Kroatien steht zum ersten Mal in der Geschichte des Landes im WM-Finale. Und schenkte uns schon im Halbfinale den bisher größten Moment des Turniers: einen puren, ehrlichen und nicht im Ansatz inszenierten Torjubel.
Wer die Wucht dieser Sportart verstehen will, muss Mario Mandzukic in die Augen schauen. Gerade hat der kroatische Stürmer das 2:1 im WM-Halbfinale gegen England geschossen, direkt vor der kroatischen Kurve, jetzt liegt er auf dem Rasen, um ihn herum ein Gewusel aus Beinen und Armen und Körpern seiner Mitspieler, die sich in ihrer Freude über den Treffer auf ihn gestürzt haben. Die ihn anbrüllen, die seinen Kopf an ihre Brust drücken, die ihn schütteln wollen, weil sie nicht wissen wohin mit ihrer Euphorie.
Und Mandzukic? Hat die Augen weit aufgerissen, viel wacher kann ein Mensch kaum sein, und guckt in die Runde. Guckt fassungslos, guckt beseelt, guckt überglücklich, guckt wahnsinnig, aber auch ein bisschen verängstigt – sei es ob der schieren Größe des Moments oder nur ob der Masse an verschwitzen Männerkörpern, die sich ihm entgegenwerfen. Alles gleichzeitig. Weil, verdammt noch mal, der Fußball genau das in seinen großartigsten Momenten schafft. Er lässt uns gleichzeitig vor Angst zittern und vor Freude beben, er macht, dass wir es nicht fassen können – im Guten wie im Schlechten – und schier wahnsinnig werden.
Eine routinierte Choreographie
Als Umtiti am Abend zuvor für Frankreich gegen Belgien zum Sieg traf, jubelte er auch. Doch es wirkte ein bisschen so, als hätte er sich auf diesen Augenblick, auf den sich eigentlich kein Mensch der Welt vorbereiten sollte, vorbereitet. Für den Bruchteil einer Sekunde jubelt er unkontrolliert, dann bricht er ab, wahrscheinlich realisiert er genau jetzt, dass sich langweilig ausgebreitete Arme nicht so gut als Instagram-Story verbreiten lassen. Er beginnt zu watscheln, sein Kollege Pogba watschelt nebenher, Griezman kommt dazu und sie küssen alle gleichzeitig das französische Wappen. Eine routinierte Choreographie. Im vielleicht größten Moment, den zumindest Umtiti in seinem Fußballer-Dasein erleben wird.
Auch Mario Mandzukic ist ein routinierter Jubler. Er hat in seinem Leben für viele Vereine sehr viele Tore geschossen, wichtige und unwichtige, schöne und hässliche, frühe und späte. Den Ball ins Tor zu ballern ist sein Job. Man könnte meinen, ein Tor sei für ihn wie das andere, dafür wird er bezahlt, gewissermaßen stehen Tore für ihn auf einer To-Do-Liste wie bei anderen Leuten lästige Besorgungen. Und doch ist nach diesem Treffer alles anders. Denn Mandzukic lässt sich im Gegensatz zu Umtiti übermannen von einem Moment, von dem wir alle als Kinder mal geträumt haben. Weswegen viele eigentlich neutrale Zuschauer am Sonntag wohl der kroatischen Mannschaft die Daumen drücken werden.
Weil diese Truppe nicht so roboterhaft exakt spielt wie die Franzosen. Sie macht viele Fehler. Sie bügelt sie wieder aus. Sie gibt nicht auf. Sie lässt sich von Gefühlen leiten, sich anstacheln, sie freut sich, sie ärgert sich. An dieser Mannschaft, aus einem Land mit nur vier Millionen Einwohnern, wirkt vieles ehrlich und echt und nichts inszeniert. Nicht mal der Torjubel.