Platz sieben in der Liga, das Pokal-Aus vor Augen, eine historische Niederlagenserie auf dem Rücken: Bei Manchester United läuft es derzeit bestenfalls bescheiden. Doch ist David Moyes tatsächlich der Hauptschuldige an der Misere?
Was war denn das für eine Scheiße? Als die Spieler von Manchester United nach dem Abpfiff gegen den AFC Sunderland in ihre Kabine trotteten, trauten sie weder Augen noch Nase. Während des Spiels war in der Gästekabine ein Abwasserrohr explodiert. Fäkalien klebten an Wänden, Designeranzügen, Kulturbeuteln. Die maßgeschneiderten Schuhe von Giggs, Rooney und Co. schwammen wie Luxusyachten in einer braunen Brühe. Der Schaden wurde auf mehrere zehntausend Euro geschätzt. Und so waren die Edelkicker gezwungen in ihren verschwitzen Trainingsanzügen von dannen zu ziehen wie eine stinknormale Kreisligamannschaft. Selten zuvor traf der Begriff „begossene Pudel“ treffender auf eine Mannschaft der Red Devils zu. Es war der miefende Tiefpunkt des ernüchternden United-Ausflugs in das „Stadium of Light“, bei dem sich der haushohe Favorit zu einem 0:0 gestolpert hatte.
Diese unappetitlichen Szenen spielten sich vor knapp vier Jahren in Sunderland ab. Blickte man allerdings zuletzt in die Gesichter der United-Spieler musste der Verdacht aufkommen, dass der aktuellen Mannschaft beim Besuch der britischen Hafenstadt nicht minder Ekelerregendes widerfahren war. Aber es war tatsächlich noch schlimmer. Denn mit der 1:2‑League-Cup-Niederlage gegen den AFC Sunderland haben sich Manchesters Spieler für immer als historische Gurkentruppe in die Vereinsannalen gewürgt. Das erste Mal seit 13 Jahren hat eine United-Elf drei Spiele in Folge verloren. Was andere für ein Luxusproblem halten dürften, reicht in Manchester für tiefschwarze Weltuntergangstimmung. Dabei geht es nicht allein um eine historische Pleitenserie. Es geht um das Selbstverständnis eines ganzen Vereins, der sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem über Titel, Glanz und Superlative definiert hat. Über allem schwebt die Angst, dass die Ära des alles dominierenden Manchester United fürs Erste beendet ist.
Eine sportliche Bankrotterklärung
In der Liga liegt United derzeit auf Platz sieben, stolze elf Punkte hinter Tabellenführer Arsenal und zehn hinter dem Erzrivalen City. Gegen Sunderland unterlag man zuletzt einer Mannschaft, die in der Liga auf dem letzten Platz herumkrebst und in dieser Saison bislang nur drei Siege einfahren konnte. Schlechter als das Tabellenschlusslicht – das ist ein Zustand, der in den Augen der United-Anhänger einer sportlichen Bankrotterklärung gleichkommt.
Ein Schuldiger für die Misere ist natürlich längst ausgemacht: Trainer Davis Moyes, der vor der Saison in die gigantischen Fußstapfen von Sir Alex Ferguson getreten war, taumelt derzeit wie ein angeknockter Boxer durch das Old Trafford. Kurz vor dem Abpfiff gegen Sunderland sah man den Schotten, wie er sich apathisch in Selbstgespräche verwickelte. Ganz so, als müsste er sich von Minute zu Minute verdeutlichen, in was für einen Alptraum er da hineingeraten ist. Aber welchen Anteil hat Moyes wirklich an der Misere?
Transfertheater im Sommer
Die Eindimensionalität in Uniteds Kader wurde schon in den vergangenen Jahren immer deutlicher. Ferguson setzte lange auf altgediente Schlachtrösser wie Ryan Giggs, Rio Ferdinand, Nemanja Vidic und Michael Carrick. Seinen positiven Einfluss auf talentierte Nachwuchsspieler wie Danny Welbeck, Tom Cleverly und Phil Jones überschätzte er maßlos. Neuzugang Shinji Kagawa wirkt bis heute wie ein Fremdkörper in Manchester. Einen adäquaten Ersatz für den derzeit oft verletzten Topscorer Robin van Persie sucht man im United-Kader genauso vergebens wie Weltklassespieler auf den zentralen Positionen im defensiven Mittelfeld. Die Suche nach einem Lenker in Uniteds Zentrale zieht sich allerdings nun schon über mindestens fünf Jahre, also auch in die Endphase des Regimes von Sir Alex. Doch Moyes erkannte den dringenden Handlungsbedarf auf dieser Position offenbar zu spät, weswegen Uniteds Suche nach einem geeigneten Spielmacher im vergangenen Sommer schließlich zur Slapstickveranstaltung mutierte.
Nach Absagen von Sami Khedira und Spaniens Nachwuchshoffnung Ander Herrera bemühte man sich händeringend um eine Verpflichtung der Kategorie „Knalleffekt“. Doch die Rückholaktion von Cristiano Ronaldo scheiterte genauso wie die Verpflichtung von Gareth Bale und Cesc Fabregas. Mesut Özil wollte Moyes erst gar nicht haben. Vielleicht der einzige Vorwurf, den man ihm in Sachen Transfers überhaupt machen kann. Am Ende kam lediglich der Belgier Marouane Fellaini von Moyes Ex-Klub FC Everton. Doch immer öfter offenbart der 34-Millionen-Mann, dass er vom Fußballgott zwar mit beachtlichem Haarwuchs gesegnet wurde, seine strategische Kompetenz indes bemerkenswert schnell an ihre Grenzen gerät.
Dass die Umstellung von Jahrhunderttrainer Ferguson auf den Neuen holprig verlaufen würde, kalkulierte man rund um das Old Trafford sicher ein. Dass das Spiel des amtierenden englischen Meisters jedoch phasenweise so wirkt, als würden Teile der Mannschaften gegen die neuen Impulse von der Bank rebellieren, überrascht selbst eingefleischte Red Devils. Leuchtturm der Renitenz ist vor allem Wanye Rooney. Der hielt sich lange Zeit damit auf, seinen Abgang aus Manchester zu provozieren. Seitdem klar ist, dass er in dieser Saison nicht gehen darf, wirken die Auftritte des Superstars, als habe ihm jemand heimlich eine Handbremse in den Turbo gebaut. Und schon wenn der Mann, der Uniteds Elf in der Vergangenheit durch seinen unbändigen Einsatz im Alleingang mitgerissen hat, immer öfter blutleer über den Platz joggt, ist es kaum verwunderlich, dass sich auch der Rest der Mannschaft mit dem sportlichen Abstieg in Richtung graues Niemandsland arrangiert zu haben scheint.
United verließ sich zu lange auf das Momentum
Dass United durchaus das Zeug für eine große Mannschaft hat, zeigten die Engländer nicht zuletzt beim Champions-League-Auftritt gegen Bayer Leverkusen. Doch anders als in den Jahren zuvor kann United das Niveau nicht über mehrere Wochen konservieren. Fergusons United setzte Jahrzehnte lang auch auf die Einzelkönner, sowie das Stilmittel des Momentums und der körperlichen Überlegenheit, während die restliche Fußballwelt begann, das Spiel zu kollektivieren und zu mathematisieren. Gerade im Hochgeschwindigkeitstheater Premier League gerät Uniteds Art des Old-School-Football heute schnell ins Hintertreffen. Oder eben auf Platz sieben.
Die spannenden Frage ist nun, wie belastbar die Geduldsfäden der Klubbesitzer-Familie Glazer tatsächlich sind. Zumindest soll ihr Name im Lexikon nicht unbedingt neben dem Begriff „buddhistische Ruhe“ zu finden sein. Jüngst wurden jedoch Berichte öffentlich, dass die Amerikaner ihrem Übungsleiter nochmals mit 240 Millionen Euro Transfervolumen unter die Arme greifen wollen. Längst hat United seine Krakenarme auf dem Transfermarkt ausgefahren. Auch die Dortmunder Marco Reus und Ilkay Gündogan sollen auf der Einkaufsliste stehen.
Moyes kann nur hoffen, dass der Name Manchester United in den kommenden Transferperioden noch genug Glanz auf Spieler dieses Kalibers ausstrahlt. Ansonsten muss er weiter die Altlasten seines Vorgängers durch die Saison schleppen. Ob das zu dem Erfolg führen kann, den ein Klub wie United per Vereinssatzung als Gottgegeben ansieht, darf allerdings bezweifelt werden.