Es ist erst die sechste Spiel­mi­nute, doch das Team Orange“ liegt bereits mit 0:3 hinten, die Spieler schleppen sich über den Platz. Dann, aus dem Nichts, über­windet Recep Tayyip Erdoğan mit einem satten Außen­rist­schuss Natio­nal­tor­hüter Volkan Bab­acan und leitet damit die größte Auf­hol­jagd ein, die es wohl in der tür­ki­schen Geschichte der Sta­dion-Eröff­nungs­spiele gegeben hat.

Das Team des dama­ligen Minis­ter­prä­si­denten wird an diesem 26. Juli 2014 mit 9:4 gewinnen, er wei­tere zwei Treffer erzielen, ohne dabei auf große Gegen­wehr zu stoßen. Den Zuschauern ist es egal, jede Ball­be­rüh­rung wird fre­ne­tisch beju­belt, und auch die Daheim­ge­blie­benen können das Match samt aus­ufernder Vor­be­richt­erstat­tung live im Fern­sehen ver­folgen.


 
Etwa ein Jahr später herrscht ange­regte Stim­mung vor dem Fatih Terim Sta­dion, das der nun Prä­si­dent gewor­dene Erdoğan als ein wei­teres Schmuck­stück für den Stadt­teil Başakşehir“ eröffnet hatte. Väter mit Söhnen an der Hand strömen zum Beton­ko­loss, Men­schen­trauben bilden sich vor den Ein­gängen, Männer ver­teilen Ein­tritts­karten für das Spiel, als wären es Flyer für einen Zirkus in der Stadt.

Europa League gegen Alk­maar

Die Ver­eins­füh­rung hat ange­ordnet, zumin­dest die eigene Fan­kurve zu füllen. Wohl­ge­merkt han­delt es sich nicht um ein Freund­schafts­spiel, son­dern es geht um den Einzug in die Grup­pen­phase der Europa League zwi­schen dem Viert­plat­zierten der SüperLig, Medipol Başakşehir FK, und dem nie­der­län­di­schen Ver­treter AZ Alk­maar.

Die Stim­mung im Block mit über­wie­gend min­der­jäh­rigen Zuschauern ist aus­ge­lassen; viele Kinder tragen Tri­kots von Gala­ta­saray, Beşiktaş oder Fener­bahçe und jubeln doch gemeinsam, als Başakşehir in der 45. Minute den 1:1‑Ausgleich erzielt.

In der Halb­zeit­pause werden mit einer T‑Shirt-Kanone Schals und Tri­kots mit dem Wappen der Heim­mann­schaft ins Publikum geschossen. Ein ver­geb­li­cher Stim­mungs­an­heizer: Die Qua­li­fi­ka­tion für die Grup­pen­phase wird an diesem Abend ver­passt. Dafür stimmen aber beim nächsten Mal viel­leicht die Farben der Tri­kots.

Erdoğan schart seine Vasallen gerne um sich
 
2014 wurde aus dem von der Istan­buler Stadt­ver­wal­tung betrie­benen Istanbul Büyü­kşehir Bel­e­di­ye­spor der Verein Başakşehir FK. Ein neuer Fuß­ball­klub mit neuen Struk­turen und einer neuen Arena, die aus guten Gründen vom heu­tigen Prä­si­dent der Türkei Recep Tayyip Erdoğan höchst­per­sön­lich ein­ge­weiht wurde: Den Sta­di­onbau hatte die Kalyon Grup Hol­ding aus­ge­führt, die unter anderem an den umstrit­tenen Plänen zur Umge­stal­tung des Taksim-Platzes betei­ligt war und gerade mit dem dritten Flug­hafen für Istanbul ein wei­teres Pres­ti­ge­pro­jekt der Regie­rung rea­li­siert hatte.

Auch das Spon­so­ring bestreiten Firmen, die aus dem Dunst­kreis des Prä­si­denten stammen. Zum Bei­spiel Makro Inşaat, ein Bau­un­ter­nehmen, das das neo­li­be­rale Zukunfts­ver­spre­chen der Regie­rungs­partei AK Parti (AKP) mit dem Wer­be­spruch Bir Ev, Bir aile“, zu deutsch Eine Familie, ein Haus“, pro­kla­miert. Oder Medipol, eine Kli­nik­kette und neu­er­dings Namens­geber der Mann­schaft, die dem angeb­li­chen Leib­arzt des Erdoğan-Clans Dr. Fah­rettin Koca gehört. Der Sultan schart seine Vasallen gerne um sich.