Von der Lachnummer zum gefürchteten Gegner: Englands Nationalteam legt eine beeindruckende Transformation hin. Das weiß auch Jogi Löw – und warnt.
„30 years of hurt never stopped me dreaming.“
Wer kennt sie nicht, die Zeile aus dem Sehnsuchts-Lied „Three Lions“ von den „Lightning Seeds“? Der Song erschien 1996, kurz vor der Europameisterschaft in England. Zwei Jahre später – das Mutterland des Fußballs war bei der EM erst im Halbfinale an Deutschland gescheitert – brachte die Britpop-Band eine neue, optimistischere Fassung auf den Markt: „No more years of hurt“, hieß es darin. Doch das war naiv. Das Warten auf einen großen Titel ging weiter. Und weiter. Inzwischen liegt Englands Triumph bei der Heim-WM 1966 schon mehr als 51 Jahre zurück. Um die „Lightning Seeds“ ist es ebenfalls still geworden.
Doch die Zeit des Schmerzes und des Wartens könnte bald vorbei sein – orakelt zumindest Jogi Löw vor dem Testspiel gegen England heute (21 Uhr) in Wembley: „England ist U20-Weltmeister und gerade auch U17-Weltmeister geworden“, warnte der Bundestrainer neulich im „Sportstudio“: „Sie haben sehr viele gute junge Spieler, eine starke Liga. Wenn sie es einmal schaffen, als starke Mannschaft aufzutreten, gehören sie mit zu den WM-Favoriten.“
Was Löw nicht sagte: Ausgerechnet das peinliche Aus im EM-Achtelfinale 2016 gegen Island (1:2) könnte als Wendepunkt in die englische Geschichte eingehen. Während sich Rooney & Co. in Frankreich nach Kräften blamierten, hatte der nationale Verband FA längst das Ruder herumgerissen und entwickelte sich auf Nachwuchsebene zuerst heimlich, später unheimlich kraftvoll zur neuen, alten Fußball-Weltmacht. Englands U20-WM-Titel im Juni dieses Jahres war ein erstes Ausrufungszeichen. Der Triumph bei der U17-WM im Oktober unterstrich die Ambitionen der FA dick und fett – und in Leuchtfarbe.
Ein Mix aus Frankreich, Deutschland und Belgien
„Wir haben eine neue, eigene DNA entwickelt“, sagt Englands U17-Nationalcoach Steve Cooper stolz. Das stimmt zwar – ist aber dennoch leicht geflunkert. Genau genommen haben die Verantwortlichen der FA die Erfolgsmodelle des DFB, des belgischen und des französischen Verbandes studiert, entschlüsselt und daraus im Jahr 2014 einen für englische Verhältnisse optimierten Best-of-Konzeptmix entwickelt. Die fünf entscheidenden Punkte sind im Manifest „England DNA“ klar benannt: „1. Wer wir sind. 2. Wie wir spielen. 3. Der zukünftige England-Spieler. 4. Wie wir coachen. 5. Wie wir unterstützen.“
Englands neuer Nachwuchs-Fußball, der Elemente wie Offensiv- und Mittelfeld-Pressing, rasantes Umschaltspiel, ausgiebige Ballbesitz-Passagen und überraschende Tempowechsel vereint, kann sich sehen lassen. Doch der Verband betont ausdrücklich: „Titelgewinne mit Englands U‑Teams sind nicht das ultimative Ziel. Die individuelle Entwicklung eines jungen Spielers mit Blick auf die zukünftige A‑Mannschaft hat immer Priorität vor Resultaten auf Nachwuchsebene.“ Und so darf Nationalcoach Gareth Southgate (jener Southgate, der im EM-Halbfinale 1996 vom Elfmeterpunkt versagte) frohlocken: Die neue englische Welle kommt nach und nach in seinem A‑Team an.