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Hin­weis: Der Text erschien erst­mals im Juli 2018 im Bun­des­liga-Son­der­heft. Alle 11FREUNDE-Hefte gibt es hier.

Bevor Peter Fischer einen Raum betritt, ist seine Stimme schon da. Sie röhrt sich ihren Weg durch die Büro­gänge am Frank­furter Rie­der­wald. Dabei spricht Fischer noch sanft. Wenn er laut wird, würde ihn wohl selbst ein Bau­ar­beiter ermahnen, dass man ja seinen eigenen Schlag­bohrer kaum mehr ver­stehe. Fischer beendet eine Radio­schalte zu Bayern 3, schlen­dert in sein großes Büro, das weiße Hemd unter dem Sakko oben auf­ge­knöpft, die Schnür­senkel am Turn­schuh offen. Er wedelt mit den Händen, sein Zwei-Meter-Körper pen­delt von einer Seite zur anderen. Diese Ver­rückten haben ges­tern sein Auto abge­schleppt, neun Meter Bau­stelle abge­sperrt, wo nur sieben gebraucht werden. Ein Wahn­sinn.

Fischer zündet sich eine Ziga­rette an, lässt sich in seinen braunen Leder­sessel fallen, sein rechtes Bein schlägt er über die Arm­lehne. Den Kopf kippt er zurück, fährt sich kurz durchs Gesicht, Trot­toirs in Frank­furt, keine Park­plätze mehr, übri­gens Bayern 3, Mode­rator Otto, guter Mann, die ein­zigen Roten in Bayern, harte Zeit, wie ja jetzt alle durch­drehen, Welt­un­ter­gang hier und da, auch bei der Natio­nalelf, beim Mats fehlte nach dem Mexiko-Spiel die Selbst­kritik. Dann hätte er gesagt: Junge, alles richtig gemacht, top, ich bin bei dir, alles klar.“ Der Ziga­ret­ten­filter in seiner großen Hand brennt ab. Aba­schen lohnt nicht. Peter Fischer glüht durch.

Bei Bayern waren viele vor Niko im Rennen. Das wusste er, das wussten wir“ 

Seit 18 Jahren ist Fischer Prä­si­dent von Ein­tracht Frank­furt. Wer begreifen will, was für eine Ewig­keit das im Fuß­ball­ge­schäft dar­stellt, muss sich erin­nern: Damals spielte 1860 Mün­chen in der Qua­li­fi­ka­tion zur Cham­pions League. Es wirkt, als wäre seine Amts­zeit genau auf dieses Halb­jahr 2018 hin­aus­ge­laufen. Er hatte Stel­lung bezogen gegen die AfD. Er hatte Mord­dro­hungen erhalten. Und sein Klub wan­delte zwi­schen emo­tio­nalen Extremen. Just im größten Moment war Fischer vor allem eines, am Ende.

Im April schockte Ein­tracht Frank­furt die Nach­richt, dass Trainer Niko Kovac nach der Saison zu den Bayern gehen würde. Wir kannten den Vor­lauf, wie viele da noch vor Niko im Rennen waren. Das wusste er, das wussten wir.“ Doch dann, Fischer springt hoch, paff, die Finger zucken nach­ein­ander: Heyn­ckes weg! Flutsch. Tuchel will nicht! Der sagt so… Fischer zeigt den Mit­tel­finger, dann Brusch und Zack. Als würden ihm Redak­teure eines Comic­hefts souf­flieren.

Ich will heute Nacht ver­dammt noch mal aus dem Pokal trinken“

Kovac ging zu den Bayern und Frank­furt vor dem Pokal­halb­fi­nale in die Knie. Die Mit­ar­beiter drängten Fischer in einen Raum, wo er eine zwei­mi­nü­tige Video­bot­schaft an die Ein­tracht-Gemeinde richten sollte. Er legte die Hand­kante auf die Stirn, atmete 20 Sekunden tief ein und aus, und lie­ferte dann, in einem Take. Wie oft hat uns die Kurve gerettet? Nürn­berg – Gän­se­haut. Erste Liga spielen dürfen – Gän­se­haut. Nach Berlin – Gän­se­haut. Erin­ne­rungen und Bilder, die nie­mand in meinem Kopf nimmt.“ Fischer sprach, wie früher als Werber, mit bild­schwan­geren Begriffen im Stak­ka­to­stil. Es wurde ein Auf­putsch­video, das die Stim­mung drehte. Die Ein­tracht zog ins Finale ein. Genau dort sprach, nein, schrie Fischer noch einmal zur Menge: Ich will heute Nacht ver­dammt noch mal aus dem Pokal trinken.“ Die Fans johlten und stimmten den mitt­ler­weile zum Klas­siker mutierten Gesang an: Peter gibt einen aus.“

Er sollte aus dem Pokal trinken, nicht zu wenig. Doch direkt nach dem Sieg sackte er auf der Aus­wech­sel­bank in sich zusammen. Wenn er sich daran erin­nert, fährt er mit den Fin­gern über die Arme. Hier drin, alles weg. Ich wollte die Faust ballen – und konnte es nicht mehr.“ Dem Kraft­werk ging der Saft aus. Für einen kurzen Moment, wäh­rend er das erzählt, pas­siert es. Viel­leicht fünf­zehn Sekunden lang, da ist selbst Peter Fischer nach­denk­lich.