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Es ist spät am Abend, als Brei­ten­reiter beide Arme in die Höhe reckt und die linke Faust in Rich­tung der Fans ballt. Aus­druck der Freude über den gerade ein­ge­fah­renen Heim­sieg und die vor­über­ge­hende Tabel­len­füh­rung seiner Mann­schaft. Doch es gibt noch etwas, was, abge­sehen von der sport­li­chen Leis­tung der 96er, auf den ersten Blick erstaunen mag: die Wind­rose. Sie ist Teil des Badges, das die Klei­dungs­stücke des ita­lie­ni­schen Desi­gner­la­bels Stone Island ziert. Und so sitzt sie auch auf dem linken Ärmel des Pull­overs, den der Coach an jenem Abend trägt.

Es ist eine junge Ent­wick­lung, dass Übungs­leiter am Spiel­feld­rand Stücke von Stone Island tragen. Wurde die Geschichte des Labels doch seit ihrer Ent­ste­hung in den Acht­zi­ger­jahren vor­der­gründig von der bri­ti­schen, oft­mals gewalt­be­reiten, Fan­kultur geprägt. Nun ist Brei­ten­reiter längst nicht der erste Trainer, der bei der Aus­wahl seiner Abend­gar­de­robe auf die Marke zurück­greift. Die Herren Jürgen Klopp, Pep Guar­diola und Luis Enrique seien an dieser Stelle bei­spiel­haft genannt. Auch sie haben sich in der Ver­gan­gen­heit mehr­fach dem Label mit dem schlichten wie ein­präg­samen Logo bedient. Wie kommt’s?

Vom Lauf­steg auf die Tri­büne

Im Jahr 1982 gründet der ita­lie­ni­sche Mode­schöpfer Mas­simo Osti das Label. Sei­ner­zeit konnte er zwar nicht ahnen, welch großen Ein­fluss Fuß­ball­fans (und ‑trainer) aus aller Welt in den fol­genden Jahren auf die Ver­kaufs­zahlen seiner Marke haben würden. Klar ist aber: er war jedem ein­zelnen von ihnen später dankbar.

Anfang der Acht­zi­ger­jahre sind es näm­lich bri­ti­sche Hoo­li­gans, die beginnen, auf dieses und andere Label, wie Bur­berry oder Ellesse, zurück­zu­greifen. Anders als vor­an­ge­gan­gene Gene­ra­tionen von Hoo­li­gans lehnen sie das Tragen von Tri­kots und anderen Fan­ar­ti­keln ab; und bevor­zugen Mode­la­bels wie Stone Island. Die Über­le­gung dahinter ist ein­fach. Sie wollen ver­meiden, von den Ord­nungs­hü­tern auf die Schnelle als gewalt­be­reite Fuß­ball­fans ent­larvt zu werden. Außerdem kre­ieren sie somit ihre ganz eigene Uni­form und ein damit ein­her­ge­hendes Gefühl der Zusam­men­ge­hö­rig­keit. Der gewünschte Effekt: es ist für sie ein Leichtes, Gleich­ge­sinnte zu iden­ti­fi­zieren – gleich­zeitig fallen sie in der Öffent­lich­keit weniger auf als zuvor. Zudem spricht aus Sicht der Hoo­li­gans die Robust­heit der Klei­dungs­stücke für Stone Island. Denn viele Modelle, vor allem Mäntel und Jacken, ver­fügen über Stoffe, denen selbst Glas­scherben nichts anhaben können – im Kampf gegen ver­fein­dete Grup­pie­rungen durchaus von Vor­teil.

Inspi­rieren lassen sich die Hoo­li­gans von der Paninaro-Bewe­gung“, die zur selben Zeit in Ita­lien ent­steht. Die Mit­glieder dieser Sub­kultur, auch Pani­nari“ genannt, gelten als unpo­li­tisch, und es ist nicht über­lie­fert, dass sie beson­ders fuß­ball­be­geis­tert oder gewalt­a­ffin waren. Umso mehr inter­es­sieren sie sich für Mode. Sie ori­en­tieren sich an Trends aus den USA, tragen aber auch Klei­dung aus dem eigenen Land – nicht zuletzt: Pro­dukte Mas­simo Ostis. Genau daran finden die bri­ti­schen Fuß­ball­an­hänger Gefallen. Wann immer sie nun ihre Teams zu Spielen nach Ita­lien begleiten, bringen sie Klei­dungs­stücke ins Ver­ei­nigte König­reich mit, um sich auf den hei­mi­schen Tri­bünen von anderen Sta­di­on­be­su­chern abzu­grenzen.

Geburts­stunde der Ter­race­wear“

Diese Ent­wick­lung hat zur Folge, dass der Begriff Ter­race­wear“ (Brit.: ter­race = Tri­büne) geprägt wird. Hoo­li­gans in Desi­gner­mode? Ab sofort keine Sel­ten­heit mehr. Fortan werden sie auch als Casuals“ bezeichnet. Es dauert nicht lange, bis der Klei­dungs­stil gar auf den Lein­wänden des Landes zu sehen ist: denn selbst in bri­ti­schen Ver­fil­mungen wie The Firm“ (1988) oder Green Street Hoo­li­gans“ (2005) treten die Akteure in Beklei­dung von Bur­berry, Ellesse oder Stone Island auf. Fast unaus­weich­lich führt dies dazu, dass Ter­race­wear“, gerade unter jungen Leuten, immer mehr an Popu­la­rität gewinnt.

Längst ist Stone Island auch hier­zu­lande in den Fan­kurven ange­kommen. Der Zuord­nung zu einer bestimmten Fan­grup­pie­rung, geschweige denn ‑gesin­nung, dient die Marke jedoch nicht mehr. Sie hat die breite Masse erreicht – auch jen­seits der Fuß­ball­sta­dien. Und vor diesem Hin­ter­grund ist es nicht weiter erstaun­lich, dass inzwi­schen selbst die Trainer beden­kenlos zum ita­lie­ni­schen Textil greifen.

Den­noch wird das Label auch in Zukunft fester Bestand­teil der Fan­kultur bleiben – sei es allein aus Tra­di­tion. Und genauso wenig wie die Fans auf Stone Island ver­zichten werden, wird es das letzte Mal gewesen sein, dass ein Trainer am Spiel­feld­rand, die Wind­rose tra­gend, Grund zum Jubeln hat. In Liver­pool, in Man­chester – oder auch in Han­nover.