan Ibrahimovics Überheblichkeit. So ist es ihm gelungen, im digitalen Zeitalter zum Sinnbild des Bombers zu werden – und einen ganz neuen Fußballertypus zu definieren, der zunehmend Nachahmer hervorbringt.
So wie in Deutschland in grauer Vorzeit Gerd Müller zum „Bomber der Nation“ wurde, bezeichneten ab den späten Sechzigern auch die Italiener ihre kaltschnäuzigen Neuner mit diesem Begriff. Der Sportjournalist Gianni Brera war der Erste, der das aus dem Deutschen entlehnte „Bomber“ prägte, als er Angreifer wie Gunnar Nordahl oder Luigi Riva, klassische Tormaschinen, so bezeichnete. Typen wie Roberto Bettega oder „Spillo“ Altobelli wurden anders genannt, denn ihre Tore waren raffinierter und ihr Stil erhabener. Denn ein Bomber macht immer kurzen Prozess. Wenn er den Ball bekommt, tut er, was ein Bomber tun muss. Die kriegerische, urdeutsche Konnotation passte so gut zu diesem Typus, dass der Begriff bis heute zum Inventar italienischer Sportberichterstattung gehört.