Jürgen Klopp ist der aufregendste Trainer des Weltfußballs. Weil er dem Sport etwas gibt, das ihm andere nehmen wollen.
Das Beste an StudiVz waren immer die Gruppen. „Jetzt ‚ne Stunde schlafen und dann ins Bett!“, „Ich trinke Bier nur an Tagen, die auf G enden – und Mittwochs“ oder „9 von 10 Stimmen in meinem Kopf sagen ich bin irre. Eine summt.“ – Ach, was haben wir gelacht. StudiVz ist längst in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, den Gründern dieser Gruppen bleiben immerhin witzige Party-Geschichten. Ich selbst habe damals auch mal eine StudiVz-Gruppe gegründet, sie hieß: „Jürgen Klopp ist zum Kotzen“.
Die Jüngeren werden sich vielleicht nicht mehr daran erinnern – im Fußball wie im Internet vergeht die Zeit ja bekanntlich sehr viel schneller als in allen anderen Lebensbereichen – aber als StudiVz damals für eine handvoll Jahre cool oder zumindest noch nicht peinlich war, war Jürgen Klopp gerade Trainer von Mainz 05. Und ich ein Idiot. Ich störte mich an Klopps Dauergrinsen, seiner flapsigen Art, und zwar so sehr, dass ich nicht in der Lage war zu erkennen, was für ein außergewöhnlicher Trainer er damals schon war, als er mit Mainz, einem biederen Zweitligisten, erst in die Bundesliga aufstieg und dann sogar in den Europacup einzog.
„Das ist Fußball, wie er sein soll.“
Allein: Bei manchen Dingen hat man eben Unrecht. Dass StudiVz-Gruppen witzig sind etwa, oder bei seinem flachen Urteil über einen jungen Trainer. Mehr als zehn Jahre später ist Klopp nämlich das Aufregendste, was der Weltfußball zu bieten hat. Borussia Dortmund hat er aus dem Mittelmaß zu zwei Meisterschaften geführt und die Bayern so sehr geärgert, dass sie sich genötigt sahen, den BVB plattzukaufen. Bei Liverpool, dem vielleicht größten, seit zwei, drei Dekaden aber eher erfolglosen Klub des englischen Fußballs, schickt er sich nun an, diese Entwicklung zu wiederholen. Noch hat er keinen Titel mit dem Reds gewonnen, seine Wirkung geht aber sowieso über das Befüllen des Briefkopfs hinaus. Einen Titel zu gewinnen ist schließlich das eine. Klopp aber schafft es, mit seiner ganz besonderen Art, Fußball spielen zu lassen, einen ganzen Verein wachzuküssen.
Beim FSV Mainz, in Dortmund oder nun in Liverpool: Klopps berüchtigtes Gegenpressing, in England unter dem schönen Wort „gegenpress“ bereits ins Vokabular integriert, bedeutet 90 Minuten Vollgas, Spektakel, Hitze des Gefechts. Ein verrücktes 4:3 gegen Manchester City in der Liga, ein 5:2 im Pokalfinale mit Dortmund gegen die Bayern, nun ein wahnwitziges 5:2 gegen den AS Rom im Halbfinale der Champions League, nach dem Klopp sagte: „Es ist ein Semifinale, ein Hinspiel – und da wird so ein Fußball gespielt. Da wird nicht taktiert, nicht geguckt, ob man die Null hält. Das ist Fußball, wie er sein soll.“
„Ich hätte auch ein 7:4 genommen“
Wie Recht er hat. Denn seine Art, Fußball zu spielen, bedeutet auch: Fehler zu machen. Fußball muss Fehler haben, denn er lebt davon. Das unterscheidet seine Teams vom Klinischen einer Guardiola-Mannschaft oder dem Erdrückenden des FC Bayern. Die meisten Spitzenklubs wollen das Chaos auf dem Platz minimieren, Klopp provoziert es, auch wenn das manchmal eben bedeutet, dass auch die eigene Mannschaft darunter leidet. Die Meisterschaft hat Liverpool mit diesem fehleranfälligen Spiel verpasst, gestern gegen Rom noch zwei unnötige Tore in der Schlussphase kassiert. Klopp aber sagte anschließend: „Ich hätte auch ein 7:4 genommen.“ So oder so: Es war eines dieser perfekt unperfekten Klopp-Spiele, das die Zuschauer von den Sitzen reißt.
Lange habe ich nicht verstanden, dass Klopps Wesen sich ganz einfach in der Art und Weise spiegelt, wie seine Mannschaften Fußball spielen. Eine besondere Verbindung, die ihm die Fans mit bedingungsloser Liebe zurückgeben. Mainz wird demnächst vielleicht wieder ein Zweitligist sein, Borussia Dortmund sucht nach der Ära Klopp noch immer nach sich selbst, während sich Liverpool anschickt, zweite Kraft in England zu werden und möglicherweise die Champions League zu gewinnen. Es wäre Jürgen Klopp zu wünschen, einfach damit das Risikohafte, Spektakuläre und Mutige seines Spiels belohnt würde. StudiVz gibt es übrigens immer noch. Vielleicht wäre es an der Zeit, mich dort erneut anzumelden, um die Gruppe „Jürgen Klopp ist großartig“ zu gründen. Einfach, um die Dinge richtig zu stellen.