Bis zum heutigen Montag haben die Profivereine Zeit, zu einem von der DFL erarbeitetem Sicherheitskonzept Stellung zu nehmen. Union Berlin, Hertha BSC und St. Pauli haben das Konzept bereits abgelehnt. Wir dokumentieren die wichtigsten Aussagen.
Wir dokumentieren in der Folge Auszüge aus dem Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“ sowie der Stellungnahmen von Union Berlin und der Fanhilfe Hannover. Die ausführlichen Dokumente dazu finden sich hier und hier. Weitere Hintergründe und Statements findet ihr in der Reportage „Der tiefe Graben“ in der kommenden 11FREUNDE-Ausgabe (ab Donnerstag am Kiosk).
1. Allgemein: Das Sicherheitskonzept
DFL: Optimierungen vornehmen
„Beim Blick auf die Veranstaltungslage in den höchsten deutschen Spielklassen ist festzustellen, dass Infrastruktur und Spielorganisation im Zusammenspiel aller Sicherheitsträger sowie der Zuschauerservice bereits heute auf höchstem Niveau ist und Probleme lokal gelöst werden.
Vorfälle der Vergangenheit haben jedoch gezeigt, dass auch hier noch Optimierungen vorgenommen werden können und müssen. Ziel ist es, das Stadionerlebnis sowohl in der subjektiven Wahrnehmung als auch in der objektiven Beurteilung weiterhin sicher zu gestalten.“
(Grundsätzliche Ausrichtung, S. 5)
Fanhilfe Hannover: Ohne Beteiligung der Fans
„Diese ›subjektive Wahrnehmung‹ ist wohl in diesem Fall die mediale Berichterstattung zu bestimmten Spielen, die als anekdotische Einzelfälle herangezogen werden, sowie darauf folgende Reaktionen führender Politiker und Vertreter von Sicherheitsbehörden. Dahingehend ist das Strategiepapier als äußerst gefährlich einzustufen, da es ohne Beteiligung und Zustimmung der Fans verabschiedet wird. Dies wird eine Radikalisierung einzelner Fans zur Folge haben, die trotz oder gerade wegen der neuen Maßnahmen unbekannte Formen annehmen wird.“
(Stellungnahme, Seite 31)
Union: „Bestrafungskeule“
„Tatsächlich aber behindert die Konzentration auf neue und verschärfte Sanktionsmechanismen den Dialog mit den Fans. Denn die hier vorgesehene ›Bestrafungskeule‹, mit dem umfassenden, entindividualisierten und vom Gesetz losgelösten Sanktionskatalog aus ›Sicheres Stadionerlebnis‹, wird gerade von den aktiven Fanszenen, ausdrücklich nicht nur Ultras, also von Fangruppen, auf deren konstruktive Mitarbeit alle Beteiligten angewiesen sind, in der Außendarstellung als eine Art Kriegserklärung verstanden und durch markige Berichterstattung ebenso unterfüttert.
Als unmittelbar Beteiligter kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Art der Diskussion und ihr oftmals nur teilweise belegbarer Inhalt nur als Feigenblatt genutzt werden sollen, um die, ökonomisch zwar nachvollziehbare, aber doch jedenfalls kritisch zu hinterfragende Kommerzialisierung des ›Premiumprodukts Bundesliga-Fußball‹ voranzutreiben.“
(Positionspapier, S.3)
2. Beschlusskompetenz der DFL
DFL: Bestehende Vorschriften ergänzen
„Eine Einbindung des Stadionhandbuchs in das Ligastatut dahingehend, dass das Stadionhandbuch selbst die statuarische Rechtsgrundlage – und nicht nur die Zusammenfassung anderer Rechtsgrundlagen – darstellt, würde dem Ligaverband ermöglichen, in eigener Beschlusskompetenz (spezifische) – über die weiterhin zu beachtenden Mindestvorgaben der DFB-SicherheitsRL hinausgehende – Regularien für die Bundesliga und 2. Bundesliga aufzunehmen, bestehende Vorschriften zu ergänzen und zu konkretisieren, ohne dass dies von einer Beschlussfassung durch den DFB abhinge und ohne Auswirkungen für die Klubs der 3. und 4. Liga.“
(Vorschläge/beabsichtigte Maßnahmen in der Zuständigkeit des LV, S. 8)
Union: Private Strafjustiz
„Sanktionsmechanismen aber können nur an den Vertrag zwischen dem Stadionbesucher und dem Veranstalter – dem Verein – anknüpfen oder an das staatliche Gewaltmonopol, d.h. an die allgemeingültigen Mittel des Strafrechts. Eine den staatlichen Strafanspruch ergänzende oder sogar ersetzende private Strafjustiz oder ihr entsprechende Sanktionsmechanismen kann und darf es nicht geben.“
(Positionspapier, S. 5)
3. Personen-Körperkontrollen
DFL: Verbesserung der infrastrukturellen Möglichkeiten
„Wenn andere Maßnahmen nicht zu der Lösung der Problematik führen, sollen weitere Handlungsmöglichkeiten wie die Verbesserung der infrastrukturellen Möglichkeiten für eine angemessene Personen-Körperkontrolle in den notwendigen Stadionsektoren (z.B. Errichtung von Containern statt wie z.T. bisher Zelte) zur Verfügung stehen, um etwaige Vollkontrollen zügig und ohne unverhältnismäßigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte durchzuführen.“
(Konkretisierungen der DFB-Richtlinien, S. 10)
Union: Entwürdigend und vorverurteilend
„Ob beispielsweise die Verfasser des Konzeptpapiers „Sicheres Stadionerlebnis“ damit einverstanden wären, sich einer „Vollkontrolle“ durch privates Sicherheitspersonal zu unterziehen oder im Dezember auf einer nassen Matte die Schuhe auszuziehen, nur weil sie als ebenso unbescholtene Fans wie 99+ % der Fußballfans ihrer Vereine für das vermeintliche Gewaltpotenzial des Fußballs in „Sippenhaft“ genommen werden, erscheint sehr fraglich. Ebenso fraglich erscheint, ob die vorgeschlagene Veränderung in Form der Angleichung der Umgebung einer solchen entwürdigenden, vorverurteilenden und insgesamt ausgesprochen dubiosen Prozedur tatsächlich eine maßgebliche Verbesserung darstellt und den Kern des Problems trifft.“
(Positionspapier, S. 6)
Hannover: Verletzung der Menschenwürde
„Nacktkontrollen stellen einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre des Menschen dar. Selbst der Polizei ist es nur unter strengen Auflagen gestattet, diese durchzuführen. Von privaten, vermutlich unterqualifizierten Ordnungsdiensten, durchgeführte Nacktkontrollen, sind in keinster Form akzeptabel und eine Verletzung der Menschenwürde.“
Stellungnahme, S. 32
4. Verbote
DFL: Selbstbindung der Klubs
„Sinnvoll und erforderlich ist hier eine ›Selbstbindung‹ der Klubs, so z.B. keine Eintrittskarten mehr an Fanklubs zu vergeben, welche nicht bereit sind, eine Fanvereinbarung mit den genannten Mindestinhalten (Gewaltfreiheit, Anerkennung Stadionordnung etc.) abzuschließen, oder welche diese Mindestinhalte nach Abschluss der Fanvereinbarung nicht beachten; oder z.B. den Fanklubs das Mitführen von ›Blockfahnen‹ und Bannern zu verbieten, wenn diese zur Verschleierung der Täterschaft bei Einsatz von Pyrotechnik bzw. überhaupt zur Ermöglichung von Pyrotechnik missbraucht werden.“
(Statuarische Verankerung von Mindestvorgaben zwischen Klubs und Fans, S. 14)
Hannover: In höchstem Maße gefährlich
„Insbesondere der Versuch, Besuchergruppen für das Fehlverhalten Einzelner verantwortlich zu machen, ist inakzeptabel und in höchstem Maße gefährlich. Weiterhin ist nur von Konsequenzen für Fans die Rede, wenn diese Vereinbarungen nicht eingehalten werden.“
(Stellungnahme, S. 32)
5. Die Sicherheitskonferenz
DFL: Berücksichtigung bei Nichteinhaltung
„Durchführung von ›Personen-Körperkontrollen‹ beim Eingang zu bestimmten Bereichen, z.B. bei Pyrotechnik- Vorfällen in der Vergangenheit in diesen Stadion-Bereichen und ggf. bei Spielen mit erhöhtem Risiko.
Diese Maßnahmen folgen z.T. ebenfalls aus der im Verhaltenskodex vom 17.7.2012 enthaltenen Verpflichtung, Verstöße konsequent zu sanktionieren. Sollte ein Klub derartige Maßnahmen nicht für erforderlich halten oder entsprechende Auflagen nicht umsetzen, so kann dies bei Vorkommnissen bei der Strafzumessung durch das Sportgericht berücksichtigt werden und ggf. auch im Rahmen einer sportgerichtlichen Auflage/Weisung angeordnet werden.“
(Vorschläge/beabsichtigte Maßnahmen in der Zuständigkeit des LV, S. 15)
Union: Züge einer Demütigung
„Ein wichtiger Punkt im Positionspapier ›Sicheres Stadionerlebnis‹ ist die Erarbeitung eines ›freiwilligen‹ Kodex mit verbindlichem (!) Inhalt bei gleichzeitiger Sanktionierung für den Fall der Verweigerung der Unterschrift oder der Missachtung einer solchen ›Vereinbarung‹.
Analog zur Sicherheitskonferenz vom 17. Juli 2012 mutet dieses Vorgehen problematisch an und wird von vielen, insbesondere den aktiven Fangruppierungen als Erpressung verstanden.“
„Der 1. FC Union Berlin ist der Sicherheitskonferenz vom 17. Juli 2012 auch nicht etwa oder zumindest nicht nur wegen des problematischen Inhalts des damals zu unterschreibenden Kodex ferngeblieben, sondern wegen des Umgangs von DFB/DFL mit „ihren“ Vereinen, die sich am 16./17. Juli in der Aufforderung zur Unterzeichnung ohne Möglichkeit einer echten, ergebnisoffenen Diskussion zeigte. Diese starke Züge von Demütigung enthaltende Herangehensweise ist nicht die richtige. Dass DFB/DFL ihre Macht derart ausspielen, führt derzeit auf eine beunruhigende Eskalation zu. Hier ist dringend ein Umdenken angebracht und deshalb ist auch bezüglich des geforderten Kodex – ausdrücklich: unabhängig von dessen Inhalt! – das Konzeptpapier abzulehnen.“
(Positionspapier, S. 7 und 8)
6. Die Weitergabe von Daten
DFL: Identitäten mitteilen
„Mögliche Forderungen an den Gesetzgeber:
Anpassung des Sprengstoffgesetzes im Hinblick auf Pyrotechnik
Polizei & Justiz (StA und Gerichte)
- mehr Transparenz: Auskünfte über Stand von polizeilichen Ermittlungen gegen Tatverdächtige
- Abschreckung durch sofortige Ermittlung von Tatverdächtigen
- konsequente Durchsetzung des Gewaltmonopols des Staates, Beachtung des Legalitätsprinzips
- konsequente und schnelle Durchführung von Ermittlungs- und Strafverfahren
- Aktualisierung / Überprüfung der Einträge der Datei ›Gewalttäter Sport‹
- Mitteilung von Identitätsfeststellungen durch die Polizei
- Vermehrte Anwendung beschleunigter Verfahren“
(Forderungen an Dritte, S. 32)
Hannover: Absurd und anmaßend
„Auch wenn dieser Absatz in seiner Formulierung vage bleibt, so ist es überaus erstaunlich, dass diese Forderung überhaupt so formuliert wird. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Forderung auf eine Liberalisierung oder Anpassung des Sprengstoffgesetzes an die Erfordernisse eines möglicherweise legalen Abbrennens von Pyrotechnik im Stadion abzielt. Dies ist insofern erstaunlich, da der DFB mit Verweis auf geltende Gesetze eine weitere Debatte zu diesem Thema ablehnte. Forderungen an den Gesetzgeber hätten auch in der damaligen Situation gestellt werden können und hätten möglicherweise zu einer Entspannung der jetzigen Situation beigetragen.“
(Stellungnahme, S. 33)
„Die Forderungen an die Justiz sind absurd und anmaßend, da sie die Unabhängigkeit der Justiz berühren. Neben massiven datenschutzrechtlichen haben wir auch grundsätzliche Bedenken gegenüber den aufgestellten Forderungen.
Es ist nicht nachzuvollziehen, wieso ein privatrechtlicher Verband Informationen aus laufenden Ermittlungsverfahren erhalten sollte. Hierzu wird leider keine nachvollziehbare Begründung geliefert. Auch die geforderte Mitteilung von Identitätsfeststellungen ist äußerst bedenklich, fraglich ist auf welcher Rechtsgrundlage dies geschehen soll.“
(Stellungnahme, S. 34)
Union: Extrem kritisch zu sehen
„Die Rechtsauslegung und Strafverfolgung im Umfeld von Fußballspielen ist schon jetzt ungleich härter als außerhalb. Nirgendwo im Alltag würde ernsthaft das Kleben eines Stickers oder das Umkippen einer Mülltonne21 als viel mehr als eine Ordnungswidrigkeit mit folgender Geldbuße geahndet werden. Im Fußballkontext werden die gleichen Vergehen nachweislich sofort zu Sachbeschädigung oder Landfriedensbruch – mit mehrjährigem Stadionverbot und einem lebenslangem Eintrag in die Datei Gewalttäter Sport und fallweise weiteren freiheitseinschränkenden Folgen.
… Ebenso ist die Art der Datenerfassung und ‑weitergabe im Fußballkontext, nicht nur durch DFB/DFL, sondern vor allem auch durch Polizei und Staatsanwaltschaft an die privaten (!) Vereine und Verbände, extrem kritisch zu sehen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Datenschutzes und des Schutzes der Persönlichkeitsrechte.“
(Positionspapier, S. 5)
7. Entzug der Privilegien
DFL: Fanvereinbarung
„In Fanvereinbarung soll zudem geregelt sein, dass etwaige vorhandene Fan-Privilegien nicht länger gewährt werden, sollten Inhalte der Fanvereinbarung nicht eingehalten werden.“
(Statuarische Verankerung von Mindestvorgaben einer Vereinbarung zwischen Klubs und Fans, S. 15)
Union: Reglementierung fraglich
„In dem Zuge appellieren wir zu überdenken, ob Zaunfahnen, Banner und vor allem Stehplätze tatsächlich verhandelbare Privilegien sind, oder nicht elementare Bestandteile des Kulturguts Fußball, die bereits vor Gründung der DFL existierten, und deren Reglementierung der DFL trotz Lizenzgeberschaft fraglich zusteht.“
(Positionspapier, S. 8)