Nach Verbandspräsident Michailov ist mit Krassimir Balakov nun auch der Nationaltrainer Bulgariens zurückgetreten. Nicht die einzigen Symptome für den katastrophalen Zustand des Fußballs im Land des WM-Vierten von 1994.
Als Spieler war Hristo Stoitschkov ein harter Hund. Die Legende von ZSKA Sofia und dem FC Barcelona trat schon auch mal dem Schiedsrichter auf den Fuß, wenn er mit einer Entscheidung nicht einverstanden war. In der Öffentlichkeit oder gar vor laufender TV-Kamera in Tränen auszubrechen, ist eigentlich nicht seine Art. Als aber am vergangenen Donnerstag in einer Talkshow im amerikanischen Sportkanal TUDN das EM-Qualifikationspiel in Sofia gegen England zur Sprache kam, verlor „Kamata“ (der Dolch) die Fassung. Gequält sank er vornüber und schluchzte.
Mit 0:6 hatten die bulgarischen „Löwen“ die höchste Heimniederlage ihrer Geschichte eingefahren. Von den Rängen verhöhnten einige Dutzend Hooligans die dunkelhäutigen englischen Nationalspieler mit Affenlauten und zeigten den Hitlergruß. Stoitschkovs Tränen waren die erschütterndste Reaktion auf die sportlich und menschlich unwürdigen Vorgänge im Sofioter Nationalstadion Vasil Levski. Und auf den erbärmlichen Zustand des bulgarischen Fußballs.
Bei der Weltmeisterschaft 1994 in den USA eliminierten Stoitschkov & Co. die deutsche Nationalmannschaft im Viertelfinale mit 2:1 und errangen als „Vierte in der Welt“ den historisch größten Erfolg einer bulgarischen Nationalmannschaft. Nach Karriereende übereigneten die sportlichen Verdienste der Goldener Generation wie selbstverständlich die Machtpositionen in Bulgariens Fußball. Seit dem Jahr 2005 amtierte der Torwart und Kapitän der 1994er-Nationalmannschaft Borislav (Bobi) Michailov als Präsident des Bulgarischen Fußballverbands (BFS). HSV-Profi Jordan Letschkov, der bei der WM in den USA Deutschland aus dem Turnier köpfte, fungierte als sein Stellvertreter.
„Wir haben keine Klasse“
Der Ballon d´Or-Preisträger von 1994 Hristo Stoichkov und der beim FC Valencia und Atletico Madrid zu Ruhm gekommene Ljubo Penev trainierten ähnlich glück- und erfolglos die bulgarische Nationalmannschaft wie später Lothar Matthäus. Nach einem halben Jahr mit fünf Niederlagen und einem 0:0‑Unentschieden gegen Montenegro reiht sich nun Krasimir Balakov ein in diese Genealogie des Scheiterns. Als Teil des magischen Dreiecks mit Fredi Bobic und Giovane Elber hat sich Balakov beim VFB Stuttgart unsterblich gemacht.
„Wir haben keine Klasse. Elementar. Ich verstehe die Leute, die sich Tickets gekauft haben und etwas anderes wollten. Aber gegen dieses hochqualitative England hatten wir keine Chance“, sagte Balakov unmittelbar nach Spielende und sah für seinen Rücktritt keinen Anlass. Von rassistischen Beleidigungen von der Tribüne wollte er nichts mitbekommen haben, obwohl das Spiel ihretwegen zwei Mal unterbrochen worden war. Am vergangenen Freitag hat Krasimir Balakov nun doch seinen Hut genommen in der Gefolgschaft seiner einstigen Nationalmannschaftskameraden BFS-Präsident Bobi Michailov und Vize Jordan Letschkov.
Das Tabula Rasa im bulgarischen Fußball war überfällig, wie es aber zustande kam, ist skandalös und ein bedenkliches Zeichen für die bulgarische Demokratie. Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov höchstpersönlich forderte am Dienstag Bobi Michailovs Rücktritt von der BFS-Spitze. Sportminister Krasi Kralev beeilte sich geflissentlich zu präzisieren, dies stelle in keiner Weise eine Einmischung in innere Verbandsgelegenheiten dar.
Natürlich könnte Michailov auf seinem Posten bleiben, die bulgarische Regierung werde dann aber nicht mehr mit dem Fußballverband kooperieren und ihm auch kein Geld mehr geben. Zunächst ignorierte der BFS-Präsident das ungeheuerliche Ultimatum des Regierungschefs. Nachdem aber Polizeibeamte die Verbandszentrale durchsuchten, um – wie es hieß – Indizien für verschobene Spiele und andere korrupte Praktiken zu suchen, erklärte sich Bobi Michailov zum Rückzug bereit.
Sportlich blieb die Ära Bobi Michailov völlig ohne Erfolge. Seit Bulgarien nach einem 0:5 gegen Schweden mit null Punkten von der Europameisterschaft 2004 in Portugal abreiste, hat sich die bulgarische Nationalmannschaft für kein internationales Turnier mehr qualifiziert. „Dass die Resultate schwach sind, dafür habe ich überhaupt keine Schuld“, beteuerte Michailov bei seiner letzten Pressekonferenz als BFC-Präsident, „die Spieler haben alle Voraussetzungen“. Er zog eine zumindest finanziell positive Bilanz seiner Amtszeit, habe er das Budget des Fußballverbandes doch von 5 Mio BGN (ca. 2,5 Mio €) auf 18 Mio BGN mehr als verdreifacht.
Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen ZSKA- und Levski-Fans am Rande des Ehernen Derbys prägen seit langem Bulgariens Fußball ebenso wie rassistische Beleidigungen gegnerischer Nationalspieler bei Länderspielen. Wie am vergangenen Montag gehen Provokationen und Störungen stets von einer kleinen gewaltbereiten Minderheit aus. Mit dem ernsthaften Problem des Hooliganismus hat sich BFS-Präsident Bobi Michailov aber kaum erkennbar beschäftigt.
„Hooligans gibt es auch in England“
Nachdem der englische Coach Gareth Southgate vor dem Spiel Bulgarien – England gedroht hatte, sein Team werde das Spiel abbrechen, wenn es zu rassistischen Beleidigungen komme, verwahrte sich Michailov in Briefen an seinen Amtskollegen von der englischen Football Association Greg Clarke und an die UEFA empört dagegen. Bulgaren sei kein rassistische Volk und Hooligans gebe es auch in England, lautete seine Argumentation. Wie er fühlen sich nun viele Bulgaren durch die englische Medienberichterstattung zu Unrecht zu Rassisten erklärt.
Die hartnäckige Misere des bulgarischen Fußballs manifestiert sich nicht nur im schwachen Spiel der Nationalmannschaft, sondern prägt auch die Spieltage der A‑Grupa, der höchsten nationalen Liga. Seit zehn Jahren haben die erbittert rivalisierenden Serienmeister ZSKA Sofia und Levski Sofia keinen Meistertitel mehr errungen. Stattdessen dominiert seit acht Jahren der erst im Jahr 2001 gegründete, von dem Unternehmer Kiril Domustchiev finanzierte Retortenverein PFK Ludogorets Rasgrad. In seinen Reihen laufen aber nur wenige bulgarische Fußballspieler auf.
Auch die Sofioter Granden ZSKA und Levski präferierten in den vergangenen Jahren die Strategie, sich Saison für Saison in Südamerika und Afrika Spieler einzukaufen. An den Provisionen für die Transfers sei gut zu verdienen, gilt dafür als Grund. Dies geht aber auf Kosten der Spielpraxis des bulgarischen Nachwuchses und wirkt sich negativ aus auf das Niveau der Nationalmannschaft. Für das Verhältnis der Fans zu ihren Klubs ist diese Entwicklung ebenfalls fatal. Der Traditionsverein ZSKA Sofia trägt seine Heimpiele im Stadion der Armee inzwischen vor etwas über zweitausend Zuschauern aus.