Warum Sandro Wagner zur WM hätte fahren sollen
Kein Happy End
23 Spieler darf Joachim Löw mit zur Weltmeisterschaft nehmen, Sandro Wagner gehört nicht dazu. Das ist nicht nur für ihn traurig, sondern auch für jeden Fan der deutschen Nationalmannschaft.
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Da stand er da im Dezember 2016. Sandro Wagner, 1,94 Meter groß, plus Stollen unter den Schuhen, kerzengerade vor den Journalisten. Er hatte gerade zwei Tore gegen Köln geschossen und lieferte die Überschrift gleich mit: »Ich bin in meinen Augen seit einiger Zeit mit Abstand der beste deutsche Stürmer.«
Was für eine Aussage. Was für ein Lautsprecher. Was für eine Arroganz. Oder doch nicht? Denn Sandro Wagner steht zu seinem Wort. Auf die Frage einer Printjournalistin, ob Fußballprofis zu viel verdienen würde, antwortete er etwa: »Nein, angemessen oder teilweise zu wenig.« Auch nach Abraten des Pressesprechers ließ Wagner den Satz bei der nachfolgenden Autorisierung stehen.
Kein besserer Stürmer
Bundestrainer Joachim Löw wird ihn, den aus Wagners Sicht besten Stürmer Deutschlands, nicht mit zur WM nehmen. Stattdessen darf Nils Petersen noch auf Einsätze hoffen. Auch weil Löw der Ansicht ist, dass Petersen »an seinen Aufgaben wachsen wird«. Was sinnlos scheint, wird Petersen doch bis zur WM nicht mehr die Höhe des längst ausgewachsenen Wagners erreichen können.
Vor drei Jahren stand der noch auf einem leeren Trainingsplatz in Berlin. Trainer Pal Dardai hatte den U21-Europameister von 2009, der im Finale zwei Tore geschossen hatte und seitdem als großes Versprechen galt, degradiert. Darmstadt 98 schlug zu, innerhalb weniger Monate meldete sich Sandro Wagner zurück. Nach nur einer Saison ging es für ihn mit mittlerweile 28 Jahren zur TSG Hoffenheim. Die Nationalelf spielte da gerade eine Europameisterschaft und Wagner war kaum ein Thema für den Kader. Ehe er im Dezember 2016 sagte, was er dachte. Niemand in Deutschland sei ein besserer Stürmer als er. Punkt.
»Wer macht es dann?«
Eine Aussage, die Wagner nie zurückzog, sondern bekräftigte. Zuletzt im Winter, als er gerade zurück zum FC Bayern München gewechselt war. Wagner sagt, was er denkt, und steht dazu. Man kommt nicht umhin, das sympathisch zu finden. Denn seine Sätze sind nicht arrogant, nur selbstbewusst. Eine Qualität von ihm, wie Wagner sagt, denn: »Wenn ich selbst nicht an mich glaube, wer macht es dann?« Joachim Löw jedenfalls nicht, er wird ihn nicht mit zur Weltmeisterschaft nehmen. Das ist für Wagner persönlich eine große Enttäuschung. Aber auch sportlich anzuzweifeln.
- Warum Wagner eine Nominierung verdient gehabt hätte
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Zwölf Tore schoss Sandro Wagner in dieser Saison für Hoffenheim und die Bayern. Das sind zwar weniger Treffer als Nils Petersen, Mark Uth, Niklas Füllkrug, Kevin Volland und Timo Werner erzielt haben. Allerdings spielte Wagner nur 1,593 Bundesliga-Minuten und damit knapp eintausend Minuten weniger als seine Konkurrenten. Und er schoss nur ein Elfmetertor (Petersen: Fünf). Mit fünf Toren erzielte Wagner zudem die meisten Treffer der deutschen Nationalmannschaft während der WM-Qualifikation.
Es ist schwierig, die Leistungen miteinander zu vergleichen, denn Wagner erhielt in den wenigen Minuten durchschnittlich mehr Chancen, weil er eben bei den Bayern spielt. Und von den fünf Toren für die DFB-Elf schoss er drei gegen San Marino, jeweils eins gegen Nordirland und Aserbaidschan. Wäre ein Nils Petersen schlechter gewesen? Besser? Alles Hypotenuse. Doch einen Vorteil hat Wagner. Im letzten halben Jahr hat er gelernt, wie er sich als großgewachsener Stürmer im Klein-Klein des FC Bayern bewegen muss, wie er Lücken für andere reißt und trotzdem torgefährlich bleibt.
Was ihm wichtig ist
Sandro Wagner gilt als sensibler Mensch. Offen gestand er im Interview, dass er ein Heimscheißer sei. Einer, der nicht nach China wechseln wolle, weil daheim die Frau, zwei Kinder, der Hund warten - und ein paar Schildkröten. Er sagt: »Ob mir jemand vertraut oder nicht, könnte mir doch eigentlich egal sein. Das passt nicht zusammen mit meinem sonstigen Ego. Aber es ist mir wichtig.«
Ja, Sandro Wagner hat in den letzten Monaten einiges riskiert, um seinen Traum von der WM zu erfüllen. Er hat das immer klar kommuniziert. Im nächsten Jahr droht ihm hinter Robert Lewandowski ein Platz auf der Bank beim FC Bayern.
Märchen ohne Happy End
Wagner hat eine gehörige Entwicklung hinter sich. Vom abgelegenen Trainingsplatz in Berlin zur Nationalmannschaft. Wer hätte nicht gern gesehen, wie so einer bei der WM ein Tor schießt und sich einen Traum erfüllt? Ein kleines Märchen, dass ohne Happy End auskommen muss. Und so ist die Geschichte der Nicht-Berücksichtigung von Sandro Wagner vor allem aus menschlicher Sicht eine tragische. Denn Wagner ist kein Lautsprecher, er ist nicht arrogant, ganz im Gegenteil. Seine Sätze können eine enorme Wucht entfalten, weil sie leise gesprochen und ehrlich gemeint sind. Er haut drauf, ohne auf andere einzuschlagen.
Eine Art, die der Nationalmannschaft in Russland fehlen könnte. Den Fans ganz gewiss.